Das Beste an der Wüste ist, dass dort so ungeheuer viel Platz ist. Wenn man auf die marokkanische Stadt Ouarzazate am Rande der Sahara zufährt, sieht man seltsame Bauten im Sand, die von Ferne so aussehen wie mittelalterliche Ruinen. Dann kommen am Straßenrand zwei Filmstudios - das eine hat sich auf Innenaufnahmen spezialisiert, im anderen gibt es fest stehende Straßen und Häuser wie aus einer anderen Zeit. Ist aber alles in den vergangenen Jahren entstanden - auch die Bauten, die man in der Wüste sieht: Die einen dienen als altes Rom für jeden Filmemacher, der eine solche Kulisse brauchen kann. Die anderen meist als altes Jerusalem, sie haben unter anderem in Ridley Scotts "Königreich der Himmel" mitgespielt.
Überhaupt kennt in Ouarzazate jeder Ridley Scott, und zwar persönlich. Er hat hier in den letzten Jahren all seine Filme gedreht, nicht nur "Königreich der Himmel", sondern auch "Gladiator", "Black Hawk Down" und "Body of Lies", immer mit derselben Crew. Ouarzazate wurde schon vor fünfzig Jahren als Kulisse entdeckt, schon "Lawrence von Arabien" wurde hier gedreht. Und inzwischen hat sich die ganze Stadt aufs Kino spezialisiert.
In den beiden Studios, dem von Dino De Laurentiis begründeten CLA und Atlas -Film, die inzwischen zusammengehören, wurden auch "Prince of Persia" (2010), Oliver Stones "Alexander" (2004), Alejandro González Iñárritus "Babel" (2006), Bertoluccis "Himmel über der Wüste" (1990) gedreht, ebenso Tony Scotts "Spy Game" (2001), und "The Mummy" (1999). Auch Martin Scorsese war mehrmals hier - die Halle, in der der Dalai Lama in "Kundun" residiert, das Regal mit den nachgemachten Schriftrollen, die er liest, das hat man im CLA-Studio stehen lassen, als Touristenattraktion.
Ouarzazate liegt am Fuß des Atlas, im Umkreis von hundert Kilometern gibt es jede erdenkliche Landschaftsform, Gebirge, Wüste, üppige Vegetation, einen riesigen See, der fürs Kino auch gern mal ein Meer darstellt. Hier einen Film zu drehen, ist wesentlich günstiger als in den USA oder Europa - weil die Löhne niedrig sind. In der Halle liegen die Holzleichen aus "Gladiator" auf den Streitwagen, aber eigentlich sind hier vor allem Filme gedreht wurden, die viele lebende Komparsen brauchten - 3000 waren es bei "Gladiator".
In den Komparsenkarteien sind die unterschiedlichsten Typen gespeichert, in Marokko gibt es ein breites Spektrum von sehr hellhäutigen bis zu sehr dunkelhäutigen Menschen. Sogar ein Dorf, aus dem viele Männer für die Franzosen in Indochina gekämpft haben - viele der Männer haben damals dort geheiratet und die Frauen mitgebracht. Die Nachkommen spielen heute in Hollywoodfilmen die Chinesen.
Lesen Sie weiter auf Seite 2, warum die Region Ouarzazate Drehort Nummer eins in Afrika ist.
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Als Drehort in Afrika ist die Region Ouarzazate die Nummer eins, aber einheimische Produktionen gibt es hier fast nicht - die wenigen Filme, die in Marokko gedreht werden, brauchen keine historischen Kulissen und keine riesigen Studiohallen. Das westliche Kino aber braucht sie sehr wohl - für die Region bedeutet das Arbeit. Dass das Kino und der Tourismus, der ihm gefolgt ist, der Stadt tatsächlich geholfen haben - das glaubt man sofort, wenn man die Straße über das Atlasgebirge dorthin gefahren ist, die ärmlichen Dörfer auf dem Weg gesehen hat. Im Vergleich wirkt Ouarzazate trotz der vielen Bauruinen und halbfertigen Straßen wohlhabend.
Damit ein wenig mehr vom Reichtum Hollywoods tatsächlich bei den Einheimischen hängenbleibt, gibt es inzwischen eine Filmschule - hier werden Kulissenbau und Technik gelehrt, für die besser bezahlten Jobs hinter der Kamera. Die Kosten für einen Dreh betragen in Ouarzazate nur die Hälfte von dem, was man in Westeuropa bezahlen müsste, aber das summiert sich. Die Arbeit an manchen Fernsehserien dauert Monate - eine hieß "Die Passion Christi". Kommt es den Einheimischen nicht seltsam vor, dauernd in christlichen Filmen mitzuspielen und Kirchen zu bauen? Aimad, der Student ist, nebenher als Komparse arbeitet und außerdem Touristen durch die Filmstudios führt, findet das nicht. "Vier Monate Arbeit für 10000 Leute", sagt er lapidar.
Die Finanzkrise von 2008 hat Marokkos Geschäft mit dem Kino stark beschädigt - die großen Hollywoodstudios genehmigten weniger Filme und gaben weniger Geld aus. Aber Ouarzazate war mit einem Umsatzrückgang von 25 Prozent davon nicht so stark betroffen wie die restliche Filmwirtschaft des Landes, die einen Rückgang von 40 Prozent verkraften musste. "So pervers es klingt", sagt Abdessadek El Alem von der örtlichen Filmkommission, "wir profitieren vom Terrorismus - denn der hat im Kino Themen modern gemacht, für die Marokko eine gute Location ist." Der Nahe Osten ist zwar weit weg, aber fast immer, wenn man ihn im Kino sieht, sieht man eigentlich Marokko - weil es hier die Infrastruktur gibt, und weil Marokko viele Jahre lang das stabilste, sicherste Land in der Region war. Ob das so bleibt, wird sich zeigen - die Demonstrationen in den islamischen Ländern erreichen gerade auch Marokko.
Im Augenblick bereitet sich Ouarzazate auf ein neues Großprojekt vor, das durch Instabilität in der Region gefährdet wäre - auch der nächste Film von Ridley Scott, "Prometheus", soll hier gedreht werden: ein Science-Fiction-Epos mit Noomi Rapace und Michael Fassbender. Es wäre der Schritt in die Zukunft für Ouarzazate - ein Film, der nur im Studio gedreht wird und auf Spezialeffekte setzt, der Wüste und Landschaft der Umgebung gar nicht mehr braucht - das wäre ein Novum.
Eine wacklige Konstruktion ist Ouarzazate so oder so. Fast alles ist hier falsch und künstlich - nicht nur die zurückgelassenen Bauten in den Studios, die ägyptische Tempelanlage aus "Asterix und Kleopatra", auch das kleine Filmmuseum im Stadtzentrum ist aus Pappmaché. Die Gemeinde hat es in einer übriggebliebenen Kulisse eingerichtet, es gibt einen Raum mit Kostümen und Requisiten und alten Projektoren, der Rest des Gebäudes beherbergt unter anderem die Gemächer, in denen Pontifex John Goodman in Sönke Wortmanns "Päpstin" residierte. Man könnte sie allerdings auch aus anderen Filmen kennen - die Räume werden immer wieder benutzt.
Ein paar Damen aus dem Hotel gegenüber, erzählt der Direktor des Filmmuseums, sind mal in Ohnmacht gefallen, als ihnen ein paar Männer mit falschen Holzgewehren entgegenkamen, auf dem Weg zur Arbeit am Set. Als man sich entschlossen hatte, das papierne Gebäude zu behalten, musste erst mal ein richtiges Dach her - sonst hätte der nächste Regen den neuen Filmtempel weggeschwemmt. Dieses Dach sollte dann auch gleich die Weltoffenheit demonstrieren, die man braucht, wenn man amerikanische Filmemacher anziehen will - oben drauf wurden Kreuz, Menora und Minarett installiert. Auch das kommt einem vor wie eine übertriebene, künstliche Geste: inszenierter Freigeist.
Vielleicht kann es doch kein Richtiges im Falschen geben.
Ein Kino hat Ouarzazate nicht - das letzte wurde schon lange geschlossen. In Marokko kostet eine Kinokarte 25 Durham, das kann sich kaum jemand leisten. Aber Abdessadek El Alem will auch das noch hinbekommen: Es soll ein kommunales Kino geben, den Raum hat man schon. Bis dahin organisiert eine Restaurantbesitzerin im Ort, eine Französin, gelegentlich Vorführungen. Die Filme, die hier gedreht werden, sagt der Führer Aimad, haben viele der Leute, die daran mitgearbeitet haben, nie gesehen - er selbst hat sich die meisten angeschaut. Zu Hause vor einem kleinen Bildschirm, auf DVD.