Süddeutsche Zeitung

"Bezaubernde Lügen" im Kino:Kleine Schwindel und böses Geflunker

Die französische Komödie hat ihre ganz eigenen Regeln: leise und verspielt, sehr elegant - und unglaublich verdreht. Das ist auch in "Bezaubernde Lügen" so. Audrey Tautou spielt süß grimassierend in bewährte Amélie-Manier die Frieseurin Emilie, und macht aus einer durschnittlichen Story einen guten Film.

Susan Vahabzadeh

Eigentlich ist es sehr ehrlich, dass im Englischen die eine Lüge nicht wie die andere ist - die white lies sind halb so schlimm. Emilie, die Heldin in Pierre Salvadoris neuem Film, ist aber Französin, und wenn sie sich nicht zu helfen weiß mit dem Ehrlichsein, erzählt sie gleich wahre Lügen - Halbwahrheiten, genaugenommen, und dann muss sie eben erst schmerzlich herausfinden, dass es zwar beim Schwindeln Nuancen gibt, aber wahr wird davon noch lange nichts.

Audrey Tautou spielt Emilie in der bewährten Amélie-Manier, süß grimassierend, aber leider nicht ganz so diabolisch. Sie hat in ihrem Frisiersalon Jean (Sami Bouajila) als Mädchen für alles eingestellt, und der löst in ihr ganz fürchterliche Komplexe aus, als sie erfährt, dass er im Gegensatz zu ihr einen Uni-Abschluss hat. Dabei ist der Mann, jeder außer ihr kann das sehen, ihr völlig ergeben.

Emilie hat aber andere Sorgen: Der Vater will seine junge Freundin heiraten, und die Mutter Maddy kann sich auch nach vier Jahren Trennung noch nicht damit abfinden, dass ihre Ehe zu Ende sein soll - sie führt sich auf wie eine Bekloppte und verdrängt traumwandlerisch alles, was in den letzten Jahren passiert ist.

Emilie bekommt einen anonymen Brief - ein wunderbarer, altmodischer, zauberhafter Liebesbeweis. Aber das Mädchen ist gerade falsch gepolt, also beschließt sie, die Tatsachen etwas zu frisieren: Der Verehrer wird sowieso ignoriert und den Brief schreibt sie ab und leitet ihn weiter an ihre Mutter - als wäre er von einem unbekannten Verehrer. Worauf die endgültig durchdreht. Mit ihrer flapsigen Art, die Wahrheit nicht zu überschätzen, hat sie übersehen, was unüberschaubare Lügengeflechte für Folgen haben können. Sie muss erst wieder schwindelfrei werden.

Französisches Star-Aufgebot

Pierre Salvadori hat mit Tautou vorher schon "Liebe um jeden Preis" (2006) gedreht, auch da setzte er auf den Charme seiner Hauptdarstellerin. "Zauberhafte Lügen" ist zwar als Gesamtpaket ein wenig durchschnittlich - aber mit seinen Schauspielern kann Salvadori umgehen, und er hat eine großartige Besetzung zusammen bekommen. Auch Bouajila ist in Frankreich ein Star, international kennt man ihn vor allem aus Rachid Boucharebs Filmen der letzen Jahre, große Polit-Dramen, "Les Indigènes" und "Hors-la-loi". Nathalie Baye spielt die Mutter Maddy, sie ist eine Kinolegende seit den Siebzigern, sie hat angefangen bei Truffaut und Godard - zweimal Godard, korrigiert Baye, und sie lebe noch.

Die Arbeit mit großen Regisseuren ist eben nicht notwendigerweise ein Spaziergang. Vielleicht liegt's daran, dass Nathalie Baye sagt, erst einmal habe sie sich bei "Bezaubernde Lügen" für das Drehbuch interessiert, den Regisseur Pierre Salvadori ins Herz geschlossen - und sich dann erst für die Rolle interessiert. "Weil", sagt sie, "sich diese Frau, die man für eine jüngere verlassen hat und die glaubt, in Liebesdingen sei für sie alles vorbei, sich transformiert in dem Moment, als der Brief kommt - plötzlich, mit einem Fingerschnippen, hat sie wieder Lust zu leben."

Amerikanische Komödien sind nur laut

Eigentlich ist ja Audrey Tautou derzeit Frankreichs große Komödiantin, aber der naive Irrsinn, mit dem Baye die Mutterrolle in "Bezaubernde Lügen" erfüllt, hat seinen eigenen komischen Drive - und das, obwohl sie ja eigentlich ein Trauerkloß ist, und auch objektiv betrachtet: Ihr wurde übel mitgespielt, und was ihre Tochter mit ihr anstellt ist zwar gut gemeint, aber sehr nett ist es dann letztlich auch nicht.

"Die Rolle verlieh mir Flügel", sagt Baye. "Pierre Salvadori hat sich, wenn er während des Drehs vor seinem kleinen Bildschirm saß, vor Lachen ausgeschüttet. Aber grundsätzlich sind Menschen, die so überrascht werden, komisch - jemand der so im Halbschlaf ist wie Maddy, das ist von Haus aus ist drollig."

Das Trio, Nathalie Baye, Audrey Tautou und Sami Bouajila, macht aus Salvadoris "Bezaubernde Lügen" dann noch ein wenig mehr, als die Geschichte auf dem Papier hergeben würde. Man kann die amerikanische romantische Komödie nicht mit der französischen vergleichen, sie ist ein ureigenes französisches Genre, aber sie funktioniert nach anderen Regeln als die kracherten Verwandten aus Übersee: leiser und verspielter, sehr elegant - und viel zu verdreht, um vorhersehbar zu sein.

DE VRAIES MENSONGES, F 2010 - Regie: Pierre Salvadori. Drehbuch: Pierre Salvadori, Benoit Graffin. Kamera : Gilles Henry. Schnitt: Isabelle Devinck. Musik: Philippe Eidel. Mit: Audrey Tautou, Nathalie Baye, Samie Bouajila, Stéphanie Lagarde, Judith Chemla, Cécile Boland, Didier Brice, Daniel Duval, Yilin Yang, Lan Qui, Patrice Bouret. Capelight Pictures/ Central, 105 Minuten.

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Quelle:
SZ vom 24.01.2012/rela
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