Süddeutsche Zeitung

Beuys-Ausstellung in Düsseldorf:Ablegen nach Ableben

Das können die Handwerker machen: Eine Ausstellung in Düsseldorf zeigt, wie man das Werk von Joseph Beuys vor verstaubter Musealisierung rettet.

Catrin Lorch

Joseph Beuys saß noch selbst hinter dem Steuer, als er "The pack (das Rudel)" in der Neuen Galerie in Kassel aufbaute: Langsam lenkte er den alten VW-Bus bis in die Ecke des großen Saales, wo er ihn, Frontscheibe zum breiten Durchgang, parkte und hinter der geöffneten Heckklappe 24 Schlitten arrangierte. Es sah so aus, als stürzten sie, ausgestattet mit fest verzurrter Stablampe, Filzdeckenrolle und einer kleinen Skulptur aus Butter und Bienenwachs, in militärischer Dreier-Formation hinter einem Anführer her.

Doch als Marion Ackermann, die Direktorin der Kunstsammlung des Landes Nordrhein-Westfalen, jetzt ihre Ausstellung "Joseph Beuys Parallelprozesse" zur Quadriennale im neuen Anbau ihre Hauses aufstellte, wirkte die Formation zunächst leblos. So richtete sie die Räder und Kufen kurzerhand anders aus, schließlich existiert ein altes, an einem Feldrand aufgenommenes Schwarzweißfoto, auf dem purzeln die Klappschlitten durcheinander wie Welpen vor der Hundekiste. Ein anderes Foto zeigt den Bus auf dem Kunstmarkt im Jahr 1969, wo sie sich eine Wand entlang drängeln, wie Schlittenhunde, die noch nicht ganz im Geschirr sind.

Die Aufstellung ist nun ähnlich locker gelungen, sieht bewegt aus und frisch - auch wenn der Kleinbus nicht mehr auf eigenen Rädern ins Museum fährt, sondern, von Restauratoren bewacht, auf Walzen und Rollen hineingleitet.

"So eine Installation ist ja keine Puppenstube", sagt Marion Ackermann, die, wie ihre Co-Kuratorin Isabelle Malz, zu einer Generation von Museumsmenschen gehört, die den 1986 gestorbenen Künstler nicht mehr selbst erlebt haben. Ihrem Katalogvorwort stellen sie selbstbewusst ein Beuys-Zitat aus dem Jahr 1975 voran, das ihnen gewissermaßen im Vorhinein Absolution erteilt: "Die Museen werden dadurch, dass andere Menschen hineinkommen, auch immer wieder anders mit den Dingen umgehen."

Der Titel ihrer mit 300 Arbeiten auf 3000 Quadratmetern umfassenden Ausstellung bezeichnet den Versuch, vor allem die Vernetzungsstrukturen des Werks sichtbar und "sinnlich erfahrbar" zu machen. "Die Person draußen lassen", war ihr Credo, sie wählten zehn Hauptwerke aus, gestalteten ein Umfeld entlang formaler oder inhaltlicher Kontexte und verzichteten auf dokumentarisches Material - nur in der Eingangshalle starrt Beuys als Filmloop auf seine Besucher und auf der Treppe ins Obergeschoss hört man ihn sein "neneneenenee, jajajajajaa" seufzen.

Lesen Sie weiter auf Seite 2, womit die Ausstellung überrascht.

"Die Abwesenheit seiner charismatischen, unermüdlich sich dem Dialog mit den Menschen hingebenden Persönlichkeit stellt die Kuratoren und Restauratoren vor brisante Entscheidungen", schreiben Ackermann und Malz, "dennoch hat Beuys wie kaum ein anderer Künstler seine Werke den Museen anvertraut. Im Vorgang des Ablegens gab er seinen Arbeiten jeweils eine neue Form und überführte sie in einen Zustand, in dem sie fortexistieren können."

Tatsächlich werden noch viele Generationen von Kuratoren sich mit dem 1921 in Kleve geborenen Künstler auseinandersetzen: Anders als bei vielen Kollegen aus dem Zwanzigsten Jahrhundert, bleibt die Rezeption seines Werks lebhaft, ja sie hat sich sogar schon fundamental fortentwickelt, seit Armin Zweite vor zwanzig Jahren an gleicher Stelle mit "Joseph Beuys. Natur. Materie. Form." den wichtigsten deutschen Künstler des 20. Jahrhunderts nach Düsseldorf, wo er gelebt, gearbeitet und gelehrt hatte, zurückholte.

Der Lehrer

Fast 25 Jahre nach seinem Tod diskutiert die internationale Kunstgeschichte noch immer neue Aspekte und führen sogar die Feuilletons alljährlich Diskussionen über biographische Details oder grundsätzliche Fragen. Und zu Anfang des bewegtbildvernarrten 21. Jahrhunderts sind Werke wie die Performance "I like America and America likes Me", seine Begegnung mit einem Koyoten in der Galerie von René Block in New York, Werke also, die zu Lebzeiten nicht unbedingt als zentral eingeschätzt wurden, weltweit berühmt und verbreitet.

Während der aus diesem Auftritt resultierende Film - als eigenständiges Werk - projiziert wird, muss man in Düsseldorf den politischen Menschen, den Lehrer, den Agitator aus seinem Werk herauslesen, der vor allem in Installationen wie "Vor dem Aufbruch aus Lager I" (1970/80) überzeugt: Ausgangsmaterial war die "Informationsstelle der Organisation für direkte Demokratie durch Volksabstimmung", die Beuys in der Düsseldorfer Altstadt bis zum Jahr 1980 betrieb. Vor Kreidetafel, Lampe, Pult stellte er sieben braungestrichene Holzelemente, die dem ausrangierten Mobiliar dauerhaft Präsenz und Rhythmus unterschieben.

In der Ausstellung gilt es zunächst, viel Material aus der Frühzeit zu verdichten, weswegen die Ausstellungsarchitekten des Büros Kuehn Malvezzi der Halle im Erdgeschoss vier Kabinette einzogen, die den Blättern, Skizzen, Multiples, Bronzen, Collagen, Materialbildern und Büchern Raum geben. So blickt man einerseits vom "Torso", der auf 1949/51 datiert und damit zu Studentenzeiten des Kriegsheimkehrers bei Ewald Mataré an der Düsseldorfer Akademie entstand, über die "Badewanne" (1960) bis zum Rudel.

Andererseits begegnet der fragile Torso mit seinen knotig-weich verlängerten Arm-, Bein- und Halsstümpfen unmittelbar dem schlicht geformten "Paar" vom Anfang der Fünfziger Jahre, Liegenden, die wie gekippte Standfiguren wirken. Man wird sich an sie erinnern, wenn man, ein paar Meter weiter, eine "ultravisible" Zeichnung entdeckt, die einen Frauenakt in die Diagonale des Bogens legt, nackt und fast unsichtbar.

Das Diktum vom "Ablegen" überzeugt vor allem vor der "Honigpumpe am Arbeitsplatz", die Beuys im Jahr 1977 für die documenta 6 im Kasseler Fridericianum installierte: Was bleibt, wenn man die Kunst wieder ausbaut? Eine gerippte Doppelhantel, lang und massiv wie ein Traktor, zinkfarbene Rohre, ein Schaltkasten mit gilbiger Plexiglashaube, silberglänzende Riesendosen, vier kleine Krüge und viele Meter durchsichtiger, schwarzfleckiger Plastikschlauch - aber der Gestank, der damals mit Honig und Butter durch die Großausstellung waberte, ist längst weg und die Bewegung auch.

Der Puls war noch da

Im halbkreisförmigen Treppenschacht arbeitete die Maschine als geschlossener Organismus; als Beuys sie das erste Mal für eine Ausstellung im Guggenheim-Museum in New York ablegte, zog er die Konstruktion auseinander - Überreste, die weniger als Bausatz dalagen denn wie Knochen und Innereien, die nach einer Notschlachtung dem Beschauer vorgeführt werden; etwas vom Puls war noch da.

Düsseldorf orientiert sich an dieser Variation, anders als der gegenwärtige Besitzer, das dänische Louisiana-Museum. Unter der weiten Lichtdecke des Obergeschosses sind es nun die Einzelteile der Honigpumpe, die den zerstreuten Klavieren, Kreidetafeln und Basaltbrocken aus den siebziger und achtziger Jahren Halt geben.

Auch im Erdgeschoss, wo im hohen Seitenlichtsaal die drei Installationen "Zeige deine Wunde" (1974/75) "Palazzo Regale" (1985) und "Blitzschlag mit Lichtschein auf Hirsch" (1958 bis 1985) gezeigt werden, entsteht kein Nacheinander, sondern eine funktionierende Saalflucht, wo mit der Verteilung von Leichenbahren, Goldtafeln, goldgefassten Vitrinen, Bronzegüssen nicht nur die Elemente von Installationen, sondern auch Kraftzentren austariert wurden.

Zwar wurden inzwischen Werke wie "Das Ende des 20. Jahrhunderts" von der Münchner Pinakothek der Moderne mit Lasertechnik vermessen - doch nutzt die statische Positionierung so großer plastischer Entwürfe nicht viel, wenn hinterher der Lichtschein eines Fensters fehlt oder der Zugang ganz woanders liegt.

Der Ausstellung in der Landessammlung ist in ihrer Akkuratheit und Offenheit eine überraschende Balance gelungen: Beispielhaft zeigt sie, wie man ein Werk zugänglich macht, das sich selbst, bei aller Größe und Wirkmacht, der Monumentalisierung vorausschauend entzog.

Beuys hat die Musealisierung seines Werkes ebenso antizipiert wie die Schimmelbildung, Verbleichen oder Wachstum. Mit dem "Ablegen" hat er den Ausstellungsmachern das entscheidende Verb vorgegeben - und es ist bezeichnend, dass die Düsseldorfer Version der vieldiskutierten Arbeit "Blitzschlag mit Lichtschein auf Hirsch" überzeugender wirkt als in ihrem Zuhause in Frankfurt. Nicht nur, weil man die Wegerichtung der Besucher genau kalkuliert, deren Blick hier zunächst auf die längsgezackte Seitenlinie der hängenden Bronze trifft oder weil man die Aufnahmen früherer Versionen auswertete wie Beweisfotos. Sondern auch, weil die Spezialisten das Ausstreuen der umherliegenden Brocken zum Schluss einfach den Handwerkern überließen. Etwas, das war der Auftrag, sollte auch einfach abgelegt werden.

"Joseph Beuys. Parallelprozesse", bis 16. Januar 2011 in der Kunstsammlung des Landes Nordrhein Westfalen in Düsseldorf. Der Katalog kostet 49,90 Euro. Info: www.kunstsammlung.de

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Quelle:
SZ vom 09.09.2010/rus
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