Besuch bei Aamir Khan:Der liebe Gott von Bollywood

Seine Blockbuster-Erfolge verändern das Land, der Regierung ist er manchmal unbequem: Ein Besuch bei Aamir Khan, Indiens bekanntestem Schauspieler in Bildern.

Alex Rühle

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Aamir khan afp

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Seine Blockbuster-Erfolge verändern das Land - ein Besuch bei Aamir Khan, Indiens bekanntestem Schauspieler in Bildern.

Wenn einem die indischen Götter einen Chauffeur zuweisen, der nur einen englischen Satz kennt, nämlich "No problem, Sir!", dann kann genau das zum Problem werden. "Wir müssen nach Panchgani." "No problem, Sir." "Das ist aber von Bombay fünf Stunden entfernt." "No problem, Sir." "Kennen Sie den Weg?" "No problem, Sir." "Wir fahren zu Aamir Khan." "No problem, Sir." Spätestens da hätte es Klick machen müssen. Ein durchschnittlicher Inder würde auf die Ankündigung, in ein paar Stunden dem wohl berühmtesten Schauspieler Bollywoods leibhaftig gegenüberzustehen, mit Atemnot oder Totaleuphorie reagieren. Khan sollte später, sehr viel später an diesem Tag, auf die Frage, ob er ab und zu mal rausgehe, sagen: "Die würden mich da draußen erdrücken. Spazierengehen geht nur im Ausland." Der kleine weißlivrierte Chauffeur aber wiederholte nur sein Mantra: "No problem, Sir!"

Text: Alex Rühle/SZ vom 27.07.2009/jeder

Aamir Khan in "Ghajini"/Foto: afp

Ghajini rtr

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Es war dann doch ein Problem. Die Irrfahrt dauerte sieben Stunden, quer durch die indische Entsprechung der Walachei, Lehmhüttendörfer und hügelige Einsamkeit in Maharashtra, so einsam, dass es keinen Handyempfang gibt, was die aparte Nebenwirkung hat, dass man nicht mal anrufen und erklären kann, warum man immer noch nicht da ist. Andererseits: Wann lässt man schon mal einen Superstar warten? Den Mann, der das Method Acting nach Indien brachte. Der mit "Ghajini" erst gerade wieder alle Kassenrekorde gebrochen hat. Der die Produktionsweise der indischen Filmindustrie verändert hat wie keiner vor ihm. Dessen Filme in einigen Bundesstaaten verboten wurden, weil er die Regierung so scharf angreift. Und der dann um fünf, als wir endlich ankommen, zeigt, was es wirklich bedeutet, umwerfend auszusehen: Als der Fahrer, noch immer nichtsahnend, die Einfahrt runterrollt, aussteigt und plötzlich Aamir Kahn in Flip Flops und Bermudashort gegenübersteht, knickt er in den Knien ein, muss sich an der Autotür festhalten und gibt ein Fiepen von sich. Er schaut konsterniert von seinem Fahrgast zum Gott des indischen Kinos, zieht sich dann in den Wagen zurück wie ein verschrecktes Tier und rollt zu den Garagen.

Die Schauspieler Asin, Aamir Khan and Jiah Khan (v.l.) präsentieren ihren Film "Ghajini"/Foto: Reuters

Bollywood gettyimages

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Panchgani ist ein "Hill Resort" im Krishna-Tal, eines dieser Gebirgsnester, in die sich die britischen Kolonialherren gerne vor der indischen Hitze zurückzogen, weil das Klima dort wenigstens von Ferne an englische Sommer erinnert. Und man kann ja viel gegen die Briten sagen, aber Geschmack hatten sie. Was für ein paradiesischer Ort: Moosbewachsene Baumriesen, darunter eine Steinbank mit cinemascopeweiter Aussicht in ein Tal, an dessen Grund ein quecksilbriger See schimmert. Die Landschaft erinnert an Bilder aus "Lagaan", den Film, mit dem Khan gleich vier eiserne Regeln des Bollywood-Kinos auf einmal brach: Sportfilme sind Kassengift. Historienfilme sind Kassengift. Ländliche Gegenden sind Kassengift. Und Dialekt statt Hindi geht gar nicht. "Ich wollte das deshalb zuerst gar nicht machen," sagt er, während sein junger Butler Sandwich und Cola bringt. "Aber als Ashutosh Gowariker mir die Handlung vorspielte, war ich begeistert." - "Sie lesen das Drehbuch nicht, sondern lassen es sich vom Regisseur vorspielen?" - "Das ist hier so üblich, der Regisseur kommt zu einem nach Hause und spielt einem den Film vor. Viel besser als lesen: Da spüre ich gleich, wie er den Film anlegen will." Khan knipst sein Lächeln an, das mit einem Blitzen in den Augen beginnt und sich dann über das Gesicht ausbreitet, dieses Lächeln, das ihn in den Filmen auch mit seinen 44 Jahren noch wirken lässt wie einen frechen Studenten.

Foto: Getty Images

Aamir Khan

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"Lagaan" erzählt von einer Wette: Als eine Dorfgemeinschaft im 19. Jahrhundert die hohen Steuern nicht mehr zahlen kann, schlagen die arroganten Kolonialherren den Bauern einen Deal vor: Wenn diese sie in einem Cricketspiel besiegen, werden ihnen drei Jahre lang die Steuern erlassen. Wenn sie verlieren, müssen sie das Dreifache an Steuern zahlen. Natürlich gewinnen am Ende die anfangs chancenlosen Inder, ja das Ganze hat etwas von einem indischen Asterix, wenn Khan als Held Bhuvan die Dorfbewohner zu einer unschlagbaren Truppe zusammenschmiedet. Natürlich gibt es dazu eine Liebesgeschichte, choreographierte Songs, Massenszenen mit 10000 Statisten ("meine Fahrer sind tagelang durch dieses Niemandsland gefahren und haben alle Bauern aus den fünfzig nächstgelegenen Dörfern zusammengeholt"), und das Ganze dauert vier Stunden. So weit, so Bollywood.

Aamir Khan in "Lagaan"/Foto: rapid eye movies

Commonwealth

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Das Atypische daran ist, dass "Lagaan" am Stück gedreht wurde: Eigentlich werden - oder besser wurden - in Indien Filme abschnittweise gedreht. Was zur Folge hat, dass sich die Dreharbeiten über Jahre hinziehen können. "Furchtbar", sagt Khan, "alleine schon die Continuity-Probleme. Sie dürfen ja die ganze Zeit über Ihren Look nicht verändern. Laufen Sie mal vier Jahre mit demselben Bart rum. Außerdem sind Sie durch dieses zerfledderte Arbeiten gezwungen, mehrere Rollen gleichzeitig anzunehmen, und springen dann fortwährend von einer zur anderen Produktion." Khan hat sich immer wieder junge, unbekannte Regisseure für seine Filme gesucht. Das hat zwar den Nachteil, dass er sich hemmungslos selbst inszeniert, von den vier Stunden "Lagaan" zeigen gefühlte drei sein Gesicht in Großaufnahme. Das Gute aber ist, dass er dadurch seinen organisatorischen Perfektionismus ausleben konnte. Aber warum produzieren die Inder Filme in Etappen? "Weil wir alles auf einmal machen. Es gibt die ersten Seiten eines Drehbuchs? Wunderbar, fangen wir an zu drehen. Während dann der Cutter den Anfang schneidet, dreht der Regisseur die nächsten paar Szenen, und der Autor schreibt den Mittelteil, eigentlich müsste zur selben Zeit ein Song in den Schweizer Alpen choreographiert werden - ein Wahnsinnschaos."

Bollywood-Auftritt bei Commonwealth Games/Foto: Getty Images

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Das Telefon klingelt. Khan, der bis dahin wohltemperiert und witzig war, wird plötzlich schneidend: Am anderen Ende der Leitung ist das Böse. Da Khan jetzt für fünf Minuten im Hintergrund des Gartens verschwindet und heftig auf Hindi streitet, kann man die Zeit nutzen, um kurz den Multiplexstreik zu erklären, unter dem das Land die vergangenen zwei Monate wie unter eine Dürre litt: Vor zehn Jahren gab es in ganz Indien kein einziges Multiplexkino. Heute sind es über 150, die den Markt so dominieren, dass sie ganz Bollywood in Knebelhaft genommen haben: Die Kinos schreiben den Produzenten vor, wie viele Kopien zu ziehen sind und wann der Film wo herauskommt. Der Verleih hat keinerlei Mitspracherecht, die Kinos bekommen mehr ab von den Gewinnen als die Studios und zahlen diesen auch erst ein halbes Jahr, nachdem der Film angelaufen ist, ihren Anteil an den Einnahmen aus.

Bollywood-Schauspielerin Bipasha Basu/Foto: Getty Images

Aamir khan

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Jeder Produzent für sich war jahrelang wehrlos gegen das Gebaren der Multiplex-Organisation. Khan aber hat im Frühjahr die wichtigsten Leute aus Bollywood zusammengeholt, mit dem Ergebnis, dass sie jetzt kollektiv die Kinos bestreiken: Seit zwei Monaten ist kein neuer Film im Kino angelaufen. Ein Drama für ein Land, das mit über 800 Produktionen der größte Filmproduzent der Welt ist; ein Land, in dem jede Blockbusterpremiere wichtiger ist als ein pakistanischer Atomtest; in dem täglich 15 Millionen Inder in die Kinos strömen, um... -"Banditen!" ruft Khan und knallt das Telefon auf den Steintisch. "Mafia! Raffzähne! - Wo waren wir stehen geblieben?" "Vielleicht bei der Frage, warum ihr Inder so gerne ins Kino geht." "Um drei Stunden abzutauchen. Weg zu sein. Was Schönes zu erleben." "Der Vorwurf lautet ja oft, Bollywood bediene einzig und alleine eskapistische Fantasien." "Natürlich! Die Leute hier haben dermaßen viele Probleme, da wollen sie ab und zu ihren Spaß. Ein hustender Bauer will doch nicht hustende Bauern sehen, sondern schöne reiche Frauen." "Und das sagen Sie?! Sie haben mit Ihren Filmen doch Indien verändert." "Bin ich Gandhi? Ich mache Filme, ich bin weder Politiker noch Pädagoge noch Filmgeschichtsveränderer. Stimmt vielleicht, seit ,Lagaan' werden die meisten Filme am Stück gedreht, aber ich hab das ja nicht gemacht, um hierzulande die Produktionsweise zu revolutionieren. Ich will's nur möglichst gut machen."

Aamir Khan in "Fanaa"/Foto: rapid eye movies

shah khan getty

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Khan gilt als der Perfektionist unter den indischen Stars. Als Vorbereitung für den Action-Thriller "Ghajini" pumpte er seinen Körper ein Jahr lang im Kraftraum zu schwarzeneggerschem Format auf , für die Rolles des langmähnigen Unabhängigkeitskämpfers Mangal Pandey ließ er sich eineinhalb Jahre lang die Haare wachsen, und als Vorbereitung auf seine Lehrerrolle in "Taare Zaneem Par" setzte er sich monatelang in Schulklassen. Da er immer nur an einem Projekt arbeitet, hat er bisher nur in 35 Filmen mitgespielt, was für europäische Karrieren viel wäre. In Indien gilt er damit aber als ungefähr so asketisch wie Stanley Kubrick. Seine ewigen Rivalen, Shah Rukh Khan und Salman Khan, mit denen er zufällig Nachnamen und Geburtsjahr teilt, haben im selben Zeitraum jeweils über 70 Filme gemacht. Eine strategische Verwaltung seines Ruhmes interessiert ihn nicht: Als Madame Tussauds anrief, ob er für eine Wachsfigur Modell stehen könne, lehnte er ab, "ich habe keine Zeit für sowas." Er geht nie zu den indischen Preisverleihungen, "das ist alles zu korrupt." Und er legt sich mit den Mächtigen an: Als er sich dafür einsetzte, dass Bauern in Gujarat, die wegen eines Staudammprojektes umgesiedelt wurden, eine Entschädigung bekommen, wurden in dem Bundesstaat all seine Filme verboten - was freilich nur zur Folge hatte, dass die dort regierende Partei einen enormen Popularitätsverlust hinnehmen musste.

Shah Rukh Khan, 2007/Foto: Getty Images

Shilpa Shetty Wayne Perrey getty

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Der Einfluss, den Filme und Filmstars in diesem Land haben, ist unvorstellbar. Das Bonmot, Indien könne Pakistan schon deshalb nicht angreifen, weil Shah Rukh Khan dort seinen Zweitwohnsitz habe, ist nur zur Hälfte ein Witz. Aamir Khan und seine Namensvettern bewegen oft mehr als die Politik. Leider klingelt wieder das Telefon, die Produzentenmafia, aber als Khan diesmal verschwindet, taucht aus dem Nichts sein Butler auf und hält in geschmeidigem Oxford-Englisch Zwiesprache mit dem Gast, beg your pardon, Sir, er habe mit einem Ohr mitgehört, den Begriff "Bollywood" möge Khan gar nicht, "das klingt nach Kopie, Hollywood plus B-Movie macht Bollywood." Außerdem möge man sich doch beeilen, Khan müsse heute eventuell noch mit seinem Helikopter nach Mumbai. Mit seinem Helikopter? Natürlich. Er sei nunmal für viele Sexsymbol und Heilsbringer in einem, Autobahn sei zu gefährlich, die Leute würden durchdrehen, wenn sie ihn erkennen. Dann lässt er eine Zeitung da, in der von Studentendemos in Delhi und dem "RDB effect" die Rede ist. RDB, für "Rang de Basanti".

Shilpa Shetty and Wayne Perrey beim "Miss Bollywood Musical"/Foto: Getty Images

Rang de Bastanti

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"Rang de Basanti" ist vielleicht Khans interessantester Film, verkörpert er hier doch beides, den politischen Aktivisten und den sexy Slacker. Khan spielt einen charmanten Taugenichts, der mit seinen Freunden durch einen faulen Studentenalltag trödelt, bis er in ein Filmprojekt über einige Unabhängigkeitskämpfer gezogen wird und darin plötzlich - sowas geht wohl nur in, pardon, "Bollywood" - den charismatischen Revolutionär Chandrashekhar Azad spielt. Viermal wurde schon versucht, die wahre Geschichte um Azad und seine Freunde zu erzählen, alle vier Filme waren Flops. "RDB" aber schlug ein wie eine Bombe, weil er die Geschichte von heute aus erzählte, indem er die idealistischen Unabhängigkeitsführer von Jungs spielen lässt, die anfangs völlig apolitisch sind, aber am Ende, als sie einer Korruptionsgeschichte auf die Spur kommen, selbst zu unbeugsamen Aktivisten werden. Der Film löste ein Erdbeben aus, im Internet tobten Diskussionen über die eigene Passivität, einige Exilinder zogen zurück nach Indien, um sich für dieses oder jenes zu engagieren, und NGO's nahmen die Protestaktionen in dem Film als Blaupause für eigene Demonstrationen. Bis heute sprechen die Medien, wenn junge Gruppen schnell und aufmerksamkeitswirksam auf Missstände reagieren, von besagtem "RDB effect".

Filmposter "Rang The Basanti"/Screenshot: bollyvolly.com

Aamir Khan

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Khans vorletzter Film, bei dem er auch erstmals Regie führte, hat wiederum die Pädagogik in Indien mehr vorangebracht als viele Schulreformen: "Taare Zaneem Par" erzählt von der Freundschaft eines schlechten Schülers zu seinem Kunstlehrer, der erkennt, dass dieser Junge nicht faul oder verbockt ist, sondern an Dyslexie leidet. Bis dahin waren Dyslexie und andere Lernbehinderungen nur in zwei Bundesstaaten als Krankheiten anerkannt, heute sind sie es in ganz Indien; die Stadt Mumbai hat, angeregt durch den Film, erstmals eigene Klassen für autistische Kinder eingerichtet; und Kinder, die kurzsichtig, dyslektisch oder körperbehindert sind, bekommen seither extra Vorbereitungszeit für die Prüfungen. "Ach", sagt Kahn, "es gab früher auch solche Filme. Das Publikum hat sich nur geändert, es ist selbstbewusster und kritischer als früher. Wir können heute einfach sehr viel raffiniertere und schärfere Filme machen."

Aamir Khan in "Taare Zaneem"/Foto: rapid eye movies

Taxis Bombay rtr

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Die Sonne hängt mittlerweile wie ein schwerer goldener Tropfen zwischen den staubigen Hügeln, Khan muss gleich los, aber er sagt noch: "Wir spinnen doch alle. Wir versuchen unsere Kinder gegen die gesamte Globalisierung antreten zu lassen. Statt sie aus sich selbst heraus ihre Fähigkeiten finden zu lassen, pumpen wir sie voll mit Stoff und Noten. Dabei wird am Ende doch aus den meisten irgendetwas. Als Lehrer, als Schauspieler, als Bäcker." Oder als Chauffeur: Auf dem Rückweg nach Bombay redet der Fahrer fünf Stunden lang, ohne Unterbrechung, mit sich selber, dem Schicksal oder den Göttern, auf Hindi, immer wieder stößt er mit spitzer Stimme begeistert den Namen Aamir Kahn aus und schüttelt dabei seine rechte Hand in den funkelnden Nachthimmel, so als solle die ganze Milchstraße von seinem Glück erfahren.

Auf deutsch sind bei Rapid Eye Movies bisher "Rang de Basanti" (Die Farbe Safran), "Fanaa" und "Taree Zameen Par" erschienen. Im Oktober kommt dort auch "Lagaan" heraus. Der Multiplexstreik wurde übrigens inzwischen wieder beendet (Anm. d. Red.).

Taxis in Bombay/Foto: Reuters

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