Beuys-Debatte:Mysterien im Hauptbahnhof

Hans Peter Riegel wirft Joseph Beuys seine Nähe zu Stukafliegern und Altnazis vor. Aber konnte der Künstler wissen, mit wem er es zu tun hatte? Tatsächlich suchte er die Nähe zu Figuren wie Petra Kelly.

Von Eugen Blume

In dem eben erschienenen "Director's Cut" seiner schon im Jahr 2013 veröffentlichten Beuys-"Biographie" vertieft der Autor Hans Peter Riegel die absonderliche Legende von "einem der bedeutendsten Künstler des 20. Jahrhunderts", der bis an sein Lebensende "völkisch-rassistisches" Gedankengut mit Altnazis und Stukafliegern diskutiert haben soll. Die von Riegel recherchierten Biografien, mit denen er Beuys kontaminieren will, gehören zweifellos in die alte Bundesrepublik.

In allen Bereichen der Gesellschaft arbeiteten nach dem Kriegsende Funktionäre des Dritten Reiches. Über die eigene Rolle zwischen 1933 und 1945 schwieg man. Weder wusste Beuys etwas über die dunkle Vergangenheit des im Büro für direkte Demokratie behilflichen Rentners Karl Fastabend, noch von den rassistischen Initiativen seines Schwiegervaters, des bis heute uneingeschränkt veröffentlichten Zoologen Hermann Wurmbach.

Über seine NS-Vergangenheit hat der Beuys-Sammler Karl Ströher sicher nicht mit dem Künstler gesprochen. Selbst wenn, Beuys sprach mit allen immer in der Hoffnung, sie für seine Ideen zu gewinnen. Der rechte Gründungsaktivist und Sprecher der Grünen, August Haußleiter, wie der rechtsextreme Werner Georg Haverbeck, der 1979 Berater für Umweltschutzfragen bei Egon Bahr war und 1978 von Erhard Eppler sogar in die Gustav-Heinemann-Initiative berufen wurde, waren für Beuys in den turbulenten Auseinandersetzungen um die erste ökologische Partei aktive Figuren, deren politische Überzeugungen er nicht teilte. Seine öffentlichen Auftritte mit der moralisch souveränen Petra Kelly zeigen deutlich, wessen Nähe er tatsächlich suchte. Beuys war nicht nur mit dem Nobelpreisträger Heinrich Böll befreundet, sondern auch mit dem Sozialdemokraten und Künstler Klaus Staeck und stand dem demokratischen Sozialisten Rudi Dutschke nahe. In Italien diskutierte er mit dem Kommunisten und Künstler Renato Guttuso, sein italienischer Freund und Galerist Lucio Amelio gehörte seit 1953 der kommunistischen Partei Italiens an. Beuys unterstützte die Westberliner Hausbesetzerszene, deren Häuser seinem Sammler und Mäzen Erich Marx gehörten.

Für ihn war das eigentliche Kapital nicht das Geld, sondern die schöpferische Intelligenz

Allerdings war Beuys kein Linker im marxistischen Sinne. Er verteidigte die Freiheit des Geistes gegen die stalinistisch infiltrierten Dogmen, forderte eine Neudefinition des Kapitalbegriffs und die Demokratisierung der Geldprozesse. Gegen das führende Unternehmen kapitalen Geldtransfers richtete er 1985 eine "Letzte Warnung an die Deutsche Bank - Beim nächstenmal werden Namen und Begriffe genannt". Für ihn war das eigentliche Kapital nicht das Geld, sondern die schöpferische Intelligenz des Menschen. Beuys kämpfte gegen die voranschreitende Austrocknung und Mumifizierung des Denkens in den westlichen Wohlstandsgesellschaften.

BEUYS

Geriet Rudi Dutschke über Beuys in die Nähe von Altnazis? Die politische Vergangenheit der Gründer der Grünen war nicht immer bekannt.

(Foto: Riverside Publishing)

Zweifellos ist der Lebensreformer Rudolf Steiner und dessen spirituelle Weltsicht ein wesentliches Element im Denken von Beuys, aber sein Werk beruht auf der originären Begabung und Intelligenz seiner Person. Den "Antennenmenschen" Steiner, wie Peter Sloterdijk ihn nennt, auf einen völkischen Rassisten zu verkürzen, folgt dem willkürlichen, unhistorischen Muster Riegels. Gegen anthroposophische Phrasen hatte Beuys, der seine Kunst anthropologisch verstand, eine Antwort parat: "Die Mysterien finden im Hauptbahnhof statt und nicht im Goetheanum."

Die Unternehmungen dieses "sich durch Kraftvergeudung ernährenden" Beuys, der 1964 seinen Lebens- und Werklauf für identisch erklärte und sich fortan öffentlich für seine Ideen verzehrte und in unzähligen Debatten jede Frage beantwortete ("Mit dummen Fragen fängt jede Revolution an"), reichen sicher für drei Biografien. Einen der lebendigsten Geister unter den Künstlern des 20. Jahrhunderts in einen ewig gestrigen Reaktionär verwandeln zu wollen, bedarf einer demagogischen Artistik. Beuys' "Schwarze Hefte" befassen sich mit der Zukunft des "Projekts Westmensch", und seine universalistische Botschaft "Jeder Mensch ist ein Künstler" führt jeden Verdacht einer völkischen, rassistischen Gesinnung ad absurdum. Jeder ist nun mal jeder, welchem Geschlecht und welcher Kultur er auch immer angehören mag.

Der Fall Beuys

Umgab sich Joseph Beuys mit ehemaligen Nationalsozialisten? Der Autor Hans Peter Riegel hat in einer Neuauflage seines Buchs "Beuys: Die Biographie" das intellektuelle Umfeld des bedeutendsten deutschen Künstlers der Nachkriegszeit untersucht. In einem Interview mit dieser Zeitung (SZ vom 9./10. Mai) kommt er zu dem Fazit, dass Beuys eine Nähe zu ehemaligen Nationalsozialisten und Vertretern völkischen Gedankenguts pflegte. Es habe gegen dessen "Germanentum" sogar Proteste an der Akademie gegeben. SZ

Man könnte es auf sich beruhen lassen, wenn Riegel nicht als selbsternannter Inquisitor durch die Öffentlichkeit geistern würde. Den Dokumentarfilm "Beuys" von Andres Veiel, der keinen völkischen Esoteriker entdeckt, diffamiert er öffentlich und hält dessen Auszeichnung mit dem Deutschen Filmpreis für eine Obszönität. Er unterstellt ihm das Festhalten an der sogenannten Tatarenlegende, an dem Absturz von Beuys' Flugzeug über der Krim und seiner Errettung durch Nomaden. Veiel zitiert eine Journalistin, die Beuys beharrlich fragt, ob es Fantasie oder die Wahrheit ist. Beuys Schweigen gibt der Fantasie den Vorzug. Der Film ist keine Hagiografie, sondern zeigt einen verletzlichen, widersprüchlichen und humorvollen Menschen, der für seine Ideen einstand.

Auch den Schüler und Künstler Johannes Stüttgen verdächtigt Riegel nationalrevolutionärer Texte, nur weil er über die "deutsche Frage" nach der Zukunft eines geteilten Landes in der falschen Zeit-schrift geschrieben hat. Nach diesen Einlassungen müsste man Museen, die Beuys ausstellen, fragen, warum sie nicht die Werke eines vom völkischen Denken, von der herrischen Präferenz des deutschen Geistes beherrschten Künstlers abräumen.

Der zwölf Jahre währende rassistische NS-Terror rief nach dem Krieg den tiefen Zweifel an der Fortsetzung von Kunst überhaupt hervor. Beuys hat es nach dem Nationalsozialismus als einer der wenigen Künstler vermocht, in seinen Werken eine offene Stelle aufzuschlagen, die nach Hans-Georg Gadamer das Wesen des Wahrheitsgeschehens im Kunstwerk ausmacht. Ganz offensichtlich soll dieser Beuys, dessen Stimme immer noch in die evidenten Widersprüche unserer von der Logik des Kapitals getriebenen Welt reicht, als nationalsozialistischer Esoteriker und "ewiger Hitlerjunge" denunziert werden.

Eugen Blume ist Kurator und Kunsthistoriker und leitete bis 2016 das Museum Hamburger Bahnhof in Berlin.

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