Beth Ditto im Gespräch:"Ein bisschen eigenartig und ein bisschen punkig"

Rock am Ring 2010

"Besonders, wenn man meine Größe trägt, müssen Kleider sitzen, ohne einzuengen", sagt die Musikerin und Modedesignerin Beth Ditto.

(Foto: dpa)

Die Sängerin Beth Ditto entwirft jetzt auch Mode: Ein Gespräch über Schönheitsideale, die Vorteile von Etikettierungen und ihre Jugend in einem protestantischen Kaff.

Von Harald Hordych

Über die Power und die emotionale Kraft von Beth Ditto ist schon viel geschrieben worden, man muss also keine Wort mehr darüber verlieren, beim Interview in einem Pariser Hotel. Aber an diesem Frühlingstag bleibt doch keine andere Wahl, denn die Sängerin ist in ihrer Kraft erheblich beeinträchtigt. Beth Ditto, die mit der Band Gossip und Hits wie "Men in Love" und "Vertical Rhythm" Berühmtheit erlangte, sitzt auf einem weißen Sofa, ein Bein liegt auf einem Schemel, und der Fuß ist umhüllt von allen Kühlpads, die auf die Schnelle im Hotel aufzutreiben waren. Als sie die Treppe hinunterstieg, ist sie umgeknickt. Ein Betriebsunfall, der die Betriebstemperatur einer sehr energiegeladenen Frau erstmal nach unten sinken lässt.

Erst Musik, dann Mode

Aber nur kurz - Beth Ditto aus Searcy in Arkansas ist in ihrem Tatendrang auch durch solche Unannehmlichkeiten nicht zu bremsen. In Paris ist sie, weil sie nach dem Ausstieg aus der Band und der Entscheidung, ihre Solo-Karriere voranzutreiben, ein weiteres Betätigungsfeld gefunden hat. Sie entwirft jetzt auch Mode. Konsequenterweise ist ihre erste Linie für Frauen entworfen, die wie sie mit der Konfektionsgröße 34 nicht wirklich etwas anfangen können, schon gar nicht Kleider in dieser Größe kaufen und anziehen.

Beth Ditto geht einfach von sich selbst aus: "Besonders, wenn man meine Größe trägt, müssen Kleider sitzen, ohne einzuengen. Das gibt es bisher nicht auf dem Plus-Size-Markt: Kleider, in denen man sich wohl und gleichzeitig sicher fühlt." Und da sie sich keinerlei Illusionen hingibt, was ihre eigene Erscheinung angeht, schiebt sie lässig die Bemerkung hinterher: "Meine Kleider müssen natürlich auch nach mir aussehen: ein bisschen eigenartig. Und natürlich punkig."

Die Vorteile der Etikettierung

Ein Gespräch über Mode soll dieses Interview werden und natürlich über Rollen in der Gesellschaft, die mit Kleidung ausgedrückt und zementiert werden. Beth Ditto die "Lesbische Rockerbraut"? Beth Ditto die ewige Außenseiterin, die sich nur in ihrer Gruppe, vor allem also in der homosexuellen Szene, sicher und akzeptiert fühlt? Beth Ditto hält nichts davon, sich lange mit den negativen Aspekten der Abschottung und vermeintlichen Diskriminierung abzugeben, viel lieber spricht sie über die Vorteile der Etikettierung, zum Beispiel, dass sie ihre "Schublade nutzt", um sich nach Menschen umzuschauen, die "zu meiner Minderheit gehören . Das macht mich und meine Minderheit stärker."

Früh gelernt zu kämpfen

Die 35-Jährige geht pragmatisch und mit viel Lebenserfahrung an die Dinge heran. Ganz selbstverständlich werden ihre familiären Wurzeln zum Thema des Gesprächs. Es geht um eine Frau, die das Kämpfen früh gelernt hat, die aus dem Muster der gängigen Schönheitsideale hinausfällt, die lesbisch ist und aus einem protestantischen Kaff stammt. Die als Kind missbraucht wurde. Und die mit sechs Geschwistern und einer alleinerziehenden Mutter aufwuchs. Gemeinsames Abendessen lernte sie erst kennen, als sie bei Freundinnen übernachtete: "Wir haben das nie getan. Ich hatte keine Ahnung, dass Menschen sich zusammen an einen Tisch setzten und zu Abend aßen. Wir aßen, was wir fanden, jeder für sich. Wir haben nicht gehungert, aber wir haben den größten Mist gegessen."

Aus dem langen Gespräch über Mode, das Gabriela Herpell in Paris geführt hat, wird überraschend ein Gespräch über Armut. Wie man ihr entkommt und was sie aus Menschen macht.

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