Nachruf auf Bettina Gaus:Die Welt-Bekannte

maischberger die woche am 04 09 2019 im WDR Studio BS 3 in Köln Bettina Gaus zu Gast in der ARD Tal

Sie verstand es, Schärfe durch Humor zu mildern: Bettina Gaus, hier im Jahr 2019.

(Foto: imago stock/imago images/Revierfoto)

Die große Journalistin und Autorin Bettina Gaus ist gestorben.

Von Nils Minkmar

Ihre Nachricht kam kurz vor Mitternacht über den Facebook Messenger. Ich hatte eine Talkshow rezensiert, in der sie zu Gast gewesen war, mich aber auf den Rechtsdrall der Sendung konzentriert, und nun sorgte sie sich, dass Personen, die nicht die ganze Sendung gesehen haben, glauben könnten, auch sie habe sich dem in dem Format herrschenden AfD-freundlichen Diskurs angenähert. Ich habe ihre Mitteilung erst am Morgen gesehen, und ein kurzer, sehr freundlicher Dialog entwickelte sich. Sie schrieb: "Mir ist schon klar, dass sich das so anhört, als sei ich beleidigt. Aber wenn ich so darüber nachdenke, dann ist das ja auch wahr: Ich BIN beleidigt."

Sie hatte völlig recht, und ich machte mich sogleich daran, meinen Text dahin gehend zu ergänzen und auf ihre rühmliche Sonderrolle hinzuweisen. Dann kam wieder eine Nachricht: Nein, bitte nicht! Das wirkt dann wirklich wie "bestellt". Schwamm drüber.

Aber da hatte ich es längst geändert.

Sie schrieb: "Oh - zu spät, wie ich sehe. Na gut - danke!"

Bettina Gaus zeichnete sich nicht nur durch Genauigkeit des Intellekts und ein enormes Wissen aus, sondern auch durch ihre spezifischen Umgangsformen. Ihr lag viel an Offenheit, aber sie verstand es, Schärfe durch Humor zu mildern.

In einer perfekten Welt hätte sie die großen Posten im deutschen Journalismus bekleidet, die Blätter geleitet und geprägt. Doch die Branche neigt aus komplizierten historischen Gründen zur Provinzialität, und das Ausland ist selten ein Thema, mit dem Karriere gemacht wird.

Bettina Gaus wurde 1956 geboren, ihr Vater Günter war Diplomat, Chefredakteur des Spiegel und der legendäre Moderator der Reihe "Zur Person". Nach dem Studium in München wurde sie Redakteurin der Deutschen Welle und berichtete später für die taz aus Afrika. Ihr Wissen über die Welt, über Afrika, aber auch die USA, Südamerika und Asien war kaum zu übertreffen. Das hatte für sie eine politische Dimension, es war ein Ausdruck des Machtgefälles, das sich auch im Journalismus abbildet: "Je weniger Macht jemand hat, desto mehr weiß sie oder er über die Mächtigen. Wer sich in Afrika für Politik interessiert, kennt die Verhältnisse in Europa und den USA viel besser als umgekehrt. Hierzulande sind wir übrigens auch genauer über die Vereinigten Staaten informiert als die Menschen dort über uns."

Statt zu wettern und zu klagen, vertraute sie auf ihren Humor

Das schrieb sie in ihrer heute noch lesenswerten Abschiedskolumne für die taz, bei der sie seit 1990 war. Sie warnt dort davor, die Ohnmächtigen zu unterschätzen, nichts über sie wissen zu wollen, das führe in die Katastrophe. Aber was ist die Entsprechung zur Berichterstattung in Deutschland? Wer sind die Ohnmächtigen? Immer die, die sich als solche bezeichnen? Bettina Gaus sorgte für frische Fragen, für die Lieferung ideologisch geprüfter Textbausteine war sie nicht zuständig.

Ihre Neugier zeigt sich besonders in ihren Büchern, deren Lektüre sich immer lohnt. In dem schönen "Auf der Suche nach Amerika" folgt sie den Spuren des großen John Steinbeck. Dabei überrascht sie ihr Publikum mit teils skurrilen Kurzporträts und ihren eigenen Gedanken. Einmal beklagt sie, dass Waren heute nur noch im Container transportiert werden und man gar nicht mehr erkennen kann, was in der jeweiligen Region so produziert wird. Jahre vor dem Aufstieg von Donald Trump registriert sie schon das Auseinanderdriften des Landes. Aber sie wettert und klagt nicht, sondern vertraut auf ihren Humor, als ihr eine gewisse Joanne Mangels, die rassistische Leiterin eines Heimatkundemuseums eröffnet, das größte Problem im Land seien die Schwarzen.

Gaus schreibt: "Irgendwann habe ich genug. Ich lächle sie ganz lieb an und sage: ,Mein Mann ist übrigens schwarz.' Die Scheidung ist mir vorübergehend entfallen. Joanne Mangels öffnet den Mund. Schließt ihn wieder. Öffnet ihn erneut. Schließt ihn wieder. Dann sammelt sie sich und holt mit letzter Kraft zum Gegenschlag aus: ,Ihr Deutschen habt schließlich die Juden umgebracht.' Interessanter Hinweis an diesem Punkt der Unterhaltung. Ich antworte: 'Stimmt. Und dafür schämen wir uns bis heute.' Das Gespräch endet frostig."

Bettina Gaus schrieb bis zuletzt ihre bemerkenswerten Kolumnen, die fast jedes Mal Debatten auslösten. Mitten im Bundestagswahlkampf rechnete sie mit Annalena Baerbock ab und empfahl den Grünen, die Spitzenkandidatin noch auszutauschen. In ihrer letzten Kolumne ging es am Rande der Bild-Affären um das Thema Liebe am Arbeitsplatz. Gaus wehrte sich gegen die Vorstellung, die Frau sei in solchen Beziehungen immer das Opfer, und berichtete von ihrer guten Erfahrung mit solch einer Liebesbeziehung.

Mit ihrem Tod, der schon vor einigen Tagen eintrat, aber auf Wunsch der Familie nicht sofort bekannt gegeben wurde, wird es in der deutschen Öffentlichkeit schlagartig ernster, spießiger, auch dunkler. Es ist ein deutscher Tag der Trauer.

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