Besuch bei William Eggleston:"Menschen sind nicht attraktiv"

Fotograf William Eggleston hat das Bild Amerikas stark geprägt. Indem er sich allen Konventionen widersetzte, revolutionierte er die Farbfotografie. Ein Besuch in Memphis - und seine schönsten Bilder.

J. Häntzschel

9 Bilder

William Eggleston, Untitled (Naked T.C. on couch), Eggleston Artistic Trust, Courtesy Cheim Read, New  York

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Minutenlang fällt kein einziges Wort. William Eggleston stemmt sich die Sofalehne hoch, beugt sich langsam vor, um abwesend in einem alten Artforum auf dem Couchtisch zu blättern. Er öffnet einen Bildband und lässt auch diesen wieder aus seinen langen Fingern gleiten. "Mmmmh" knurrt er und krümmt sich zu dem kleinen Tischchen daneben, um eine jahrzehntealte Canon in die Hand zu nehmen. Wortlos legt er sie zurück.

Kurz bevor Düsternis und Schweigen alles verschlucken, schlägt er in zwei, drei kaum verständlichen Wortbrocken vor, auf der Terrasse eine rauchen zu gehen, und klappt mühsam die Glieder seines langen, unglaublich dünnen Körpers auf wie ein Schweizer Taschenmesser.

Eggleston, Amerikas bedeutendster zeitgenössischer Fotograf, hat das Bild von diesem Land geprägt wie kaum ein anderer lebender Künstler. Er ist der Porträtist jener einzigartigen amerikanischen Welt aus vagen Vorstadtbrachen mit ihren Automärkten, Tankstellen, desolaten Kneipen und dem Zierat aus Neonleuchten und Werbeschildern, das sie umgibt. Menschen hasten orientierungslos durch seine Bilder oder stehen erstarrt wie im Licht eines Autoscheinwerfers.

Heute, auch weil wir uns sattgesehen haben an der digital frisierten Monumentalfotografie von Künstlern wie Andreas Gursky, ist er einflussreicher denn je. Künstler wie Wolfgang Tillmans starteten ihre Karrieren als Bewunderer von Egglestons Blick. Und fühlten sich befreit von seiner Schnappschuss-Ästhetik, der die Lebendigkeit und Weltnähe des Bild wichtiger ist als dessen technische Perfektion. Ab Freitag feiert das New Yorker Whitney Museum Eggleston mit einer großen Retrospektive, die Thomas Weski vom Münchner Haus der Kunst organisiert hat.

Foto: William Eggleston, Untitled (Naked T.C. on couch) Greenwood, MS, 1972, © Eggleston Artistic Trust, Courtesy Cheim & Read, New York Text: SZ vom 04.11.08/pak

William Eggleston, Untitled, from Los Alamos, 2003, Eggleston Artistic Trust, Courtesy Cheim Read, New  York

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In Egglestons Haus in Memphis mit seinen alten Möbeln und seinen bunten Glasfenstern sind keine Spuren der banalen Welt seiner Fotos zu finden.

"Halb Hollywood, halb Italien", beschreibt er es treffend. Geld, Zigarettenschachteln, Kameras und Bücher liegen auf dem Teppich. Und so schludrig-elegant wie es hier aussieht, ist Eggleston auch gekleidet. Weißes Hemd, dunkle Hose, weiße Schuhe und eine Krawatte, die er ohne Knoten um seinen dünnen Hals trägt wie ein Star in der Garderobe. Eggleston, der erschöpfte Dandy, ließ sich früher gerne in Reitstiefeln und mit Schrotgewehr in der Hand fotografieren, dabei spielte er schon damals am liebsten Bach.

Unbeholfen hat er sich auf die Mauer seiner Terrasse gesetzt, deren Pflaster die Wurzeln einer alten Magnolie mit drei Stämmen langsam heben. Ihr Laub hat sich im leeren Swimmingpool gesammelt.

Wenn er mal eine seiner seltenen Bewegungen macht, klappern die Eiswürfel in seinem Glas. Er hält es, als sei Whiskey darin, dabei ist es nur Wasser. Er ist 69 Jahre alt, aber es war eher der Alkohol, der ihn altern ließ als die Zeit.

Eggleston entstammt einer alten Südstaatenfamilie, amerikanischer Landadel mit einer 4000 Hektar großen Baumwollplantage zwei Stunden südlich von Memphis. "Andere Leute" machten die Arbeit, aber auch ihr Boss wollte Eggleston nicht sein. Er studierte ziellos - bis er Henri Cartier-Bressons Band "The Decisive Moment" und Robert Franks "The Americans" sah, dann wusste er, was er mit seinem Leben vorhatte.

"Anfangs dachte ich, solche Bilder könne man nur in Paris machen. Dann entdeckte ich, dass es hier genauso viel zu sehen gab."

Die Emanzipation von seinen Vorbildern gelang ihm, als er begann, Farbfilm zu verwenden. Kein ernsthafter Fotograf tat das damals. 1969 packte er seine Drogerieabzüge in einen Koffer, fuhr nach New York und drang bis zu John Szarkowki durch, dem einflussreichen Fotografie-Kurator des Museum of Modern Art, der zwei Jahre zuvor Diane Arbus, Lee Friedlander und Garry Winogrand über Nacht bekannt gemacht hatte.

Foto: "Der Flug war pünktlich, das Flugzeug fast leer. Sie erhoben sich über die Stadt, zogen eine Kurve und ließen die Hochhäuser der Innenstadt südlich liegen, während sie über eine große Leere hinweg weiter stiegen: Die Felder von Indiana, durchschnitten vom Interstate 90 - die Kleeblätter der Kreuzungen, die Parkplätze in ein dumpfes Orange getaucht." (Stewart O'Nan: "Songs for the Missing", New York 2008). William Eggleston, Untitled, from Los Alamos, 2003, private collection Greenwood, MS, 1972, © Eggleston Artistic Trust, Courtesy Cheim & Read, New York

William Eggleston, Untitled (Woman walking on sidewalk) Las Vegas, NV, circa 1965 - 1968, Eggleston Artistic Trust, Courtesy Cheim Read, New  York

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Sieben Jahre später präsentierte Szarkoswki dort Egglestons erste Einzelausstellung, "William Egglestone's Guide", und sorgte damit für einen Skandal.

"Langweilig" und "banal" fanden die Kritiker seine Bilder. Es sei die "schlechteste Fotografieausstellung des Jahres". Eggleston scherte sich nicht drum - so sagt er zumindest heute: "Mir taten die Kritiker leid dafür, dass sie nichts verstanden."

Schockierend war nicht allein die Tatsache, dass Eggleston in Farbe fotografierte. Auch seine Technik, seine Kompositionen, seine ganze Ästhetik widersprachen allem, was von einem guten Bild erwartet wurde.

Statt seine Farben dezent zu komponieren, lässt er sie ungehemmt aufeinanderknallen. Statt ein Objekt, vorzugsweise einen Menschen, in den Mittelpunkt zu rücken, wie es die Malerei jahrhundertelang getan hatte, wirken seine Bilder oft, als reiße sie die Fliehkraft auseinander, als habe der Fotograf nicht durch den Sucher geschaut. Und statt wie Walker Evans die Frontalansichten zu suchen, fotografiert Eggleston scheinbar achtlos aus allen möglichen Winkeln.

Was Eggleston nicht ist, verstand das Publikum sofort: Er ist kein Dokumentarist; kein Ethnologe; er sperrt Symbolik und Überhöhung aus seinen Bildern aus; und auch Abstraktion ist nicht sein Ziel.

Die Lampe unter der tiefroten Decke in "Red Ceiling" (1973), einem seiner bekanntesten Bilder, ist einfach - eine Lampe. Ganz selten nur scheinen seine Bilder aus den Vorstädten von Memphis jene Geschichten-Fragmente zu erzählen, wie sie jüngere Fotokünstler wie Jeff Wall oder Gregory Crewdson aufwendig inszenieren: eine scheinbar blutige Axt liegt auf einem Grill; ein Kind liegt - tot? - in einer leeren Garage.

Es sind diese wenigen Bilder, die viele Kritiker dazu verleiten, in Egglestons Werk eine unheimliche Bedrohung zu entdecken, die unter der Oberfläche der braven Mittelklassewelt lauere. Doch nichts interessiert Eggleston weniger. "Ich denke nicht so."

Foto: William Eggleston, Untitled (Woman walking on sidewalk) Las Vegas, NV, circa 1965 - 1968, © Eggleston Artistic Trust, Courtesy Cheim & Read, New York

Untitled, ca. 1975, Eggleston Artistic Trust, Courtesy Cheim Read, New  York

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Was es also ist, das auf seinen Bildern stattfindet, was ihn auf den Auslöser drücken lässt, kann auch er nicht benennen: "Ich wünschte, ich könne es sagen, aber ich weiß es nicht", meint er lächelnd. Ist es schwer? "Nein. Viele Künstler denken, das mache die Kunst aus: Sich den Kopf zermartern, unglücklich sein, verrückt werden wie van Gogh: Ich habe nie daran geglaubt." Kann man es lernen? "Nein, ich denke nicht."

Foto: Untitled, ca. 1975, © Eggleston Artistic Trust, Courtesy Cheim & Read, New York

William Eggleston, Untitled (Greenwood, Mississippi), 1970, Eggleston Artistic Trust, Courtesy Cheim Read, New  York

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Wenn Eggleston heute fotografieren geht, lässt er sich von seinem Sohn Winston herumfahren. Er parkt den Volvo an einem Schrottplatz, und kaum ist Eggleston aus dem Auto gestiegen, geht es auch schon los: Klack, klack, klack macht die Leica.

Gehen, sehen, abdrücken, das ist alles eine einzige Bewegung. Er hält auf Wellblech, Gras, Container. Menschen sind eher rar auf seinen Bildern. "Ich glaube man überschätzt sie. Sie sind einfach nicht so attraktiv." Und die wenigen, die auf seinen Bildern erscheinen? "Ich habe nichts gegen sie, aber ich denke auch nicht viel über sie nach. Wenn ich das täte, käme ich zu nichts anderem mehr."´

Foto: William Eggleston, Untitled (Greenwood, Mississippi), 1970, © Eggleston Artistic Trust, Courtesy Cheim & Read, New York

William Eggleston, Untitled, circa 1960-65, Eggleston Artistic Trust, Courtesy Cheim Read, New  York

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Auch von dem speziellen Südstaaten-Blick, den viele ihm immer andichten wollen, will er nichts wissen. "Ich lebe eben hier, deshalb fotografiere ich hier auch. Ich mache in Memphis oder in Afrika dieselben Bilder. Es spielt keine Rolle.

Nicht einmal an eine Entwicklung seine Ästhetik glaubt er. "Die Bilder, die ich vor 30 Jahren gemacht habe, sehen genauso aus wie die vom letzten Monat. Sie sehen vielleicht älter aus. Aber im Geist sind sie nicht älter. Ich habe nie versucht, etwas Neues zu machen."

Foto: William Eggleston, Untitled, circa 1960-65, © Eggleston Artistic Trust, Courtesy Cheim & Read, New York

William Eggleston, Untitled (Morton, Mississippi, circa 1972, Eggleston Artistic Trust, Courtesy Cheim Read, New  York

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Tags darauf in Egglestons Büro in einem großen Haus an einer Ausfallstraße. Von hier aus managt der Sohn seinen Vater und verwaltet dessen Werk. Eggleston sitzt unmöglich gekrümmt auf den Stufen einer Leiter, während Winston die Bilder für das Whitney verpackt.

Zehntausende von Bildern, die kaum jemand je gesehen hat, lagern in den Metallschränken. "Ich schieße jedes Bild nur einmal; sonst müsste ich mich ja hinterher zwischen zwei Aufnahmen entscheiden. Dafür lasse ich jedes einzelne entwickeln und vergrößern."

Seine Labore, eines in Hamburg und eines in Kalifornien, machen kaum anderes als Egglestons Bilder in dem alten Dye-Transfer-Verfahren zu entwickeln, das die Farben auf seinen Fotos so warm und intensiv erscheinen lässt als herrsche dort ein ewiger südlicher Spätnachmittag.

Wie wählt er aus den Hunderten und Tausenden von Aufnahmen die Bilder aus, die am Ende eines Projekts in der Ausstellung oder dem Buch gezeigt werden? "Das überlasse ich lieber anderen."

Foto: William Eggleston, Untitled (Morton, Mississippi, circa 1972, © Eggleston Artistic Trust, Courtesy Cheim & Read, New York

William Eggleston, Near Jackson, Mississippi, circa 1970, Eggleston Artistic Trust, Courtesy Cheim Read, New  York

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Hier bewahrt Eggleston auch seine Kameras auf. Ein großer Tresor ist voll von alten Canons, von Hasselblads. In einem verstaubten Lederkoffer liegen 30 fabrikneue Leicas. Kameras liegen überall herum. Eine Contax G2, eine Rolleiflex. Und welche ist ihm am liebsten? "Sie sind alle gleich. Es macht keinen Unterschied."

Foto: William Eggleston, Untitled (Mika on subway), 2001, © Eggleston Artistic Trust, Courtesy Cheim & Read, New York

William Eggleston, Untitled (Mika on subway), 2001, Eggleston Artistic Trust, Courtesy Cheim Read, New  York

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So matt er wirkt, Eggleston ist aktiver denn je. Alle paar Wochen fliegt er im Auftrag der Fondation Cartier nach Paris und durchkreuzt mit einem Fahrer die Stadt.

In der Ausstellung, für die er dort fotografiert, will er zum ersten Mal auch seine abstrakten Filzstiftzeichnungen zeigen, die er neben den Fotos seit Jahrzehnten macht.

Mit seinem Freund David Lynch, der ebenso gerne Synthesizer spielt wie Eggleston, will er ein Konzert in Los Angeles geben.

Eggleston will wieder eine Zigarette rauchen. Vor der Tür hockt er sich auf die Stufen wie ein 18-Jähriger und sieht wortlos auf die Fast-Food-Bude auf der anderen Straßenseite. Allmählich muss ich aufbrechen. "Nein, bleiben Sie doch noch! Ich will nicht, dass Sie ihr Flugzeug verpassen, aber ich will, dass Sie ihr Flugzeug verpassen!" Man muss ihn sich als glücklichen Menschen vorstellen.

Foto: William Eggleston, Near Jackson, Mississippi, circa 1970, © Eggleston Artistic Trust, Courtesy Cheim & Read, New York

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