Besuch am Set von "Cold Blood":"Ach, der Oscar"

Stefan Ruzowitzky ist der bislang einzige österreichische Regisseur, der einen Oscar für den besten fremdsprachigen Film gewonnen hat. Nun kommt mit dem Psychothriller "Cold Blood" sein Hollywood-Debüt in die Kinos - ein Besuch bei den Dreharbeiten in Kanada.

Roland Huschke

Kinostarts - 'Cold Blood - Kein Ausweg, Keine Gnade'

Jay (Charlie Hunnam) findet die halberfrorene Liza (Olivia Wilde) am Straßenrand - Szene aus "Cold Blood - Kein Ausweg, Keine Gnade".

(Foto: dpa)

Mit seiner flackernden Leuchtreklame und dem trockengelegten Pool voller zerknüllter Bierdosen drängt sich das Iberville Motel nicht zwingend als Hotspot der Filmbranche auf. Und doch stehen sich die Stars förmlich auf den Füßen. An der Schnellstraße ins nahe Montreal wird der US-Thriller "Cold Blood" inszeniert. Eric Bana, der Terroristenjäger aus Spielbergs "München", stapft in Moonboots durch frisch gefallenen Schnee. Schattenhaft gefolgt vom Filmbruder Charlie Hunnam, einem Hünen mit weichem Brad Pitt-Gesicht, der seit Jahren in der Biker-Serie "Sons of Anarchy" spielt.

Momentan konzentriert sich alle Aufmerksamkeit auf das unanständig kurze Paillettenkleid der Hauptdarstellerin Olivia Wilde ("Cowboys & Aliens"). Inmitten vieler Bärte und Baseballmützen der Crew strahlt das Ex-Model hier als Einzige so etwas wie Hollywood-Glamour aus. Eine Überdosis, um genau zu sein. Droht doch das grelle Licht der Scheinwerfer, ihr Kleid in eine Discokugel zu verwandeln, dessen unberechenbare Lichtreflexionen dem Regisseur die nächste Szene ruinieren.

"Lasst es uns vor dem Mittagessen noch mit ein paar Filtern versuchen", ruft Stefan Ruzowitzky mit sonorer Stimme. Wann immer ihm eine englische Vokabel fehlt, fuchtelt er erklärend mit den Armen. Was nicht mehr oft vorkommt am drittletzten von 33 Drehtagen. Längst ist der gebürtige Wiener mit seiner internationalen Crew verschmolzen. Nachdem er zuvor in Deutschland ("Anatomie") und Österreich ("Die Siebtelbauern", "Die Fälscher") Erfolge feierte, hat er nun sein Hollywood-Debüt gegeben. "Cold Blood" kommt diesen Donnerstag in die Kinos.

Als Heimatfilmer oder Genrespezialist ist der 51-Jährige wechselweise gefeiert worden, mit der Arbeit an Werbeclips verfeinerte er stetig sein Handwerk. Und doch lässt beim internationalen Debüt die Souveränität auf ungewohntem Terrain staunen, denn Ansprüche als globaler Player machte Ruzowitzky zuvor nicht geltend. Eher wirkte er mit seiner unerschütterlichen Gemütsruhe und dem listigem Blick über den Rand der Lesebrille wie ein Hochleistungs-Handwerker, für den nur das Resultat zählte und nie die persönliche Bilanz. Bis sein Weltkriegsdrama "Die Fälscher" 2008 plötzlich den Oscar als bester fremdsprachiger Film nach Österreich holte - und Hollywood im Gegenzug den Mann und sein Gespür für geheimnisschwangere Figuren importieren wollte.

"Dein schwerster Job liegt immer noch vor dir"

"Ach, der Oscar", seufzt Ruzowitzky später über seinen Salat gebeugt, als sei ihm der rare Triumph unangenehm, mit dem eines fernen Tages auch seine Nachrufe beginnen werden. "Natürlich ist es unglaublich und fühlt sich surreal an, wenn da plötzlich der Titel deines Filmes genannt wird", sagt er. "Doch wenn dir erst mal jeder auf die Schulter geklopft hast, merkst du bald, dass dein schwerster Job in diesem Geschäft immer noch vor dir liegt - und man sich von einem Oscar keinen zusätzlichen Drehtag kaufen kann."

Wirklich nicht? Der Oscar steht für die größtmögliche Freiheit, die ein Regisseur haben kann. Um es mit Danny Boyle zu sagen, der die Situation nach dem Triumph mit "Slumdog Millionär" erlebte: "Ein Oscar ist der einzige Freischuss, den du je bekommen wirst. Plötzlich will jeder mit dir arbeiten, und kein Stoff ist zu riskant. Jeder hofft, dass sich auch noch etwas Goldstaub auf den nächsten Film legt."

Konfrontiert mit dieser Theorie gibt Ruzowitzky zu, nach "Die Fälscher" durchaus von Hollywood hofiert worden zu sein. Nicht zum ersten Mal übrigens. Längst haben die US-Studios ihre Späher im Ausland sitzen, um Talente vom Markt zu schnappen. Gerade deutschsprachige Hit-Regisseure, da stimmt das Klischee wirklich, gelten als beliebte Gastarbeiter, weil sie so effizient arbeiten und Budgets vor dem Explodieren bewahren.

"Ich bin als Kind mit amerikanischen Filmen aufgewachsen und habe bis heute keine Berührungsängste zum Publikumskino", sagt Ruzowitzky. "Aber ein großer US-Film kam mir nach ,Die Fälscher' nie in den Sinn." Fehlte ihm der richtige Stoff? "Irgendwann wird die Story zweitrangig im Vergleich zur Gesamtinvestition", sagt der Regisseur, "und falls man dann noch Superstars an Bord hat, überlagert der Personenkult oft konzentriertes Arbeiten."

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Stefan Ruzowitzky im Februar 2008 zwei Tage vor der Oscarverleihung in Hollywood.

(Foto: AFP)

Glamour-Faktor: nicht so hoch

Nein, er spreche nicht von "Der Tourist", stellt Ruzowitzky diplomatisch klar, doch das Schmunzeln in seinem müden, unrasierten Gesicht sagt etwas anderes. Tatsächlich ist "Cold Blood" in jeder Hinsicht ein Gegenentwurf zur vollen Hollywood-Dröhnung Florian Henckel von Donnersmarcks, nach dem Oscar für "Das Leben der Anderen". Entgegen des vernichtenden Medienurteils beim Start damals wurde "Der Tourist" zwar kein spektakulärer Flop, sondern sammelte dank der Zugkraft von Johnny Depp und Angelina Jolie knapp 280 Millionen Dollar weltweit ein.

Doch schon die Tatsache, dass man seit zwei Jahren keine Silbe gehört hat von den selbstbewussten Zukunftsplänen Donnersmarcks, macht deutlich, wie kurz die Halbwertszeit von Oscar-Weihen ist. Womöglich geblendet von der eigenen Strahlkraft, war der Regisseur mitsamt seiner Familie gleich nach Hollywood gezogen.

Der Glamour-Faktor bei den Dreharbeiten zu "Cold Blood" ist dagegen nicht so hoch. "In Montreal gibt es nur einen Paparazzo, und der ist auch noch so hilfsbereit, uns gute Cafés zu empfehlen", sagt Eric Bana. In der Bar des Iberville Motels gibt es zwischen speckigem Tresen und verzogenem Billardtisch gar keinen Platz, um etwas anderes als konzentrierte Arbeit zuzulassen. "Cold Blood" ist ein Roadmovie, in dem ein paar einander wildfremde Familien an Thanksgiving kollidieren. Auch eine Art Heimatfilm, wenn man so will. Die Geschichte beginnt mit dem Überfall eines Casinos, ein Geschwisterpaar (Bana, Wilde) flüchtet zu Fuß und mit den Taschen voller Geld durch Schneestürme und wird von Polizisten gejagt, die hier leben und ihre Familien verteidigen. "Cold Blood" könnte ein moderner Western sein - wenn sich die Action nicht auch auf Schneemobile verlegte -, so archetypisch sind die einsamen, abgehärteten Cops und Ganoven gezeichnet, die unweigerlich zum letzten Duell aufeinander treffen müssen.

"Mich hat an Amerika immer fasziniert, dass hier jedem die Chance zugestanden wird, sich neu zu erfinden", sagt Ruzowitzky. Dieser Idee werde in Europa sehr viel misstrauischer begegnet. "Dabei ist es immer gut, mit Gewohnheiten zu brechen und sein Schicksal herauszufordern." Ein wenig scheint der Regisseur dabei von sich selbst zu sprechen, auch wenn er nicht beabsichtigt, Österreich dauerhaft den Rücken zu kehren. Der nüchterne Blick des Fremden - das reize ihn gerade an der Arbeit in Amerika, sagt er. Kanada dient aus Kostengründen als Kulisse. Weiter weg vom Wahnwitz Hollywoods als im Schneegestöber Montreals könne man ja kaum sein, findet Ruzowitzky, abseits des Showbusiness-Radars lasse es sich im Grunde so ungestört arbeiten wie zu Hause.

Mit dem Oscar-Bonus konnte der Regisseur auch Einfluss auf die Besetzung nehmen: "Wenn ich überhaupt ein Fünkchen Macht besaß, dann habe ich es beim Casting investiert, als ich meine Lieblingsschauspieler anheuern konnte." Gemeint sind Siebzigerjahre-Legenden wie Kris Kristofferson und Sissy Spacek, die er für Nebenrollen gewinnen konnte. Es sind Schauspieler, die keine Hysterie verursachen wie Brad Pitt und Angelina Jolie, sondern entspannt ihre ganze Erfahrung in den Film einbringen.

Wie ein Kind freut sich der Ruzowitzky über seinen Coup, weil ihm die alten, wackeren Helden ein Gefühl der Vertrautheit in der Fremde gaben und ihn nicht groß grübeln ließen über das Risiko Amerika. "Wenn ein Set funktioniert", sagt er nachdenklich, "fühlt man sich eigentlich überall zu Hause." Andernfalls bleibt man womöglich bloß: ein Tourist.

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