Favoriten der Woche:Es lebe das Popjahr 2022

Favoriten der Woche: Königin aller Königinnen, Spitzenreiterin der Meta-Bestenliste AOTY: Ihre Majestät, die Popkünstlerin Beyoncé.

Königin aller Königinnen, Spitzenreiterin der Meta-Bestenliste AOTY: Ihre Majestät, die Popkünstlerin Beyoncé.

(Foto: Chris Pizzello/dpa)

Wer die wirklich wichtigsten Alben des Jahres kennenlernen will, muss Meta-Kritikerlisten lesen: Diese und weitere Empfehlungen der Woche aus der SZ-Kulturredaktion.

Von SZ-Autorinnen und -Autoren

Hoch soll sie leben: die Meta-Kritikerliste

Die Listen-Saison im Pop hat wieder begonnen. Höchste Zeit für ein Lob der gern geschmähten Kritikerliste. Genau genommen, soll dies sogar ein Lob der Meta-Kritikerliste sein, wie sie etwa Seiten wie metacritic.com oder albumoftheyear.org (AOTY) erstellen. Denn Wertungen, die bei einer einzelnen Liste noch recht zufällig und subjektiv erscheinen, bekommen in aggregierten Zusammenschauen eine ganz andere Aussagekraft.

Für sein viel beachtetes "Music Year End List Aggregate" etwa wertet albumoftheyear.org die Jahresbestenlisten von 49 Pop-Zeitschriften, Zeitungen und Netz-Magazinen aus, von New York Times und Guardian über Billboard, Uncut und Rolling Stone bis Wire und pitchfork.com. Je nachdem, auf welchen Platz die Kritiker dort ein Album wählten, gibt es bei AOTY Punkte, für einen ersten 10, ein zweiter bringt noch 8 und so weiter.

Auf dem ersten Platz bei AOTY steht in diesem Jahr Béyonce mit ihrem Disco-Album "Renaissance", in den Top-5 folgen danach die aus Spanien stammende Avantgarde-Pop-Königin Rosalía mit "Motomami", Rap-Superstar Kendrick Lamar mit "Mr. Morale & The Big Steppers", das grandiose britische Rumpelrockduo Wet Leg mit "Wet Leg" und die amerikanische Indiefolk-Band Big Thief mit "Dragon New Warm Mountain I Believe In You".

Das sind allesamt wirklich hörenswerte Alben (wann passiert das in den Charts schon mal in den Top-5?), das von Rosalía ist sogar ein echter Pop-Meilenstein. Gegenüber den gängigen Charts oder Streaming-Listen, bei denen allein das eiskalte Primat der Popularität zählt, haben die Kritikerlisten allerdings auch noch zwei gar nicht geschmäcklerische Vorteile: Es geht zum einen wirklich um neue, also im laufenden Jahr veröffentlichte Musik; der meistgestreamte Song des Jahres auf Spotify dagegen war 2022 etwa "Stay" von Kid Laroi and Justin Bieber, der seit Juli 2021 in der Welt ist. Zum anderen kann es in den Kritikerlisten zu wirklich erstaunlichen Nachbarschaften kommen: Auf dem achten Platz der AOTY-Liste steht "Un Verano Sin Ti", das meistgestreamte Album des Jahres vom meistgestreamten Popkünstler des Jahres, dem Latin-Rap-Superstar Bad Bunny. Youtube-Abonnenten: 45 Millionen. Nur zwei Plätze dahinter: "I Love You Jennifer B" von Jockstrap, einem vielversprechenden Experimental-Elektropop-Duo aus London. Youtube-Abonnenten: 9180. Es lebe das Popjahr 2022! Jens-Christian Rabe

Favoriten der Woche: "Baby Yoda" - hier zu sehen auf einer Thanksgiving-Parade in New York - ist Teil der Popkultur geworden. Völlig zu Recht.

"Baby Yoda" - hier zu sehen auf einer Thanksgiving-Parade in New York - ist Teil der Popkultur geworden. Völlig zu Recht.

(Foto: Charles Sykes/AP)

Kurzfilm: "Zen - Grogu und die Rußmännchen", auf Disney Plus

Anfangs sind es ein paar Regentropfen, dann etwas Herbstlaub. Mehr braucht es nicht, um die Protagonisten in diesem Kurzfilm auf Disney Plus strahlen zu lassen. In "Zen" treffen Grogu, oder wie ihn "Star Wars"-Fans nennen, Baby Yoda, und die Rußmännchen aufeinander. Allein dem Mini-Großmeister mit lila Schlappohren und Riesen-Knopfaugen könnte man stundenlang zusehen. Aber dann kommen die flauschig wirkenden schwarzen Kügelchen dazu, bekannt aus Filmen wie "Mein Nachbar Totoro" oder "Chihiros Reise ins Zauberland". Die Handlung des drei Minuten langen Clips? Nun ja, ein Niesen Grogus ist schon das aufregendste, ansonsten beäugen sich die Wesen aus unterschiedlichen Welten, reißen die Augen auf, verfolgen sich. Das Ende dieser putzigen Begegnung? Zucker. Man guckt zu, ganz bezaubert und entschleunigt, Zen eben. Und natürlich verbirgt sich hinter so viel geballter Cuteness Größeres. Zunächst ist es nur mal die Zusammenarbeit zwischen Lucasfilm und Studio Ghibli, Fans hoffen aber bereits auf ein "Star Wars"-Anime. Bis dahin: erst mal ganz viel "ohhh". Carolin Gasteiger

Favoriten der Woche: Trevor Noah bei einem Auftritt in Toronto.

Trevor Noah bei einem Auftritt in Toronto.

(Foto: Matt Wilson/Netflix)

Comedy-Special: Trevor Noah bei Netflix

Sieben Jahre lang war der südafrikanische Comedian Trevor Noah Gastgeber der "Daily Show", jener Sendung, die Anfang des Jahrtausends mit Jon Stewart den amerikanischen Humor politisiert hat. Pünktlich zu seinem Ausstieg, den er bis vor wenigen Wochen geheim gehalten hat, hat Netflix sein neues Special veröffentlicht: "I Wish You Would". Man kann darin sehr schön erkennen, warum er der "Daily Show" müde geworden ist - zu viel Weltuntergansstimmung. In seinem Special gibt er sich dann also Mühe, wirklich nichts mehr ernst zu nehmen, vor allem nicht sich selbst. Er wolle weniger mit Politik zu tun haben, sagt Noah, das ist ihm allerdings hier noch nicht ganz gelungen, die Sichtweise ist bloß eine andere. Der rote Faden des Specials ist die heitere Seite der Debatte um kulturelle Aneignung. Und wer es nicht komisch findet, in welchen wüsten Bollywood-Kostümierungen der kanadische Premier Justin Trudeau 2018 in Indien aufgelaufen ist, hat wirklich keinen Sinn für Humor. Susan Vahabzadeh

Gespensterstunde im Radio: Die französische Stromvorhersage

Frankreich wird in diesem Winter heimgesucht vom Gespenst des Blackouts. Der stundenlange Stromausfall kann alle und überall treffen, theoretisch; praktisch aber gibt es eine gewisse Vorlaufzeit dank eines neuartigen medialen Angebots, der Stromvorhersage. Im öffentlich-rechtlichen Radiosender France Inter kann man nun allmorgendlich im Anschluss an die Wettervorhersage eine Prognose bezüglich der elektrischen Kapazitäten Frankreichs hören. In diesen Tagen war immer alles auf Grün, stand also genug zur Verfügung für pain grillé und die in Frankreich weit verbreiteten Stromheizungen, aber es war ja auch noch nicht besonders kalt - bis dann am Donnerstagabend in etwa 125 000 Haushalten in Paris die Lichter ausgingen, wohl wegen einer Transformatorpanne. Besonders die Kinder dürften interessiert lauschen, denn im Falle verschärften Strommangels sollen sie später zur Schule dürfen. Unklar ist, was passiert, wenn wegen Blackout auch das Radio nicht mehr zu empfangen ist. Nils Minkmar

Gesang: Meredith Monk "Recordings"

Favoriten der Woche: Ein Gesamtwerk von eigenwilliger Schönheit: "The Recordings" von Meredith Monk.

Ein Gesamtwerk von eigenwilliger Schönheit: "The Recordings" von Meredith Monk.

(Foto: ECM Records)

Vier Töne spielt das Klavier, vier Töne, leicht synkopiert, also mit einem kleinen Stolperer, einem sehr freundlichen Stolperer, spielt diese Töne wieder und wieder, bis sich eine Stimme darüber legt, die klingt, als wäre sie ein Instrument, als wolle sie von nichts künden als der Stimme selbst. Wie ein Instrument. Dann aber bricht diese Stimme aus in ein flirrendes Kichern, da käme kein Instrument mehr hinterher. Meredith singt hier, spielt auch selbst Klavier, in "Gotham Lullaby", dem ersten Stück der ersten Platte, die Monk für das Label ECM aufnahm, im Januar 1981 war das. Es ist nicht ihre erste Komposition, es ist nicht ihre erste Aufnahme - die wäre 15 Jahre älter, ihre Solo-Performance "16 Millimeter Earrings", als sie noch suchte, was für eine Art von Künstlerin sie sein wollte. Aber "Dolmen Music" ist eben das erste Album für ECM, elf weitere werden über Jahrzehnte folgen. Sie gibt es nun alle zusammen in einer Box mit einem Booklet, das Fotoalbum, Diskurs und Erzählung zugleich ist. Das Ganze zum Geburtstag: Am 20. November wurde Monk 80 Jahre alt.

Im Booklet ist ein Foto, auf diesem sieht man Meredith Monk und Manfred Eicher, den Chef von ECM, miteinander im Studio tanzen. Irgendwie unbeholfen, aber innig. Monk schreibt über diese erste Aufnahme für und mit Eicher: Nach dem ersten Take meinte Eicher nur, das sei wundervoll gewesen, während sie ihn darauf hinwies, dass an manchen Stellen ihre Stimme längst nicht so geschmeidig gewesen sei, wie sie sich das vorstellte. Er antwortete darauf nur, okay, wenn sie das meine, dann gehe er jetzt einen Kaffee trinken. Er kehrte zurück, und die Zusammenarbeit ging weiter, bis 2015 bislang, als Monk in New York "On Behalf of Nature" aufnahm. Für ECM.

Für Meredith Monk, Tänzerin, Sängerin, Instrumentalistin, Folk- und Rocksängerin (da war sie jung), Fluxus-Künstlerin (das war sie ein bisschen älter), Feministin, Performerin, steht immer die Stimme im Zentrum. Und wenn sie singt, hat man den Eindruck, der Gesang lausche sich selbst, verblüfft, amüsiert. Die (superkluge) Insichgekehrtheit könnte ins Esoterische lappen, wäre da nicht Monks Esprit, ihr geistreicher Witz, neben aller Emotionalität. Hört man sich durch die zwölf ECM-Alben, so hat man das Gefühl, man höre ein langes Lied. Springt man im Zehnjahresrhythmus vor, zur Oper "Atlas", zur transzendentalen Klage "Merci", zum letzten Requiem für die Natur, so lebt man mit dieser Stimme über eine lange Zeit hinweg, in der sich Monk allen kommerziell verwertbaren Strukturen verweigert - um ein Gesamtwerk von eigenwilliger Schönheit zu schaffen. Egbert Tholl

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