Bestseller-Autor Martin Suter im Interview:Mord und Totschlag mit Augenzwinkern

Szene aus dem Psychothriller "Die dunkle Seite des Mondes"

Überraschender Knalleffekt: In der Verfilmung des Romans "Die dunkle Seite des Mondes" begeht Dr. Fluri (Marco Lorenzini) Suizid.

(Foto: Alamode Film)

Martin Suters Roman "Die dunkle Seite des Mondes" wurde verfilmt. Der Autor erklärt, warum die Wahrheit viel schlimmer ist als die Fiktion.

Interview von Paul Katzenberger

Man könne sein Erzählen angelsächsisch nennen, schrieb die Zeit einmal, weil Martin Suter keine Angst vor Genres habe. Belegen lässt sich das auch an seinem Roman "Die dunkle Seite des Mondes" aus dem Jahr 2000, in dem der Schweizer Bestseller-Autor vor der Rahmenhandlung eines Wirtschaftskrimis existenzielle Fragestellungen abhandelt: Der skrupellose Wirtschaftsanwalt Urs Blank gerät in eine Krise. Nach dem Genuss halluzinogener Pilze erleidet er eine Persönlichkeitsstörung und mutiert vom erfolgreichen Anwalt zum scheuen Waldmenschen. Die Verfilmung des Buches unter der Regie von Stephan Rick mit Moritz Bleibtreu, Jürgen Prochnow und Nora von Waldstätten läuft nun in den Kinos.

SZ.de: Ihr Roman "Die dunkle Seite des Mondes" berührt eine ganze Menge Themen - von der Psychologie über die Bankenwelt bis zur Pilzkunde. Die filmische Umsetzung ist zwangsläufig nicht so detailgetreu wie die Vorlage. Wie fühlt sich das für Sie als Schöpfer des Originalwerkes an?

Martin Suter: Der Film ist ein ganz anderes Medium als das Buch. Die Verkürzung ist da systemimmanent. Sie kann auch ins Auge gehen, wie es bei anderen Verfilmungen meiner Romane passiert ist. Aber ich glaube, dass es in diesem Fall sehr gut gelungen ist, sich für eine der Essenzen des Buches zu entscheiden, und diese eindrücklich zu verfilmen. Das Wichtigste für mich ist, dass am Schluss ein guter Film dabei herauskommt. Wenn der auch noch viel mit meinem Roman zu tun hat, bin ich gut bedient.

Eine zentrale Aussage Ihres Romanes ist doch aber, dass Urs Blank eins mit dem Wald wird. Dadurch kommt das Kernthema Ihrer ersten drei Bücher zum Ausdruck - die mögliche schleichende Persönlichkeitsveränderung eines Menschen. Im Film wird dieses Einswerden mit dem Wald nur angedeutet. Verfehlt er dadurch das Thema?

Nein, denn das Buch handelt nicht nur von der Persönlichkeitsveränderung. Es geht ja auch um eine wirtschaftskriminelle Intrige, die im Film nun im Mittelpunkt steht. Natürlich habe ich das Einswerden mit dem Wald im Film vermisst, doch wenn man das voll hätte so rüberbringen wollen, dann hätte man eine andere Geschichte erzählen müssen. Ich weiß nicht, ob das einen spannenden Film ergeben hätte.

Für die Spannung darf also ein zentrales Anliegen geopfert werden?

Ich habe Verfilmungen von eigenen Stoffen erlebt, in denen die Aussage sogar ins Gegenteil verkehrt wurde. In der französischen Kino-Adaption von "Ein perfekter Freund" siegt das Gute, während in meinem Buch das Böse die Oberhand behält. Das war wirklich ein schmerzhafter Einschnitt. Im Vergleich dazu ist das jetzt sehr einfach zu verschmerzen. Außerdem entschädigt mich der Film in vielerlei Hinsicht für diesen Verzicht - durch seine wunderbaren Bilder, die Tonspur und die tolle Besetzung.

Kann der Film hier etwas rüberbringen, was Sie im Buch nicht so ausdrücken konnten?

Der Ursprung dieses Romans bestand in dem Gedanken, etwas zu schreiben, nach dessen Lektüre die Leute mit einem anderen Gefühl durch den Wald spazieren. Das, finde ich, ist dem Film sehr gut gelungen, insofern ist die Verfilmung dem Gedanken des Buchs mit ihren Mitteln überaus gerecht geworden. Und wenn sich jemand von einem Film eher ansprechen lässt als von einem Buch, dann erreiche ich manche mit diesem Gedanken, die ich mit dem Buch nicht erreicht hätte.

Switzerland Film Festival; Martin Suter

Martin Suter bei der Premiere von "Die dunkle Seite des Mondes" beim Filmfestival Zürich im September 2015. Links neben ihm: Darstellerin Nora von Waldstätten.

(Foto: picture alliance / AP Photo)

"Die Wahrheit übertrifft die Fiktion"

Sie haben einmal erklärt, warum alle Ihre Geschichten in der Schweiz spielen: Dort würden Sie alle Zauberwörter kennen, die es braucht, um im Kopf der Leser die Bilder abzurufen, die Sie beim Schreiben hatten. Jetzt spielt der Film in Frankfurt. Die Waldszenen wurden in Luxemburg gedreht. Passen die Zauberwörter noch?

Im Film ist das etwas anderes, denn der ist ja von einem deutschen Regisseur verwirklicht worden. Und die deutschen Zuschauer haben etwas andere Bilder. Da geht es um den kleinsten gemeinsamen Nenner. Doch der ist meiner Meinung nach gerade in Bezug auf den Wald sehr gut erfüllt. In dem Film habe ich Wälder gesehen, wie ich sie vorher noch nie so gesehen habe.

Ihre Romane werden von Literaturkritikern wegen der Dialoge, der Komposition und der Spannungskurve als "filmisch gebaut" bezeichnet. Was ist aus Ihrer Sicht generell der Unterschied zwischen Ihren Romanen und deren filmischen Inszenierung?

In der Literatur kann man zwischen den Genres jonglieren. Im Kino geht das fast nie. Ich kenne eigentlich nur einen, der das gemacht hat. Das ist Hitchcock. Der hat aber auch nie einen Oscar bekommen. Bei ihm ist das Augenzwinkern bei Mord und Totschlag immer dabei gewesen. Bei mir ist das auch der Fall. Weil ich es nie lange aushalte, ernst zu bleiben.

Das heißt: Sie mischen in Ihren Büchern Genres und der Filmemacher muss sich dann für eines davon entscheiden?

Ja. Ich habe gelernt, dass das Kino auf Ungenauigkeiten im Genre negativ reagiert. "Lila Lila" (die Verfilmung von Suters gleichnamigen Roman aus dem Jahr 2004; Anm. d. Red.) war ein Film, der mir persönlich sehr gut gefallen hat. Doch er floppte. Das hatte etwas damit zu tun, dass er wie eine Romantic Comedy beworben wurde, aber eigentlich ein Thriller war. Beim Zuschauer führte das zu dem, was in der Werbung als Produktenttäuschung bezeichnet wird.

In Abweichung zur Buchvorlage von "Die dunkle Seite des Mondes" begeht Dr. Fluri im Film vor den Augen Urs Blanks Suizid. Blank hatte ihn über den Tisch gezogen. Diese Veränderung ist wohl der Absicht geschuldet, aus dem Film eindeutiger einen Thriller zu machen als aus dem Buch?

Dieser Suizid hat mich auch erstaunt. Doch ich habe ihn sofort verstanden. Da musste ein Knalleffekt sein. Denn damit hat der Film die Empathie des Zuschauers mit dem Hauptdarsteller (Moritz Bleibtreu als Urs Blank; Anm. d. Red.), die ich im Roman etwas vermieden habe. Da habe ich die Figur auf Distanz gehalten, aber ich weiß, dass das in einem Film nicht geht. Da muss sich der Zuschauer mit der Hauptfigur identifizieren können. Darum fand ich diesen Trick überzeugend.

War es für Sie als Schöpfer Urs Blanks vielleicht sogar befreiend, dass der Film die Identifikation mit ihm dadurch erleichterte?

Für mich war das vor allem spannend. Der Urs Blank kam mir im Roman zwar näher als ich wollte. Am Schluss mochte ich den schon ein bisschen. Trotzdem war es unumgänglich, dass er nicht überlebt. Die Figur war zu beschädigt. Im Film kann ich mir schon vorstellen, dass man das als Zuschauer ein bisschen bedauert.

Das stimmt. Ich habe mich im Film tatsächlich gefragt, ob er es im Gegensatz zum Buch vielleicht doch schafft, zu überleben.

Selbst ich habe gehofft, dass er es vielleicht noch schafft - und hätte es ja besser wissen müssen.

Sie haben "Die dunkle Seite des Mondes" im Jahr 2000 veröffentlicht. Im vergangenen Jahr haben Sie mit "Montecristo" wieder einen Thriller vorgelegt, der in der Welt der Banken und Spekulanten spielt. Wie hat sich nach Ihrer Wahrnehmung die Welt der Wirtschaft, die Sie immer wieder offen kritisiert haben, in den vergangenen 15 Jahren verändert?

Viel besser ist die nicht geworden. Stellen Sie sich vor, ich hätte Ihnen vor einem halben Jahr gesagt, VW baut in Millionen von Dieselfahrzeugen Software ein, um die Tests zu verfälschen. Dann hätten Sie gesagt, ich sei ein Verschwörungstheoretiker. Und jetzt wissen wir alle, dass das wahr ist, und vermuten, dass das nur die Spitze des Eisbergs ist. Ich sage seit Jahren, dass die Wahrheit die Fiktion übertrifft, und seit Jahren werde ich trotzdem damit überrascht, wie sehr das stimmt.

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