Berlusconi und Bikini-Bilder:Der Körper des Staatsmannes

Breit grinsende Derbheit: Was eigentlich soll an den Fotos aus Berlusconis Feriendomizil so empörend sein? Sie lenken doch nur ab.

Gustav Seibt

Was eigentlich soll an den Fotos aus Silvio Berlusconis sardischem Feriendomizil so empörend sein? Niemand, der diesen Geschäftsmann und Politiker auch nur von Ferne beobachtet hat, konnte daran zweifeln, dass er es sich in seiner Freizeit auch erotisch gutgehen lassen würde.

Berlusconi und Bikini-Bilder: Bikini-Bilder und Haifischgrinsen: Silvio Berlusconi gefällt sich in der Rolle des Entertainers.

Bikini-Bilder und Haifischgrinsen: Silvio Berlusconi gefällt sich in der Rolle des Entertainers.

(Foto: Foto: AP)

Auch dass sein Geschmack nichts Ausgefallenes habe, war allen seinen Lebensäußerungen seit jeher ablesbar. Ungeniertheit, Freude am Expliziten, der absichtsvolle Regelverstoß gegen bürgerlichen Anstand, breit grinsende Derbheit: All das ist Berlusconi ja nicht jahrelang einfach unterlaufen.

Es gehörte vielmehr schon immer zum Wesen seiner öffentlichen Gestalt, die auf eine Verbindung von praktischer Tüchtigkeit und charakterlicher Entsublimierung hinauslief - Berlusconi war und ist die fleischgewordene, lebensfrische Personifikation der Demagogie, ohne die geringste Scheu vor der vulgären Aufdringlichkeit, die den Dödel des Kehrmichtnichtdrans bei jeder Gelegenheit heraushängen lässt.

Wer alles Geld der Welt hat, den kostet die Welt nichts - das ist sein Grundsatz. Der Kontrast zur vorangehenden politischen Kaste der Republik Italien - verstaubt im Habitus, verklemmt im Auftreten, verschraubt im Sprechen - war und ist beabsichtigt.

Diese Entsublimierung zeigte seit jeher mehr als nur erotische Aspekte, ja diese sind in ihrer groben Männlichkeit sogar ihr uninteressantester Teil. Politisch viel folgenreicher war seit jeher Berlusconis ungenierte persönliche Rachsucht und die Zumutung, die im ostentativen Nichtunterscheiden von Privat- und Staatsinteressen bestand.

Im Land, das die Staatsräson als Begriff und Verhaltensweise erfunden hat, bedeutet die Figur Berlusconi eine bemerkenswerte kulturelle Regression. Man lernt im Kontrast, welch hohes Ethos und feine Unterscheidungskraft jener Machiavellismus bewies, den der Nordeuropäer als Inbegriff der Amoral zu betrachten sich seit Jahrhunderten angewöhnt hat.

Die Schande Italiens

Machiavellis Traktat über den "Principe" wurde geschrieben für eine Generation von Machthabern, die sich daran gewöhnt hatten, dass ihnen nicht einmal absonderliche Gelüste versagt blieben - so bedeutete die nüchterne florentinische Staatsprosa einmal den Einspruch eines Klassizismus im Verhalten gegen den vorherrschenden Trieb-Manierismus an den schwelgerischen Höfen Italiens. Machiavellis Moral bestand in der Eingrenzung der Amoral auf die Staatsnotwendigkeit.

Am Ende des 20. Jahrhunderts kehrte diese Opposition als vulgäre Farce zurück: Nachdem Giulio Andreotti noch mit der Maxime regiert hatte, befehlen sei besser als ficken (comandare è meglio del fottere) und "die Macht verschleißt - den, der sie nicht hat", drehte sein Nachfolger Berlusconi die Rangfolge um: Die Macht sollte fortan vor allem dazu dienen, jenen Phantastilliarden-Reichtum zu sichern, der nicht zuletzt allzeit ungestörtes Ficken erlaubt. Andere Ziele als die Erhaltung der für Berlusconis Firmenimperium nötigen staatlichen Umwelt hat seine Politik zu keinem Zeitpunkt erkennen lassen.

Die Schande des heutigen Italiens besteht darin, dass es diesen Nichtpolitiker dreimal legal an die Macht kommen ließ. Dass die älteste Kulturnation des nachantiken Europa dabei in der Welt immer wieder etwas lächerlich aussieht, gehört zu den vernachlässigenswerten Kollateralschäden eines Systems, das längst eine permanente Verfassungskrise verkörpert.

Über die Bikini-Bilder kann man dagegen nur die Achseln zucken. Hellenistische und römische Herrscher ließen ihre Köpfe auf nackte Athletenkörper mit allem Drum und Dran schrauben, und Ludwig XIV. verrichtete in Anwesenheit seines Hofadels das große Geschäft: "Maestà Cacatoria" nannte ihn Carlo Emilio Gadda, jener italienische Schriftsteller, für den Sigmund Freuds Traktat über "Charakter und Analerotik" strukturbildend wurde.

Ludwig XV. ließ sich jahrelang täglich eine unberührte Jungfrau zur Vergewaltigung zuführen - wie angenehm das für die Töchter Frankreichs gewesen sein mag, deutet der Umstand an, dass Ludwigs Diener sein Sterbebett verließen, weil sie den Gestank des ungewaschenen Monarchen nicht mehr aushielten. Auch Mao Zedong empfand, wie berichtet wird, ein besonderes Vergnügen daran, seine Sexpartnerinnen durch fehlende Hygiene zu peinigen.

Viel zu hoch greift, wer das von Hegel und Goethe so geschätzte französische Sprichwort zitiert, dass es keinen Helden für den Kammerdiener gebe, weil der Kammerdiener den Helden nur als physische Existenz mit leiblichen Bedürfnissen und niedrigen Leidenschaften erlebe.

Auch muss man fragen, ob höher sublimierte Herrschergestalten wie Friedrich der Große oder Hitler wirklich vorzuziehen sind: Friedrich achtete mit Argusaugen darauf, dass in seiner Nähe nicht etwa menschliches Glück gedeihe - Liebesheiraten hat er reihenweise verhindert. Und bei Hitler hat man sogar den Eindruck, etwas mehr Freude am Sex hätte seinen jämmerlichen Charakter durchaus aufhellen können.

Aber in einer bürgerlichen Verfassung brauchte all dies keine Rolle mehr zu spielen. Die Entkörperlichung der Figur des Staatsmannes seit der Französischen Revolution war ein zivilisatorischer Fortschritt ersten Ranges. Dass er nun durch Bildmedien und Rundumbeobachtung - bis hin zu den Großaufnahmen verkrampfter Hände bei Talkshows - wieder rückgängig gemacht wird, ist eine bisher kaum begriffene Erschwerung bei der Auslese geeigneten demokratischen Führungspersonals. Berlusconis dämliche Ausreißer lenken von diesem Grundsatzproblem nur ab.

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