Süddeutsche Zeitung

Bibel heute:Eine vorletzte Versuchung

Das Bibelprojekt des Hessischen Rundfunks vereinigt 21 Hörspiele nach Geschichten, neu erzählt von Brigitte Kronauer, Terezia Mora, Thomas Harlan, Navid Kermani, Arnold Stadler, Feridun Zaimoglu, Patrick Roth. Inspiriert von Pasolini und Vertigo.

Von Jens Bisky

Wie viel Geringschätzung doch in einer Therapeutenfrage liegen kann: "So, Sie glauben also, Gott zu hören?" Damit scheint der Fall klar zu sein. Der alte Mann, der eine Stunde Familientherapie bezahlt, hat nicht nur Schwierigkeiten mit seinen Frauen, sondern auch da oben ein Problem. Der Leidensdruck der Frauen lässt sich verstehen, der Verheißungsdruck des Mannes hingegen überfordert noch den gutwilligsten Therapeuten.

Die Familienverhältnisse sind patchworkartig verzwickt, so wie es heute ist, wie es auch in der Patriarchenzeit und davor war. Ein altes Ehepaar, Abraham und Sarah, das vieles gemeinsam durchgestanden, vieles hinter sich und das Gelobte Land noch nicht erreicht hat, blieb kinderlos. Damit ihm der Wunsch nach einem Sohn doch noch erfüllt würde, schickt sie ihn zu Hagar, ihrer Magd. Und Hagar gebar einen Sohn, aber als dieser in die Pubertät kam, wurde - es klingt wie ein Wunder - Sarah schwanger.

Was weiter geschah, steht im ersten Buch Mose. In Doron Rabinovicis Hörspiel "Abrahams Stunde" sitzen der Stammvater, Sarah und Hagar beim Therapeuten. Sie wirken ganz gegenwärtig und bleiben doch Figuren des Alten Testaments, sie beherrschen die Feinheiten psychologischer Alltagsscharmützel wie die Formeln der Offenbarung.

Hagar nutzt sie ironisch zur Rebellion gegen das alte Paar. Großartig keck spricht Bibiana Beglau die Magd: "Sie müssen wissen, Herr Doktor, der Meister des Universums, der Schöpfer der Welt, der Eine, Einzige und Alleinige hat nichts anderes zu tun, als sich den ganzen lieben langen Tag mit Abraham zu unterhalten." "Halt doch den Mund!", fährt ihr Gudrun Ritters Sarah über den Mund. Noch im Beiläufigen, in kleinen Bemerkungen ist das ganze Leben dieser Frau zu hören, ihre Liebe zu Abraham, ihre Treue, auch Gehorsam, Entbehrung, Enttäuschung, Aufwallungen von Eifersucht - Gudrun Ritter hält all das stets präsent und die Figur rätselhaft. In diesem gut gebauten Konversationsstück treffen die Pointen regelmäßig beides: die Bereitschaft, Worten von oben zu folgen, wie den Glauben, das Glück liege im Bei-Sich-Bleiben. Der Wettstreit zwischen Heilsgewissheit und Seelenklempnerei bleibt unentschieden, die Frauen scheinen auf beides ganz gut verzichten zu können.

Bei zwei der Hörspiele steht am Anfang die Begeisterung für Pasolinis-Evangeliumsfilm

"Abrahams Stunde" ist eines von 21 Hörspielen, die der Hessische Rundfunk für sein Bibelprojekt angeregt und mal allein, mal gemeinsam mit anderen Sendern produziert hat. Die Heilige Schrift wird hier nach gutem Brauch als Literatur genommen, also einerseits weitererzählt, andererseits kommentiert. Ob und wie die alten Texte einer Konfrontation mit der Gegenwart standhalten, war, so die Dramaturgin Ursula Ruppel, eine der Fragen am Anfang des Projektes, das dank vieler prominenter Autoren von Brigitte Kronauer bis Feridun Zaimoglu auch eine Revue der Gegenwartsliteratur geworden ist. Wobei auffällt, dass niemand den Glauben frontal attackiert, Religion verwirft. Als Kulturgut weckt die Bibel hier keine polemischen Energien. Das Begleitbuch enthält erhellende Essays von Historikern, Übersetzern, Theologen.

Während die einen große Texte - Genesis, Psalmen, Hiob - sich als ästhetisch überwältigendes Ereignis in Szene setzen, betten andere biblische Motive in Gegenwartsszenen. 2014 hat Marlene Streeruwitz in den Romanen "Nachkommen" und "Die Reise einer jungen Anarchistin in Griechenland" über die Wut auf das Herkommen, die Welt der Väter, über die Kümmernisse geschrieben. In ihrem Hörspiel "Maria" sprechen Frauen, die alle heißen wie die Gottesgebärerin, über Mutterschaft. Anne Weber lässt in "Regen" ein heutiges Paar an der Sintflut verzweifeln. Warum auch müssen die Nachbarn, die von unten, in der kleinen Wohnung, die man sein eigen nennt, Zuflucht suchen? Das geht doch nicht. Egal, es regnet weiter. Das hat es ja schon öfter getan, doch gerade im Gewohnten, Vertrauten lauert das Zerstörerische: "Schon immer hatte er gewusst, dass alles von einem Moment zum andern kippen kann. Dass die Ruhe, in der sich sein Leben abspielte, eine trügerische war."

Anstelle der Bibel kann auch die Kunst als Inspirationsquelle dienen, als eine, der man nicht glauben muss, die es aber in wiederholten Spiegelungen erlaubt, Effekte von Authentizität und Ursprünglichkeit zu erzielen. Dies gelingt gerade in den hoch artifiziellen Hörspielen "Evangelium Pasolini" von Arnold Stadler und Oliver Sturm sowie in "Mulholland Drive. Magdalena am Grabe", für das Patrick Roth eine eigene, frühere Erzählung dramatisiert hat. Am Anfang steht bei beiden die Begeisterung für Pier Paolo Pasolinis Film "Das 1. Evangelium - Matthäus", der 1964 linke Freunde des Regisseurs und den Vatikan gleichermaßen überraschte. Stadler montiert den Evangeliumstext, die Nacherzählung des Films, dessen Tonspur, Erinnerungen, Zitate zu einer Suche nach Glaubwürdigkeit. Patrick Roth spricht einen Erzähler, der berichtet, wie er, von Pasolinis Beispiel beflügelt, eine Szene aus dem Johannesevangelium einzustudieren versucht. Eine junge, den Filmstudenten in Kalifornien unbekannte Italienerin sagt zu, die Rolle der Maria Magdalena zu spielen, die am leeren Grab den Auferstandenen sieht und die Botschaft davon den Jüngern überbringt. Pasolini und das Evangelium treffen bei Patrick Roth im Geiste Alfred Hitchcocks aufeinander. Atmosphäre und Dramaturgie des Hörspiels erinnern an den Film "Vertigo", suspense und Grusel einbegriffen.

Wie kann man das Pfingstwunder verständlich machen, fragt Sibylle Lewitscharoff

Vierzehn Hörspiele zum Alten, sieben Hörspiele zum Neuen Testament, das zwang bei einer ungefähren Länge von je sechzig Minuten zur Auswahl aus der Fülle der biblischen Geschichten und Figuren. Sie treten hier isoliert auf, ohne das Verweissystem, das sie in der Heiligen Schrift verbindet oder das deutend in ihr entdeckt oder in sie hineingelesen wurde. Kein heilsgeschichtlicher Zusammenhang, das heißt auch: kein Bedarf an Vorausdeutungen und Bezügen auf Vorheriges. Diesen unvermeidbaren dramaturgischen Verlust kompensieren die Hörspiele durch die Spannung zwischen den Zeiten, zwischen unserer Welt mit ihren Paartherapeuten etwa und der Abrahams und seiner Not, einen Sohn zu zeugen.

Im Gegensatz der Zeiten ist immer auch die alte Vertikalspannung zwischen Immanenz und Transzendenz enthalten. In "Pfingstwunder" spielt Sibylle Lewitscharoff damit, einem akustischen Seiten- und Kabinettstück zu ihrem jüngst erschienenen Roman "Das Pfingstwunder". Die Ermittler sind nicht zu beneiden, die einen Professor befragen müssen, was den Dante-Forschern denn zugestoßen ist, die alle - bis auf den einen - verschwunden sind. Und der eine, der nicht aufgeflogen ist, muss erklären, wie es möglich wurde, dass die anderen aufgeflogen sind. Zwar wird es, wie allgemein bekannt, am Pfingsttag leicht in fremden Sprachen zu sprechen. Aber dass der Zeuge eines Wunders denen, die nicht dabei waren, verständlich wird, ist nicht garantiert.

Dietmar Dath führt in "Vom Erlöser lernen" vor, wie schwer Verstehen sein kann. Petrus und Thomas werden bei ihm nicht allein von Maria Magdalena verunsichert, sondern mehr noch von den Gleichnissen des Erlösers. Wie sich daraus Witz, aber auch Ideen vom Fortschritt wenigstens der Erkenntnis ergeben, dass muss man hören.

Brigitte Kronauer, Klaus Reichert, Alessandro Bosetti, Anne Weber, Robert Wilson, Doron Rabinovici, Werner Fritsch, Oliver Sturm, Sasha Marianna Salzmann, Terézia Mora, Barbara Honigmann, Thomas Harlan, Michael Farin, Navid Kermani, Hermann Kretzschmar, Lothar Trolle, Marlene Streeruwitz, Dietmar Dath, Arnold Stadler, Patrick Roth, Sibylle Lewitscharoff, Feridun Zaimoglu, Reinhold Batberger: Die Bibel. Das Projekt. 21 Hörspiele und Essays. Der Hörverlag, München 2016. 21 CDs und 1 mp3-CD, ca. 1700 Minuten, 99 Euro.

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Quelle:
SZ vom 18.10.2016
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