Süddeutsche Zeitung

"Best Exotic Marigold Hotel" im Kino:Am Schluss siegt die Alters-Coolness

Senioren, vom Leben ausgemustert, suchen einen Traumort fürs Alter - und finden ihn in einem heruntergekommenen Hotel in Indien. Ohne Anschlüsse für Alarmknöpfe oder Schienen für den Treppenlift ist das "Best Exotic Marigold Hotel" mehr als das neue Modell eines Feelgoodfilms für ältere Zuschauer. Es geht um die Frage, wie viel Dysfunktion eine Gesellschaft braucht, um zu funktionieren.

Fritz Göttler

Es gibt Probleme gleich beim Beziehen der Zimmer, Kommunikationsprobleme, das rote Telefon funktioniert nicht bei Judi Dench. Bill Nighy, der zufällig auch gerade in ihrem Zimmer ist, macht sich anheischig, es wieder instand zu setzen: Haben Sie versucht, hm, ein bisschen daran zu rütteln? . . . Und haben Sie es auch mal leicht auf den Tisch geschlagen vielleicht?

Judi hat beides, also packt Bill den Hörer und lauscht erst mal intensiv hinein. Judi packt einfach ergeben ihren Koffer weiter aus. Bill schraubt, seine Schultern hochgezogen, die Sprechmuschel auf und erzählt derweil, wie er seine Rente in die Internet-Firma der Tochter gesteckt hatte. Auch die hat nicht funktioniert. Deshalb ist Bill mit seiner Frau nun, für den Lebensabend, weil sie sich nicht sehr viel mehr leisten können, im Best Exotic Marigold Hotel gelandet in der indischen Stadt Jaipur.

Mit einer der großartigen konvulsivisch-schlaksigen Nighy-Bewegungen, die den ganzen Körper völlig unkontrolliert wirken lassen und ein irres "Alles ist möglich" suggerieren, legt er den Hörer zurück auf die Telefongabel: Bitte sehr, funktioniert wieder. Ja wirklich? fragt Judi. Nein, natürlich nicht, erwidert Bill. Die beiden lachen. Und Bill nimmt im Hinausgehen den Wackelstuhl, der neben dem Tisch steht, ins Visier.

Was funktioniert, was nicht funktioniert, und wie viel Dysfunktion eine Gesellschaft braucht, um zu funktionieren, darum geht es in John Maddens "Best Exotic Marigold Hotel" - der mehr ist als das neue Modell eines Feelgoodfilms, der gezielt ältere Zuschauer zurück in die Kinos holen soll. Und dafür mit einer Parade großartiger britischer Kino- und Theaterstars klotzt, Judi Dench und Bill Nighy, Maggie Smith und Tom Wilkinson, dazu der "Slumdog Millionär" Dev Patel. Der ist das Gegenstück zu Bill Nighy, ein hyperagiler Junge, der mit blumigen Sprüchen und beschwörenden Gesten das heruntergekommene Hotel wieder zum Laufen bringen will. Er verkauft Träume, und sein bester Kunde ist er selber. Start-ups funktionieren völlig anders in Indien als im alten Europa.

Revier für Partnersuche

Senioren, die vom Leben ausgemustert wurden, suchen einen Traumort fürs Alter, und ausgerechnet Indien, das Land, das bei den großen globalen Outsourcing-Prozessen der letzten Jahre eine wichtige Rolle spielte, wird zum Flucht-, zum Zufluchtsort. Zu Hause warten kahle Wohnungen, die schon für altersgerechte Installationen präpariert sind, Anschlüsse für Alarmknöpfe oder Schienen für den Sessellift hinauf. In Jaipur stolpern die Alten durch eine facettenreiche Gesellschaft, verheddern sich in ihren Vorurteilen und Rollenansprüchen, versuchen die eigene Unsicherheit und Verstörung auszugleichen.

Maggie Smith, wegen einer Hüftoperation - auf die sie in der Heimat sechs Monate hätte warten müssen - auf den Rollstuhl angewiesen, hat ihre Kekse aus England mitgebracht, sie schiebt sie mit zögerlicher Andacht in den Mund und kaut daran, als könnte sie dadurch all die Erinnerungen an die Heimat und an ihr Leben als Haushälterin bewahren.

Der Film verklärt nicht, er lässt den Figuren ihre Kanten und Lächerlichkeiten. Sie bleiben unberechenbar, in ihren Reaktionen auf die staubige, heiße, bunte, vitale Welt der Stadt - von Regisseur John Madden zum Teil mit versteckten Kameras auf den Straßen eingefangen. Das reicht von verschreckter Xenophobie - Maggie Smith beim Besuch der Familie eines Mädchens aus der Kaste der Unberührbaren - bis zu den Resten kolonialistischer Rituale im Club der Stadt, der zum Revier für Partnersuche wird.

Spiel mit Privilegien und Prätentionen

Die Bitterkeit ist größer bei den Frauen als bei den Männern, es sind die Frauen, die die Gesellschaft stagnieren lassen und den Wechsel nicht schaffen, daheim wie in Indien, von der überforderten Tochter Nighys bis zur Mutter von Dev Patel, die seine Hotelträume lächerlich findet, eine ganz andere Karriere für ihren dritten Sohn vorbereitet und eine ganz andere Frau.

Am Ende ihrer Magical Mystery Tour haben alle Bewohner des Best Exotic Marigold Hotel eine wundersame Alters-Coolness entwickelt, in der Aufrichtigkeit sich spontan mischt mit Koketterie, das Exquisite mit dem Ringelblumigen. Es ist die erste und womöglich die letzte Generation, die sich einen solchen Trip leisten kann, sagt John Madden: Generation Marigold. Ihr Leben ist nicht perfekt. Aber sie haben sich bestens eingerichtet im Spiel mit ihren Privilegien und Prätentionen.

BEST EXOTIC MARIGOLD HOTEL. Regie: John Madden. Buch: Ol Parker. Nach dem Roman von Deborah Moggach. Kamera: Ben Davis. Musik: Thomas Newman. Schnitt: Chris Gill. Mit: Judi Dench, Bill Nighy, Tom Wilkinson, Maggie Smith, Penelope Wilton, Dev Patel, Celia Imrie. 20th Century Fox, 124 Minuten.

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SZ vom 15.03.2012/rela/pak
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