Bestseller-Autor Precht:Unglaublich

Über Richard David Precht, den Philosophen der Liebe.

Malte Dahlgrün

Richard David Precht, Buchautor und Publizist, promovierter Germanist, gilt mittlerweile als so etwas wie Deutschlands wichtigster öffentlicher Philosoph. Dazu kam es recht schnell, vor allem durch den phänomenalen Verkaufserfolg von "Wer bin ich und wenn ja, wie viele? Eine philosophische Reise" - einem Sachbuch mit interdisziplinärem Anspruch, das seit fast zwei Jahren ganz oben in den Bestsellerlisten steht, derzeit auf Platz sechs der Spiegel-Liste.

Bestseller-Autor Precht: Autor Richard David Precht.

Autor Richard David Precht.

(Foto: Foto: ddp)

Richard David Precht versteht sich in erster Linie tatsächlich als Philosoph. So lässt er sich von seinem Verlag und seiner Agentur beschreiben; so ließ er sich vorstellen, als er bei Elke Heidenreich, Reinhold Beckmann und in nächtlichen Kulturgesprächen auftrat, oder als er sich für 3sat mit Gero von Boehm im Berliner Tierpark traf. Vor gut einem halben Jahr sah es noch danach aus, als werde Precht eine eigene Philosophiesendung im ZDF erhalten. Daraus wurde zunächst nichts, doch das heißt nicht viel.

Als etwa vor einigen Wochen in einer vollen Kongresshalle die Münchner Medientage eröffnet wurden, als der Leiter der Bayerischen Staatskanzlei die Eröffnungsrede gehalten hatte und vierzehn große Zampanos darauf warteten, in einem riesigen Halbrund auf dem Podium einen "Mediengipfel" zu eröffnen, da wartete alles nur noch darauf, dass der Hauptredner Richard David Precht, angekündigt als Philosoph, Publizist und Autor, zunächst eine Rede halte.

Wer Precht ignorierenswert findet, wer sich irgendwann einmal vorgenommen hatte, ihn zu ignorieren, der kann diesen Vorsatz vorerst vergessen: Es geht nicht. Also gut. Reden wir über Precht. Es muss nicht gleich der ganze sein. Reden wir über sein diesjähriges Sachbuch, ein Buch über die Liebe, es war ebenfalls ein Bestseller.

Richart David Prechts Selbstauskunft in der Einleitung zu "Liebe" fasst seine Ausrichtung zusammen: Er interessiere sich "für den Geist aus naturwissenschaftlicher Perspektive und aus geisteswissenschaftlicher Perspektive für die Natur". Er schrieb ein Buch über die Liebe, weil er sie für "das vielleicht wichtigste Thema an der Schnittstelle von Natur- und Geisteswissenschaft" hielt und weil er sie von Biologen, Psychologen und Philosophen nicht angemessen erfasst sah. Das so entstandene Buch ist genremäßig schwer zu klassifizieren. Es zielt bestenfalls am Rande darauf ab, die Theorien anderer zu popularisieren. Es ist ein populäres Sachbuch, das mit dem Anspruch auftritt, eine originäre wissenschaftsphilosophische Abhandlung über die Biologie und Psychologie der geschlechtlichen Liebe zu bieten. Es ist ein unglaubliches Buch.

Prechts wichtigstes Anliegen darin ist es, die Evolutionspsychologie und ihre Erklärungen menschlicher Sexualität und der Geschlechterbeziehungen zu verwerfen. In diesem Zusammenhang erklärt er auch gleich, weshalb die gesamte etablierte Evolutionsbiologie und Verhaltensbiologie falsch liegt - oder jedenfalls das, was der Autor dafür hält. Dies ist ein großer Unterschied, denn Richard David Precht kennt sich auf diesen Gebieten kaum besser aus als Oliver Pocher. Als wichtigste Quelle zur Evolutionspsychologie dient dem Autor die deutsche Übersetzung eines 1994 veröffentlichten popwissenschaftlichen Buches des Journalisten William Allman - völlig irrelevant in Fachkreisen, nach Prechts Auskunft aber "Prototyp für die gegenwärtige evolutionäre Psychologie".

Lesen Sie auf Seite 2, warum Prechts Buch über die Liebe geradezu zwanghaften Charakter hat.

Eine kognitive Mehrfachkarambolage

Man macht sich nicht leicht eine Vorstellung von dem Bild, das Richard David Precht in "Liebe" abgibt; vom schieren Ausmaß an Inkompetenz und großspuriger Besserwisserei, das dieses Buch durchsetzt. Es ist eine pseudowissenschaftliche Blamage. Pausenlos höhnt und spottet Precht gegen Theorien aus der Evolutionsbiologie und der evolutionären Psychologie, die er nicht einmal ansatzweise verstanden hat, und sonnt sich im Triumph rhetorischer Fragen, die seine eigene Ahnungslosigkeit unerbittlicher offenlegen, als es jeder Kritiker könnte.

Nicht einmal eine kurze Erklärung der Theorie der natürlichen Selektion mag dem Autor gelingen, ohne eine kognitive Mehrfachkarambolage hinzulegen. Zu den Höhepunkten zählen Prechts vermeintliche Gegenbeispiele. Nicht bloß leiden sie an Vermeintlichkeit - mehrere von ihnen verkörpern sogar lehrbuchmäßige Vorhersagen der Theorien, gegen die er sie anführt.

Nicht minder schlimm steht es um Prechts wissenschaftshistorische Darstellungen und seine Zuschreibungen von Urheberschaften und Einflüssen. Das alles beruht auf unverstandenen Versatzstücken aus dritter, bestenfalls zweiter Hand, frei zusammengereimt von Precht - aber immer, immer präsentiert im Übersichtsgestus des allwissenden Erzählonkels. Seine theoriegeschichtlichen Aussagen sind dabei oft genauso frei erfunden wie die absurden Strohmänner, die er konstruiert.

Nicht einmal von den meistzitierten, paradigmenstiftenden Klassikern der evolutionären Fachliteratur des letzten halben Jahrhunderts kann Precht reden, ohne sie falsch zu identifizieren, falschen Zeitabschnitten zuzuordnen oder einfach ihre Aussagen auf den Kopf zu stellen. Irgendwann ist man so weit, dass man fast Dankbarkeit empfindet, wenn Precht bloß die Anzahl der in einem Mannesleben produzierten Spermien um einen fünfstelligen Faktor zu gering beziffert und ansonsten keinen Schaden anrichtet.

Das Schlimmste an diesem Buch aber sind die widerlichen Ad-hominem-Äußerungen, an denen sich Precht fortwährend aufrichtet - die ständigen Andeutungen und Diffamierungen in der ganzen überflüssigen, beleglos dargereichten biographischen Sauce, in die er seine verunglückten Ideenreferate eindeckt. Es hat geradezu zwanghaften Charakter. Selbst die epochemachende Entdeckung der DNS-Doppelhelix durch Crick und Watson kann er nicht erwähnen, ohne im Vorübergehen zu versichern: "Zuvor galten beide Forscher nicht gerade als Leuchten ihrer Zunft." Über William Hamilton, den wichtigsten theoretischen Biologen der zweiten Hälfte des 20. Jahrhunderts, lässt er sich seitenlang mit keiner anderen Absicht aus, als Bemerkungen wie diese anzubringen: "Die entscheidende Frage war, ob Hamilton dagegen nicht immer schon sonderbar gewesen war."

Einen führenden Vertreter der Evolutionspsychologie stellt er so vor: "Einige Jahre war David Buss ein unzufriedener Sozialpsychologe. Dann stürzte sich der heute 55-jährige (. . .) auf die evolutionäre Psychologie." Richard Dawkins, im Blickpunkt wegen seiner klassischen Monographie von 1976, in der er die genselektionistische Perspektive der konventionellen Evolutionsbiologie veranschaulichte, darf noch froh sein, wenn ihm Schwachsinn zugeschrieben wird wie ein Glaube an "einen Gott in den Genen: Sie sind allmächtig, allgewaltig und für alles verantwortlich", oder wenn Precht keift: "Du bist nichts, deine Gene sind alles!" Doch, doch, so geht es hier wirklich zu, und über Dawkins' Stellung in der wissenschaftlichen Gemeinschaft und seine Forscherkarriere in Oxford tischt Precht noch ganz andere Falschaussagen und Halblügen auf.

Kein Autoritäts- oder Herkunftsargument ist Precht zu dumm. Zu einem Buch des weltweit führenden Autismus-Forschers Simon Baron-Cohen über Unterschiede von Gehirn und Geist zwischen Männern und Frauen schreibt Precht, es sei "äußerst umstritten. Denn" - denn?! - "Baron-Cohen ist kein Hirnforscher, sondern Professor für Psychologie am Trinity College der University of Cambridge."

Derlei kolossale Eigentore und andere Versuche Prechts, unverstandene Positionen durch irrelevante, falsche oder schlicht lachhafte Bemerkungen zur fachlichen Herkunft ihrer Autoren zu untergraben, sind das eine. Das Unglaublichste aber ist, dass sie ausgerechnet von einem stammen, der auf die gute wissenschaftliche Grundregel der herkunftsneutralen Bewertung von Gedanken stärker angewiesen ist als alle von ihm beschimpften Forscher zusammengenommen: von einem Solinger, dessen akademische Laufbahn nie über seine Heimatuniversität Köln und eine Promotion in germanistischer Literaturwissenschaft hinausführte.

Precht hat keinen Schimmer

Im zweiten Teil dieses viel zu langen Buches wird, zumindest nebenbei, so etwas wie Prechts "Theorie" der Liebe entwickelt. Die im Untertitel behauptete Unordentlichkeit des Gefühls der Liebe offenbart sich dabei weitaus weniger als die Unordentlichkeit von Prechts geschwätziger Themenbehandlung. Und seine verstreuten Analyseansätze bleiben stümperhaft. Die Liebe sei, so betont Precht etwa, keine "Emotion", nein, ein "Gefühl". Gefühle seien "durchgängiger und langlebiger" und "mit Vorstellungen verbunden". Als paradigmatische Beispiele für Emotionen präsentiert uns Richard David Precht allen Ernstes: Müdigkeit, Hunger, Frieren, und sexuelle Gier - rohe Sinnesempfindungen und Triebe also, keine einzige Emotion.

Die von Affektforschern unterschiedenen Grundemotionen dagegen (etwa Angst, Zorn, Freude, Trauer oder Ekel) tauchen bizarrerweise gar nicht auf. Und von der anderen üblicherweise unterschiedenen Generalkategorie, den "höheren kognitiven Emotionen", scheint Precht nicht einmal gehört zu haben, obwohl es beim Thema Liebe gerade hier anzusetzen gälte. Andere wichtige Unterscheidungen scheint er genauso wenig zu kennen. Precht, Philosoph der Liebe, hat keinen Schimmer von der Forschung in der Philosophie der Emotionspsychologie.

Und die Liebe selbst? Sicherlich schillert der Begriff. Er erfasst mehr als einen einzigen Zustandstyp. Bevor dieser Alltagsbegriff als wissenschaftliche Kategorie in koschere psychologische Erklärungen eingehen kann, muss er präzisiert, gegebenenfalls durch feiner ziselierte Begriffe ersetzt werden. Zudem gilt es, wesentliche Verhaltensaspekte der Liebe von kulturell variablen Aspekten zu isolieren. Das ist nicht trivial, und es ist nicht neu. Mit Sicherheit aber ist es keine Aufgabe für Richard David Precht.

RICHARD DAVID PRECHT: Liebe. Ein unordentliches Gefühl. Goldmann, München 2009. 397 Seiten, 19,95 Euro.

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