Bertolt Brecht:Kommunist auf Abwegen

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Es dauerte, bis Brecht, hier 1918 in Augsburg, ein Theater für sein Stück "Trommeln in der Nacht" fand. (Foto: Staats- und Stadtbibliothek Augsburg)

In Augsburg setzen sich ein Festival und eine historische Schau mit Bertolt Brecht auseinander, speziell mit seiner politischen Einstellung.

Von Sabine Reithmaier

Caspar Neher schätzte Brechts Rolle schon früh richtig ein. Zwei Männer hat der Schulfreund und Bühnenbildner auf einen Brief skizziert, den der junge Autor am 13. Februar 1919 an seine Freundin Paula Banholzer schrieb. Der eine läuft mit hoch erhobener Fahne voran; dahinter marschiert der zweite, ein Manuskript unterm Arm, den Oberkörper extrem weit nach hinten gelehnt. Erstaunlich, dass er nicht nach hinten kippt. Die Zeichnung beschreibt genau die Haltung des gerade 21-jährigen Brechts, der die politischen Umwälzungen im Frühjahr 1919 zwar interessiert, aber mit skeptischer Distanz beobachtete.

"Er hat die Revolution als Fortsetzung des Krieges unter anderen Vorzeichen gesehen", sagt Jürgen Hillesheim, Leiter der Brecht-Forschungsstätte Augsburg. Kein anderer historischer Zusammenhang habe Brechts Wahrnehmung einer kommunistischen Revolution nachhaltiger geprägt als der von Erstem Weltkrieg und Räterepublik. Gemeinsam mit der Staats- und Stadtbibliothek Augsburg spürt er in einer Ausstellung Brechts politischer Einstellung in dieser Zeit nach. Die Bibliothek besitzt die zweitgrößte Brechtsammlung der Welt, nur das Berliner Brecht-Archiv ist umfangreicher. Das ermöglicht es, die kurze Zeitspanne nicht nur mit Fotos, Briefen oder Werken Brechts zu dokumentieren, sondern auch vorzuführen, wie die Augsburger Zeitungen und Parteien auf den politischen Wandel reagierten, nachzulesen auch im ausgezeichneten Katalog.

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Caspar Neher war erst drei Tage, bevor er die Skizze fertigte, aus dem Kriegsdienst entlassen worden. Er hatte sich 1915 freiwillig gemeldet. Brecht hatte nie Verständnis für den nationalen Enthusiasmus des Freundes, ließ daran in den 20 Briefen, die er ihm schickte, nicht den geringsten Zweifel. "Du bist vielleicht ein Trottel ... du bis an allem schuld, was über dich kommt, während der Zeit, wo du hier sein könntest." Im April 1917 wurde Neher in der Champagne verwundet, verschüttet und bald wieder "kriegsverwendungsfähig" zurück an die Front geschickt. Brecht war empört, verarbeitete Nehers Erfahrungen in der "Legende vom toten Soldaten". Er selbst kam um den Dienst an der Waffe herum, arbeitete von Anfang Oktober 1918 bis Januar 1919 als Krankenwärter in Reservelazaretten. Er gehörte dem Arbeiter- und Soldatenrat an, ohne aber aktiv zu werden.

Bescheidenheit war Brechts Sache nicht. Im Gegenteil: Paula Banholzer gegenüber stilisiert er sich zum großen Revolutionär, nachdem am 7. April 1919 die Räterepublik ausgerufen worden war. "Übrigens bin ich vollens ganz zum Bolschewisten geworden", teilt Brecht, unbekümmert um die Rechtschreibung, am 15. April 1919 seiner Liebsten mit. "Freilich bin ich gegen jede Gewalt, und da ich hier Einfluss habe, kann ich da einiges tun." Ihm als besonnenen Revolutionär ist es also zu verdanken, dass es in Augsburg nicht zu größeren gewalttätigen Ausschreitungen gekommen war. Dabei hatte der Arbeiter- und Soldatenrat am 13. April die von der SPD geführte Minderheitsregierung unter Johannes Hoffmann anerkannt. Eigentlich wäre das Kapitel Räterepublik damit für Augsburg erledigt gewesen; trotzdem gab es mehr als 40 Tote, als die Freikorps-Truppen am Ostersonntag einmarschierten.

"Na, zu Wichtigerem!", schreibt Brecht weiter. Wichtiger ist sein Drama "Spartakus", später in "Trommeln in der Nacht" umbenannt, in dem er anti-revolutionär auf die Revolution und Räterepublik reagiert und das er eben Lion Feuchtwanger gezeigt hatte. "Ein Dr. in München, der sehr viel gilt und selbst gute Stücke schreibt, findet den Spartakus genial. Er wird was dafür tun und dann bekommen wir Geld..." Die schwangere Paula hielt sich seit Februar 1919 im Allgäu auf. Brechts Heiratsantrag hatte ihr Vater, ein Arzt, abgelehnt; er wollte keinen unbürgerlichen und bis dahin auch erfolglosen Schwiegersohn. Dann lieber eine uneheliche Geburt in Kimratshofen, fern von Augsburg.

1922 übernahmen die Münchner Kammerspiele die Uraufführung, Otto Falckenberg, Sybille Binder und Brecht. (Foto: Staats- und Stadtbibliothek Augsburg)

Eine engere Beziehung verband ihn auch mit Lilly Prem, die als erste Frau in Deutschland die Gesellenprüfung als Bürstenbinderin ablegte. Gemeinsam mit ihrem Mann Georg Prem schloss sie sich der Spartakisten-Bewegung, trat offen für die Bewaffnung der Arbeiterschaft ein. Die SPD müht sich dann 1919 in einem Flugblatt an die "Gesamtbevölkerung Augsburgs" um den Anschein, nie die Räterepublik angestrebt zu haben, weist die Schuld einem "schon vor dem Kriege in einer Beobachtungsanstalt gewesenen" zu: Georg Prem, den Brecht daraufhin aus alter Verbundenheit zu dessen Frau zwei Tage lang in seiner Wohnung versteckt. Er selbst ist nicht da. Ganz wie sein Bruder Walter schreibt: "Gefährliche Tätigkeiten, in die man selbst hätte verwickelt werden können, waren nicht sein Geschmack..."

"...vollens ganz zum Bolschewisten geworden ..."? Die Räterepublik 1919 in der Wahrnehmung Bertolt Brechts, bis 26.4., Mo. bis Fr. 11-16 Uhr, Unterer Cimeliensaal, Staats- und Stadtbibliothek Augsburg

© SZ vom 05.03.2019 - Rechte am Artikel können Sie hier erwerben.
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