Biennale in Venedig:Geld? Was ist das denn?

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Den kanadischen Pavillon in Venedig hat die Inuit-Gruppe "Isuma" gestaltet. Ein Gespräch über weiße Flecken auf Landkarten und den Nutzen eigener Fernsehsender.

Von Catrin Lorch

Bei der Biennale von Venedig zeigt sich die Kunst politisch: Die Verhältnisse zwischen Kulturen und Geschlechtern sind austariert, die Kunst sucht ihre Motive bei Themen wie Artensterben, Rassismus, Armut. Da bietet der Beitrag Kanadas einen echten Perspektivwechsel. Die Kuratoren haben Inuit eingeladen, das Land zu vertreten. Und die glatten Videowände, die dafür in die Lagune verschifft wurden, sind mehr als Kunst - sie spiegeln den Versuch der seit fast vierzig Jahren bestehenden Gruppe Isuma, sich über Dokumentationen und Spielfilme ihrer Anliegen zu versichern. Bei der Vernissage feierte der Spielfilm "Ein Tag im Leben von Noah Piugattuk" als Video-Installation Premiere. Zudem ging im nordkanadischen Igloolik, dem Sitz des Kollektivs, Isuma.tv online und sendet täglich ein mehrstündiges Fernsehprogramm. Im Interview sprechen der Regisseur Jonathan Frantz und die Schauspielerin Lucy Tulugarjuk über weiße Flecken - nicht nur auf Landkarten.

SZ: Es heißt, die Handlung des Films beruhe auf einer wahren Begebenheit. Worum geht es?

Jonathan Frantz: Unsere Geschichte basiert auf einem Vorfall im Jahr 1961, der Geschichte einer Familie die, wie so viele, plötzlich Besuch von Regierungsvertretern erhielt, und aufgefordert wurde, in eine Stadt umzuziehen, Geld zu verdienen und sich zu ordentlichen Bürgern des Staates Kanada zu entwickeln. Der Dialog spiegelt noch einmal die Missverständnisse. Denn Noah Piugattuk, der noch wie seine Vorfahren mit dem Hundeschlitten jagte, konnte einfach nicht verstehen, warum er und seine Angehörigen sein Land verlassen sollten. Er hatte keinen Begriff vom Geld. Die Mobilität der Gegenwart bedeutet ja nur für wenige ein Privileg, für viele aber die erzwungene Entwurzelung, nicht nur in Kanada.

Szene aus „Ein Tag im Leben von Noah Piugattuk“. (Foto: Verleih)

An wen genau richtet sich denn Ihr Spielfilm? Jonathan Frantz: Zunächst an die Inuit selbst. Wir haben in der Vergangenheit auch Dokumentationen veröffentlicht, beispielsweise über die Folgen des Rohstoff-Abbaus. Wir machen unsere Filme, Dokumentationen und Serien immer im Internet zugänglich, aber auch andere Werke, und zwar stets in den Sprachen der Inuit. Insgesamt sind es mehr als 7000. Wir wollen Netzwerke zwischen den Gemeinschaften der Inuits aufbauen und ihnen gleichzeitig eine Öffentlichkeit erschließen. Wir glauben an radikale Inklusivität und digitale Demokratie.

Wie haben Sie es denn geschafft, Inuit für Medienarbeit zu begeistern, wenn sie, wie Sie sagen, gar keinen Begriff von Geld oder auch Bürgerrechten haben?

Jonathan Frantz: Wir arbeiten seit fast vierzig Jahren im Kollektiv zusammen. Mehr als 1500 Menschen, Inuit und nicht-indigene, haben bei unserer Gruppe mitgewirkt. Isuma hat sich auch deswegen etabliert, weil wir keine politischen Anliegen verfolgen. Unser einziges Interesse ist es, den Inuit Gehör zu verschaffen. Früher hat ihnen die Regierung die Lebensgrundlagen geraubt, heute sind es internationale Firmen, die auf ihrem Gebiet Minen ausbeuten. Im Herbst werden wir mit unserem täglichen Sender aus Igloolik ihre Proteste gegen den Rohstoffabbau begleiten. Die Anhörungen der Regierung wird dann weltweit übertragen, Isuma ist zum Medium geworden.

Szene aus „Ein Tag im Leben von Noah Piugattuk“. (Foto: Verleih)

Lucy Tulugarjuk: Wir haben beispielsweise das Drehbuch des Films gemeinschaftlich erarbeitet. Die Schauspieler, Inuits aus Iglooik, haben beim Dreh viel improvisiert. Später wurden die Schnitte und das Skript erneut ihren Improvisationen angepasst. Ich bin zwar professionelle Schauspielerin, aber ich arbeite auch als Übersetzerin.

Hier in Venedig können Sie sich an ein internationales Publikum wenden. Was erhoffen Sie sich vom Auftritt bei dieser Kunstschau?

Jonathan Frantz: Das einzige Bild, das wir in dem Pavillon präsentieren, ist eine Reproduktion der Landkarte, die auch in unserem Büro in Kanada hängt. Sie gehörte dem Vater eines Kollegen und zeigt unsere Region. Ursprünglich war das eingezeichnete Land auf dieser Karte hinter den Küstenlinien einfach weiß, lediglich die großen Siedlungen waren aufgeführt. Aus der Perspektive der Landvermesser gab es hier nur Leere. Doch unsere Karte ist gesprenkelt mit feinen Einträgen, fast auf jedem Zentimeter hat ihr Vorbesitzer in der Schrift der Inuit wichtige Orte eigenhändig markiert. Isuma bedeutet "Think". Auf der Fassade des Pavillons haben wir unseren Namen dem Schriftzug "Kanada" gegenübergestellt, das ist sehr deutlich.

© SZ vom 23.05.2019 - Rechte am Artikel können Sie hier erwerben.
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