Besuch bei Jane Birkin:Die öffentliche Frau

Jane Birkin und Serge Gainsbourg

Jane Birkin und ihr Ehemann Serge Gainsbourg im Jahr 1974.

(Foto: dpa)

Sie spielte nackt bei Antonioni und liebte Serge Gainsbourg. Sie hat drei berühmte Töchter und fühlt sich als Universalbotschafterin. Ein Besuch bei der immer noch famosen Jane Birkin.

Von Willi Winkler

Ein ganz normales Haus, eines wie so viele im fünften Pariser Arrondissement, nicht weit vom Boulevard Saint-Germain: unauffällig glatt die Fassade, die Tür nur durch einen Code zu öffnen, wahrscheinlich eine großbürgerliche Wohnung dahinter, schwere Möbel, Samtvorhänge, boudoirfranzösisch alles. Aber nein, es geht wieder ins Freie, in einen Innenhof, wo sich hinter einem schmiedeeisernen Tor ein winziger Garten öffnet. Ein grober Tisch, im Gras verstreut Plastikenten, Bagger. Die Tür zum Gartenhäuschen steht offen, als wär's irgendwo in der Bretagne, eine ältere Frau in einer unauffälligen Bluse wirkt hinten am Spülbecken der Küchenzeile - ist sie das?

Sie ist es. Jane Birkin versteckt sich hinter der Brille, den schlichten Klamotten, dem Hausfrauengewese, aber sie ist es: die feengleiche Erscheinung, die Haare, der noch immer schmollbereite Mund. Und die Augen kann sie im Notfall aufreißen wie früher. Eine fette Dogge schaukelt faltenreich nach vorn, versucht wachhundmäßig böse zu schauen und wendet sich traurig ab, weil sie wieder niemandem Angst machen konnte. "Dodo!", haucht Jane Birkin mit einer Stimme, die vorwurfsvoll klingen soll, aber Dodo retiriert freiwillig auf die Schlafdecke. Braver Hund.

An der Mädchenstimme ist Jane Birkin sofort zu erkennen. Von ganz hinten in der Kehle kommt sie, aber nicht mit Whiskey im Ton, sondern hauchzart, dabei dringlich wie 1969 auf "Je t'aime . . . moi non plus". Als die Platte bei einer unsrer ungelenken Partys im Knabeninternat zum vierten Mal hintereinander gespielt wurde und Birkin wieder auf diese eindeutige Weise zu stöhnen begann, kam der zwangszölibatäre Präfekt aus seinem Zimmer und riss die Single vom Plattenteller. Der Vatikan wusste schon, warum er von "Je t'aime" den moralischen Niedergang des Abendlands zu befürchten hatte.

Sie singt es nicht mehr, aber sie strahlt bei der Erwähnung von "Je t'aime", wie sie immer strahlt, wenn es um ihre große Zeit, wenn es um Serge Gainsbourg geht, der ihr und sich dieses Schlaflied auf den Leib schrieb und sie beide zum bekanntesten Liebespaar des Erdballs machte (Gainsbourg schrieb das Lied ursprünglich für Brigitte Bardot. Die dann berühmt gewordene Version für Jane Birkin setzte er stimmlich extra eine Oktave höher; Anm. d. Red.). Sie war 21, er schon 40, aber Frankreichs erfolgreichster Liedermacher und Poet dazu.

Mit gelinder Überraschung erfuhr sie spät im Leben von ihrer Mutter, der Schauspielerin Judy Campbell, dass diese, anders als die behütete Tochter, seinerzeit keineswegs als Jungfrau in die Ehe gegangen sei. "Aber Kind, es war doch Krieg!", und ob sie etwa nicht schön gewesen sei? Schön war auch die Tochter, aber die musste beschützt werden. Mit 17 verliebte sie sich bei einer Schulaufführung in ihren ersten Mann: John Barry, dreizehn Jahre älter, als Arrangeur des James-Bond-Motivs bereits weltberühmt. Sie starb fast vor Glück, als ausgerechnet "mein Gustav Mahler" um ihre Hand anhielt. Sie musste 18 werden, ehe ihr Vater sie freigab und sie Barry Suppe kochen und das Schaumbad einlassen durfte.

Ja, genau das war ihre Vorstellung von Glück damals, Hausfrau sein und dazu ein Kind. In Antonionis "Blow Up" über das Swinging London ist sie 1966 als kreischendes Model zu sehen, das der Fotograf (David Hemmings) auszieht. Dabei war ihr nichts fremder, als sich nackt zu präsentieren. Warum hat sie es dann gemacht? "Um es Barry zu zeigen, der immer sagte, 'Das traust du dich nie!'" Barry hatte seine Frau nie ganz nackt sehen dürfen, weil sie im Schlafzimmer immer das Licht ausmachte.

"Ich war langweilig"

Sie wurde rasch berühmt und noch schneller schwanger, und als sie Barry, der nach Los Angeles flog, am Flughafen verabschiedete, fragte sie sich zag: "Er wird doch nichts anstellen in Hollywood?" Genau das tat er natürlich. Jane Birkin war tief gekränkt, als sie davon erfuhr. "Er hatte eine Affäre, ich hatte Kate." Sie nahm ihr Neugeborenes unter den Arm, rief ihre Mutter an und fragte: "Kann ich wieder nach Hause kommen?" Die Eltern nahmen sie bereitwillig auf.

Aber warum ist er überhaupt fremdgegangen? "Ich war langweilig." Jane Birkin, mittlerweile 66, präsentiert sich noch immer als heillose Romantikerin, hoffnungslos ihren Gefühlen und damit den Männern ausgeliefert. Mit unbezähmbarem Mitteilungsdrang muss sie jetzt die Geschichte mit ihren drei Männern erzählen. Die Frau, die so kundig oder kunstfertig zu stöhnen verstand, hat demnach nicht viel vom Leben gehabt. Für jemanden aus der Generation Alice Schwarzer ist sie aber erstaunlich nachsichtig. "Manche Männer gehen wirklich mit jeder ins Bett, egal, wie sie aussieht", so viel weiß sie inzwischen, "aber es bedeutet nichts." Sie gibt aber zu, dass sie vor ihrer dritten Tochter, der damals sechsjährigen Lou, zusammengebrochen ist und schluchzte: "Dein Vater schläft mit all diesen Schauspielerinnen!" Oder dass sie auf den Teppich kotzte, wenn sie mit ansehen musste, wie glücklich Jacques Doillon mit seiner neuen Frau war.

Was will der widerliche Kerl?

Aber das kommt später. Erst kommt das Glück beziehungsweise zunächst ist da eine junge Frau mit Kind und ohne Mann, die Arbeit braucht. Sie geht von London nach Paris und stellt sich bei einem Regisseur vor. Es ist 1968, es ist Paris, aber sie merkt nichts vom Mai und den Straßenschlachten. Sie dreht einen belanglosen Film. Der Hauptdarsteller liegt in der Badewanne und starrt ihr ständig von unten die Beine hoch. Was will der widerliche Kerl?

Melancholisch ist er, seine Freundin hat ihn gerade verlassen: Brigitte Bardot heiratet den Playboy Gunter Sachs. Auch sie selbst ist frisch verlassen worden. Und so verbringen sie eine abenteuerliche erste Nacht zusammen, bei der sie nichts mehr fürchtet, als mit diesem Serge Gainsbourg schlafen zu müssen. Vorsichtshalber schließt sie sich im Bad ein, aber da ist er schon sturzbesoffen ins Bett gefallen. "He was so sweet", zirpt sie.

Sie hatte gleich gemerkt, dass Gainsbourg, Frankreichs bekanntester Libertin, der große Frauenschwarm, gar nicht tanzen konnte, aber gerade das fand sie lovely. Und dass sie ihn überall in der Nacht kannten, die Musiker, Transvestiten und Marktfrauen. Am Morgen kaufte sie eine Platte - "Yummy, Yummy, Yummy (I Got Love in My Tummy)" von Ohio Express -, steckte sie dem Schlafenden zwischen die Zehen und ging unberührt nach Hause.

Es war also um sie geschehen. Sie war nicht mehr langweilig; Serge liebte sie so, wie sie war. Er zeichnete ihr sein Ideal auf, knabenhaft, wenig Busen mit breiten Hüften, so wie sie. "Er behauptete, dass ihm große Brüste Angst machten, was ein wenig seltsam klang, wo er doch grade noch das berühmteste Paar der Welt gehabt hatte." Er machte sie jedenfalls glücklich.

"Im Suff passiert einiges"

Jane Birkin

Jane Birkin beim Filmfestival von Venedig 2009.

(Foto: AFP)

Bis heute lebt sie mit ihm in diesem Glück, und vielleicht ist es jetzt sogar größer als zu seinen Lebzeiten. Vor 33 Jahren hat sie ihn verlassen, er ist auch schon 22 Jahre tot, aber Serge ist und bleibt der Mann ihres Lebens. Zwölf oder dreizehn Jahre war sie mit ihm zusammen. Sie haben eine gemeinsame Tochter, Charlotte, heute selber eine bekannte Schauspielerin, er schrieb Chansons für beide, machte Jane, die Britin, zu einer Künstlerin, die sich in Paris unter seinen Händen zum Inbegriff der kindfraulichen Französin bildete.

Serge gehört ihr aber gar nicht exklusiv; er ist ein Nationaldenkmal. An seinem Grab legen die Fans Gitanes nieder, damit er ewig weiterrauchen kann, Whiskeygläser stehen da und erinnern daran, dass er sich zu Tode soff. Sein öffentlich zelebriertes Leben verlangte auch, dass er sich öffentlich dafür beknirschte, weil er sie geschlagen habe. Und? Hat er sie geschlagen? "Im Suff passiert einiges." Hat er also? "Es sollte so wirken, als hätte er mich geschlagen. Teil der Inszenierung. Aber es war nicht leicht mit ihm."

Sie verließ ihn.

Jane Birkin hatte sich in einen jungen Gott verliebt. Der Regisseur Jacques Doillon war fast gleichaltrig und wollte sie für seinen Film haben. Sie gab seinem Werben nach, spielte für ihn. Sie war bereits von Doillon schwanger, aber Serge wollte, dass sie noch ein Album für ihn aufnahm, ein Album mit seinen Liedern, "Baby alone in Babylone". "Ich musste seine Traurigkeit ausdrücken, ich musste sagen, was er fühlte. Er war der Verletzte, er war das Mädchen. Ich sang so hoch, wie er es wollte, so hoch, dass es weh tat, weil ich dachte, das ist das Mindeste, was ich für ihn tun kann."

Sie hatte Serge zwar verlassen müssen, um wieder auf die Füße zu kommen, aber das schlechte Gewissen plagte sie trotzdem. Würde er zurechtkommen ohne sie?

Es ging, aber nur, weil sie ihn nie ganz verließ. Als sie Lou bekam, ihre dritte Tochter vom dritten Mann, rief sie als Erstes den zweiten an. Er überschüttete das Kind, das gar nichts seins war, mit Geschenken, die livrierte Diener der Frau ins Krankenhaus brachten, die ihn verlassen hatte. Wenn er nachts um zwei auftauchte, weil er hungrig oder einsam war, wie hätte sie ihn da von der Schwelle weisen können? "Also habe ich mich noch mal an den Herd gestellt und für ihn gekocht. Für mich war es ein Privileg, ihn als Freund behalten zu können." Als dann Serge Gainsbourg und ihr Vater, die gute Freunde waren, kurz hintereinander starben, war sie vor Kummer für viele Monate völlig durcheinander.

Dodo erhebt sich schnaufend von ihrem Lager, schleppt sich zum Fressnapf, legt sich wieder hin und schnarcht bald besser als jeder Ehemann.

Ihre Wohnung ist wie eine Schauspieler-Garderobe, alles voller Erinnerungsstücke, Bücher, Kitsch- und Exotikkram. Nur die Fotos sind säuberlich geordnet, fast streng: die Töchter, die Enkel, und dazwischen François Mitterrand, der einem Mann mit dunkler Brille das Kreuz der Ehrenlegion umhängt: David Birkin, ihr Vater, der vierte oder vielmehr der erste Mann in ihrem Leben. David war ein Kriegsheld, aber er hat nie einen Menschen erschossen. Eigentlich war er ganz kriegsuntauglich, da ihm bei einer Operation ein Sehnerv durchtrennt worden war, dennoch wurde er Steuermann auf einem Schiff, das nachts Soldaten aus dem besetzten Frankreich nach England brachte und Résistance-Kämpfer wieder in die Bretagne, unter ihnen Mitterrand.

Keine Männer im Bild

Trotz "Blow Up", trotz "Je t'aime" hat sie nichts vom Swinging London, nichts vom Pariser Mai mitbekommen, obwohl sich alles vor ihren Augen abgespielt haben muss. "Ich kann mich nicht erinnern, dass ich in den Sechzigern irgendwie Spaß hatte. Nur in der Rückschau weiß ich, dass die unglaublichste Revolution stattfand."

Sie holte die Revolution für sich nach.

Nachdem Doillon fort war, rettete ihr der jugoslawische Bürgerkrieg Anfang der Neunziger das Überleben. "Man geht aus den unterschiedlichsten Gründen nach Sarajewo", gibt sie immerhin zu. Weil die Serben in die Stadt schossen, in die sie hinein wollte, wurde sie in einen Panzer gesteckt. "Ich musste an meinen Vater denken", sagt diese nach wie vor elfenfeine Frau, die beim besten Willen nicht an eine zu allem entschlossene Kriegsbraut erinnert.

Trotzdem konnte sie das. Sie rief ihre Mutter an, um sie zu fragen, was im Krieg wichtig sei und was sie den Belagerten mitbringen soll. Die Mutter hatte den Krieg überlebt und wusste Bescheid: Parfum. Jane Birkin ging mit ihrer jüngsten Tochter einkaufen; Lou schnitt die Preisschilder aus der Satinunterwäsche, die sie besorgten. "Diese Art Luxus ist wichtig für die Aufrechterhaltung der Moral."

Auf ihrem Laptop zeigt sie ein Home-Movie, sie, ihre drei Kinder, die Enkel in ihrem Haus in der Bretagne. Die Kinder haben den Pudding gekocht, den Truthahn gefüllt und die Mutter haben sie glücklich gemacht. Keine Männer im Bild. Trotz ihrer unterschiedlichen Väter sind die drei alle nach ihrem Bild geraten, ewige Mädchen, ewige Verführung. Kate, die älteste, ist erfolgreiche Fotografin; Charlotte als Schauspielerin berühmt; Lou, die jüngste, ist gerade der größte Nachwuchs-Star in Frankreich. Ihre CD hat im vergangenen Jahr mehrfach Platin erreicht.

Die gute Dodo ist von ihrem eigenen Schnarchen aufgewacht, watschelt zum Fressnapf, watschelt weiter Richtung Tür. Sie stinkt, sie will unbedingt raus. Jane Birkin öffnet ihr die Tür, hat aber keine Zeit für Dodo, sie muss weiter erzählen, von Fukushima und Ruanda, wo sie singt, erzählt und kämpft. Sie will was verändern. Als Kind habe sie schon mit ihrem Vater gegen die Todesstrafe demonstriert, später für das Recht auf Abtreibung, für den Frieden, gegen die Ausbeutung, gegen Landminen, für Aung San Suu Kyi. Sie sieht sich inzwischen als Überbringerin von Botschaften.

Die wichtigste ist immer noch Serge Gainsbourg. Sie bleibt seine Muse, sie singt seine Lieder, sie ist noch immer Jane je t'aime Birkin. Diese romantische Liebe ist so wenig von dieser Welt, sie kann gar nicht aufhören. Sie bringt einen dicken Band, eine Gesamtausgabe der Lieder von Gainsbourg, alles von "Poupée de cire" (Grand-Prix-Sieg 1965!) bis zu den todtraurigen Liedern auf "Baby alone in Babylone".

Stunde um Stunde hat sie mittlerweile von John Barry, von Jacques Doillon und vom Erfolg ihrer Töchter erzählt, von ihrem Vater und natürlich von ihm, von Serge. Es war wie ein langer, manchmal gehetzter Monolog, das Chanson ihres Lebens, das ganz überraschend endet. "Das einzige Land, in das ich gern zurückkehren würde, ist meine Kindheit mit meinen Geschwistern Andrew und Linda." Schwermutmatt fügt sie hinzu, wieder mit dieser gehauchten Stimme: "Wir kamen alle ins Internat, mein Bruder mit sechs, ich mit zwölf, aber in den Ferien waren wir zusammen und es war das reine Glück. Ich weiß noch, wann dieses Glück vorbei war: Ich stand oben an der Treppe und trug ein Kleid, mein erstes Kleid, für den Feathers' Ball, und Andrew sagte: 'It's over.' Das war das Ende der Kindheit und des gemeinsamen Glücks. Ich wurde ein Mädchen."

Jane Birkin tritt an diesem Sonntag mit den Chansons von Serge Gainsbourg bei den Ludwigsburger Schlossfestspielen auf.

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