Süddeutsche Zeitung

Bernd Eichinger ist tot:Ich hatte einen Traum

Lesezeit: 6 Min.

Abschied von einem ganz Großen: Bernd Eichinger ist in Los Angeles einem Herzinfarkt erlegen. Der deutsche Film verliert einen Mann, an dem man sich reiben konnte. Und den einzigen Produzenten von Weltrang. Er wurde nur 61 Jahre alt.

Tobias Kniebe

Es muss Ende 2005 gewesen sein, als in den Münchner Bavaria-Studios in aller Stille das Parfum gedreht wurde. Mitten in der großen Filmhalle war da ein kleiner klaustrophobischer Keller aufgebaut, der Arbeitsraum des Parfumeurs Baldini alias Dustin Hoffman - der gerade wortreich gestikulierend eine Lieferung Rosenblätter empfing. Sie regneten, Take für Take, in Massen durchs Kellerfenster hinab, zwischendrin erzählte Hoffman schmutzige Witze. Der Regisseur Tom Tykwer war mittendrin im Geschehen, erhitzt und animiert, um jede Bewegung von Kamera und Schauspielern zu führen.

Etwas abseits im Dunkeln, weit entfernt vom gleißenden Kern des Geschehens, saß Bernd Eichinger, der Produzent - mit Kopfhörern vor einem Monitor. In diesem Moment hatte er eine einsame, nicht gerade bequeme Position auf einem hohen Stuhl, der praktisch zur Aufmerksamkeit zwang. Eichinger saß auf der vordersten Kante, Stunde um Stunde. Stunden an Filmsets können elend lang werden, wenn man nicht direkt an der Kamera beschäftigt ist. Eichinger sagte praktisch nichts und rührte sich nicht, aber er hatte den Blick mit einer gebannten, denkwürdigen Intensität auf das Monitor-Bild geheftet. Niemand beobachtete ihn, den großen Showman, aber er konnte und wollte sich nicht zurücklehnen, den Blick nicht für eine Sekunde abwenden, um die anderen mal kurz allein machen zu lassen: ein Mann und seine Lebensleidenschaft.

Bernd Eichinger wurde am 11. April 1949 in Neuburg an der Donau als Sohn eines Landarztes geboren und wuchs in einem konservativen Elternhaus in Rennertshofen auf. Katholisches Internat, aber zu klug, um richtig Rabatz zu machen. Frühe Auftritte in einer Rock-'n'-Roll-Band, Abitur in München. Als einer der ersten Studenten der neu gegründeten Hochschule für Fernsehen und Film besuchte er die Regieklasse, aber noch während des Studiums zog es ihn als Praktikant zur Bavaria, dann als Aufnahmeleiter, Drehbuchautor, zeitweise sogar als Schauspieler.

Eichinger brauchte dann nicht lange für die Erkenntnis, dass er sein eigenes Ding machen konnte. Und wollte.

Mit der Gründung der Solaris-Film 1974 war es soweit: Eichinger wurde zu einem wichtigen Produzenten des Neuen Deutschen Films, drehte unter anderem Falsche Bewegung mit Wim Wenders, Stunde Null mit Edgar Reitz und die Die gläserne Zelle mit Hans W. Geissendörfer, für den es 1977 eine erste Oscarnominierung gab. So hätte er als Diener des deutschen Autorenfilms in die Annalen eingehen können, eine würdige, wenn auch zurückgenommene Rolle - wäre nicht 1979 die Münchner Constantin Film in finanzielle Schwierigkeiten geraten. Eichinger sah seine Chance und übernahm zunächst ein Viertel, dann die Hälfte der Anteile. Es entstand die "Neue Constantin" - und bald war im deutschen Film nichts mehr wie vorher.

Im Jahr zuvor hatte die Republik gebannt eine Serie im Stern verfolgt, in der eine 15-jährige, heroinabhängige Prostituierte aus Berlin-Neukölln in der ersten Person über ihr Leben und Leiden sprach. Das war neu, das war sensationell, da fürchtete das Land plötzlich um seine Kinder - und bei Bernd Eichinger löste das zum ersten Mal jenes Kribbeln aus, das ihn später noch oft befallen würde. Egal, wer sonst noch mitbot, egal, wie teuer die Filmrechte werden würden: Christiane F. - Wir Kinder vom Bahnhof Zoo musste er haben. Der Ankauf gelang, Studienkumpel Uli Edel, immer ein treuer Kollaborateur, übernahm die Regie. Und Eichingers Instinkt trog nicht: mit 4,7 Millionen Besuchern landete er den bis dato erfolgreichsten deutschen Film der Nachkriegsgeschichte. Das Einspielergebnis von 38 Millionen Mark, bei Kosten von sechs Millionen - das war auch finanziell die Basis für weitere Eroberungen.

Die berühmte Nase für den Erfolg bewies er genauso als Filmverleiher, etwa als er Das Boot ins Kino brachte, die Adaption von Lothar-Günther Buchheims Bestseller, oder Michael Endes Unendliche Geschichte (Regie: Wolfgang Petersen). Der nächste große Produzentenstreich war dann bereits international. Jetzt lief Eichinger zu großer Form auf: ein italienischer Weltbestseller (Umberto Ecos Der Name der Rose), ein französischer Starregisseur (Jean-Jacques Annaud) und eine schottische Filmlegende (Sean Connery) - das musste man erstmal zusammenbringen, oder auch zusammenzwingen. Aber es war eine Mischung nach seinem Geschmack - und tatsächlich, sie funktionierte brillant. Der Erfolg übertraf dann wieder einmal die ohnehin schon stark gestiegenen Erwartungen.

Etwa zu dieser Zeit nahm Eichinger dann auch als gesellschaftliche Figur eine feste, nicht nur die Münchner Schickeria unterhaltende Form an: Da waren die unvermeidlichen beigen Converse-Turnschuhe zur engen Röhrenjeans, die ihn auch dann noch wie einen Pausenhof-Rebellen aussehen ließen, als er längst an der Spitze des deutschen Film-Establishments angekommen war; die schönen Frauen, die unweigerlich an seiner Seite auftauchten, im Lauf der Jahre etwa Hannelore Elsner, Barbara Rudnik, Katja Flint oder Corinna Harfouch. Da waren die Geschichten vom Gläserwerfen und von der legendären Trinkfestigkeit, die freimütigen Bekenntnisse zu den Freuden des Bordellbesuchs - und das Staunen, den Mann trotz aller Exzesse ganz ungerührt am nächsten Morgen wieder am Set zu sehen. Das muss man erst einmal leisten, eine zentrale Figur in jener realen Münchner Tragikomödie darzustellen, die Helmut Dietl und Patrick Süskind dann eins zu eins in ihren Film Rossini übertragen konnten.

Im Münchner Schumann's, seiner Lieblingsbar, sah man ihn erst vor kurzem noch - allerdings kam und ging er meist früh, die großen Orgien waren schon lange gefeiert. Er steuerte den Tisch des scheuen Oscarpreisträgers Christoph Waltz an, um diesen in einer Suada von den Vorzügen von 3D für die gesamte Kinobranche zu überzeugen, ein Vortrag, der Widerworte provozierte, die Eichinger aber kaum zuließ: Da war sie wieder und immer noch - die Jagd nach dem nächsten großen Ding.

Er blickte in die Seele des Kinozuschauers

Mit dem Welterfolg von Der Name der Rose war jedenfalls das Modell für Eichingers Schaffen etabliert, aber so ideal funktionierte es natürlich nicht immer. Der Versuch, die WG-Bewohnerin Doris Dörrie in eine New Yorker Komödie zu zwingen, schlug fehl ( Ich und Er, 1987). Ebenso der Kraftakt, Hubert Selbys Roman Letzte Ausfahrt Brooklyn von Deutschland aus in eine Elegie der amerikanischen Verlorenheit zu verwandeln. Bei Isabel Allendes Das Geisterhaus schien sich dann die Formel wieder ideal zu erfüllen: ein Weltbestseller, ein sehr angesehener europäischer Regisseur (Bille August), internationale Stars wie Meryl Streep, Jeremy Irons, Antonio Banderas, Winona Ryder. Aber letzten Endes war diese Familiengeschichte aus dem zerrissenen Herzen Chiles für alle Beteiligten dann doch zu weit weg, um ein wirklich überzeugender Film zu werden.

Ende der neunziger Jahre spalteten sich die Constantin-Aktivitäten stärker zwischen München und Los Angeles auf: In Hollywood entstand exakt kalkulierte, höchst amerikanische Genre-Ware wie Resident Evil - in seinen persönlicheren Projekten aber wandte sich Eichinger wieder Stoffen zu, die näher an deutschen Erfahrungen und Obsessionen, durchaus seinen eigenen, waren: Die letzten Tage Hitlers in Der Untergang, der weltweit 75 Millionen Dollar einspielte und eine Oscarnominierung erhielt; der doch recht mystisch-deutsche Blick auf das 18. Jahrhundert in Patrick Süskinds Parfum unter der Regie von Tom Tykwer, ebenfalls wieder ein sehr großer Erfolg; schließlich der unerschrockene Versuch, die Geschichte der RAF auf zweieinhalb Kinostunden zu verdichten, mit dem Baader Meinhof Komplex.

Abweichungen vom gehobenen Literaturgeschmack waren in all den Jahren immer erlaubt und brachten meist gehörig Geld in die Kassen, etwa Werner - Beinhart!, Sönke Wortmanns Bewegter Mann, ebenso das Superweib mit Veronica Ferres, dazu diverse Tom-Gerhard-Projekte wie Ballermann 6. In die Seele des deutschen, oft doch recht jungen Kinozuschauers, blickte Bernd Eichinger bis zuletzt wie kein zweiter, und wenn diese Seele nach Bölkstoff-Orgien und Beziehungsblödeleien verlangte oder auch nach dem befreienden Gefühl, einfach mal gewaltig in die Ecke zu kotzen - dann war er absolut der Mann, solche Bedürfnisse zu befriedigen, selbstverständlich auf handwerklich gehobenem Niveau.

In manchen Jahren sorgte seine Constantin im Alleingang für zwei Drittel der Besucherzahlen im deutschen Film, ohne dass jemand noch viel Aufhebens davon machte. So leicht fiel ihm das Füttern der Maschine mit den Jahren, dass für die Leidenschaft seiner Herzensprojekte immer noch jede Menge Energie vorhanden war. Nach ein paar turbulenten Episoden an der Börse gab er im April 2001 den Vorstandsposten der Constantin Film AG allerdings ab, 2006 auch seine Position als Aufsichtsrat. Der Plan war, sich wieder ganz aufs Drehbuchschreiben und Filmemachen zu konzentrieren - und auch, es an der Seite seiner späten Liebe (und ersten Ehefrau), der Filmjournalistin Katja Hofmann, vielleicht etwas ruhiger angehen zu lassen.

Am verletzlichsten zeigte sich der Kraftmensch Eichinger wahrscheinlich da, wo er auf seine Ausbildung zurückkam und selbst Regie führte. Die Neuinszenierung des Kinoklassikers Das Mädchen Rosemarie für Sat 1 war der erste Streich, sie offenbarte eine elegante Regiehandschrift und eine Obsession für Mysterien des Weiblichen, die wie das Original durch die fünfziger Jahre geprägt schienen. Der große Bagarozy nach Helmut Krausser war dann ganz seiner Leidenschaft für Maria Callas gewidmet, konnte aber die Kritiker nicht überzeugen und fand auch beim Publikum nicht die erhoffte Gegenliebe. Eine Inszenierung von Richard Wagners Parsifal an der Staatsoper Berlin blieb ebenfalls ein künstlerisch mindestens fragwürdiges Zwischenspiel.

So kehrte Eichinger zu dem für ihn idealen Modus zurück: andere Regie führen zu lassen, seine Filme aber als Autor und Übervater doch entscheidend zu prägen. Wie viel er dabei wirklich Einfluss nahm und Machtworte sprach, und wie viel ihm als überlebensgroße Produzentenfigur einfach nur zugeschrieben wurde, da werden die Filmhistoriker noch gut zu tun haben.

Am Montagabend saß Bernd Eichinger in Los Angeles in einem seiner Lieblingsrestaurants, fernab vom deutschen Winter, wie immer auf der Jagd nach neuen Deals und neuen Ideen. In der Stadt der Träume hatte er in den letzten Jahrzehnten viel Zeit verbracht, mehr, als man an seiner Filmographie ablesen konnte. Sein Büro in einem schwarz verkleideten Hochhausturm über dem Sunset Boulevard bot einen weiten Blick bis zum Meer in der Ferne. Als der Herzinfarkt kam, muss alles schnell gegangen sein - ein entschiedener, früher Abgang, der seinem Leben und Arbeiten auf seltsam unheimliche Weise zu entsprechen scheint. Seine Legende wird wachsen, wenn er nun auf dem Boulevard der Dämmerung in den Himmel der Kinonarren fährt.

"Der Bernd", wie sie ihn hier in München nennen, starb im Freundes- und Familienkreis. Er wurde 61 Jahre alt.

Bestens informiert mit SZ Plus – 4 Wochen für 0,99 € zur Probe lesen. Jetzt bestellen unter: www.sz.de/szplus-testen

URL:
www.sz.de/1.1051029
Copyright:
Süddeutsche Zeitung Digitale Medien GmbH / Süddeutsche Zeitung GmbH
Quelle:
SZ vom 26.01.2011
Jegliche Veröffentlichung und nicht-private Nutzung exklusiv über Süddeutsche Zeitung Content. Bitte senden Sie Ihre Nutzungsanfrage an syndication@sueddeutsche.de.