Zeitgeschichte:Stifter seines Lebens

Zeitgeschichte: Wolf Biermann bei der Zeremonie der Übergabe seiner Unterlagen an die Staatsbibliothek Berlin.

Wolf Biermann bei der Zeremonie der Übergabe seiner Unterlagen an die Staatsbibliothek Berlin.

(Foto: AFP)

Wolf Biermann, der im November seinen 85. Geburtstag begeht, übergibt der Staatsbibliothek Unter den Linden schon jetzt sein Privatarchiv.

Von Lothar Müller

Dass er nicht mit Spreewasser getauft ist, sondern in Hamburg geboren wurde, kann niemandem entgehen, der die Lieder, Gedichte und Prosastücke von Wolf Biermann auch nur ein wenig kennt. Der Vater taucht darin auf, der Werftarbeiter und Kommunist aus jüdischer Familie, der 1943 in Auschwitz ermordet wurde, die Mutter, mit der er im selben Jahr aus dem bombardierten Hamburg floh. Und die Großmutter, der er in der "Moritat auf Biermann seine Oma Meume in Hamburg" verspricht, sie noch vor dem Fall der Mauer zu besuchen.

Inzwischen lebt er wieder in Hamburg. Aber in Ost-Berlin ist Wolf Biermann zum Sänger und Autor, zum Liedermacher und zum Zeitzeugen der deutsch-deutschen Geschichte geworden, zunächst in der DDR, dann, nach seiner Ausbürgerung 1976, in der Bundesrepublik, und nach dem Fall der Mauer gab er sich nicht damit zufrieden, noch vor deren Ende wieder in der DDR auftreten zu dürfen. Im September 1990 unterstützte und besuchte er auch die Besetzer der ehemaligen Stasi-Zentrale. Anlass der Besetzung war die Sorge um die Zukunft der Dokumente, des Stasi-Archivs.

Er wechselte von Ost nach West nach Ost, bis die SED es unterband

"Chausseestraße 131" hieß 1968 die nur im Westen erschienene Platte, die Biermanns Moritat auf seine Hamburger Oma enthielt. Das Cover zeigt den Wohnraum mit den Bücherregalen, dem Schreibtisch, den Bildern und den Sesseln, den Biermann zum privaten Tonstudio gemacht hatte. Das Auftritts- und Publikationsverbot, auf das er damit reagierte, hatte ihn nicht allein wegen seiner Texte ereilt, sondern weil er die Grenze zwischen den beiden deutschen Staaten überschritten hatte, zum gesamtdeutschen Autor und Sänger geworden war. In West-Berlin war 1965 sein Gedichtband "Die Drahtharfe" erschienen, im selben Jahr war er gemeinsam mit Wolfgang Neuss dort am Lützowplatz aufgetreten. Das physische Grenzgängertum ließ sich von der SED unterbinden, seine Stimme blieb bei Privatkonzerten im Osten und auf Platten im Westen hörbar. Sie sang nicht nur über die Durchdringung von Antifaschismus und Stalinismus in der DDR, sie sang auch für die westdeutsche außerparlamentarische Linke, wie in "Drei Kugeln auf Rudi Dutschke".

"Vorlass" nennt man eine Gabe wie diese von Biermann

Bei einem Festakt im Humboldt-Saal hat Wolf Biermann jetzt der frisch renovierten Staatsbibliothek Unter den Linden, die zur "Stiftung Preußischer Kulturbesitz" gehört, sein Privatarchiv übergeben. Es ist nicht weit von hier zur Weidendammer Brücke über die Spree, an der Friedrichstraße. Den gusseisernen Adler im Brückengeländer hatte Biermann im Spätsommer 1976 in den "Preußischen Ikarus" verwandelt, als er wenig später dieses Lied bei seinem Auftritt in Köln vortrug, stürzte er bei seinem Vortrag vor Aufregung ein wenig ab. Die Behörden, die seine Tournee genehmigt hatten, bürgerten ihn dennoch aus, nach dem vom WDR für ein Millionenpublikum übertragenen Konzert. Diese Ausbürgerung wurde zu einem der Anfänge des Endes der DDR.

Nun geht er in den "Vorlass" Wolf Biermanns ein. So nennt man die Dokumente, die ein Schriftsteller zu Lebzeiten in ein Archiv gibt. Sie sind das materielle Fundament seines Nachruhms, zu dem nicht nur Neuausgaben seiner bereits publizierten Werke gehören. Biermann, der im November seinen 85. Geburtstag feiert, weiß nicht erst seit der Besetzung der Stasi-Zentrale, dass Archive entgegen ihrem Ruf alles andere als staubige Orte der Stille sind. Jedes Archiv regt dazu an, Fragen an seine Dokumente zu stellen, je mehr es genutzt wird, desto lebendiger bleibt der Autor auch nach seinem Tod. Der Biermann-Vorlass umfasst Manuskripte, Korrespondenzen, aber auch ein Foto-, Film- und Tonarchiv, eine Plakatsammlung, Kritiken, darüber hinaus den Nachlass der Eltern und nicht zuletzt mehr als 200 Tagebücher, die er seit seinem 17. Lebensjahr geführt hat, schon kurz bevor er 1953 als junger Kommunist in die DDR übersiedelte. Ein Freund hatte sie nach der Ausbürgerung in seinem Garten vergraben, um sie gegen den Zugriff der Stasi zu schützen.

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