Süddeutsche Zeitung

Berlinroman:Was kommt nach dem Rave?

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Drogen, Kuscheln, Gelegenheitsjobs und am Ende tritt Lars Eidinger auf: Ilinca Florians unterkomplexer Berlin-Roman "Das zarte Bellen langer Nächte".

Von Kristina Maidt-Zinke

Vor zwei Jahren debütierte Ilinca Florian, 1983 in Bukarest geboren, mit dem Roman "Als wir das Lügen lernten". Darin schilderte sie aus der Perspektive eines sechsjährigen Mädchens die letzten Monate des Ceauşescu-Regimes in Rumänien, die Tücken des sozialistischen Alltags, die unterschwelligen Spannungen und offenen Verwerfungen in einer Familie vor der Ausreise nach Deutschland.

Das Buch beeindruckte mit einer fantasievollen, scharf beobachtenden Hauptfigur und filmisch gedachten Szenen von irritierender Mehrdeutigkeit. Die Autorin, die für ihren Erstling zweifellos auf autobiografisches Material zurückgreifen konnte, wuchs in Österreich auf und lebt seit 2007 in Berlin; sie hat an der Deutschen Film- und Fernsehakademie studiert und verfasst unter anderem Werbetexte und Drehbücher. Jetzt liegt ihr zweiter, sehr schmaler Roman vor und weckt Erwartungen, die sich teils der Erinnerung an das Debüt verdanken, teils der optisch wie haptisch aparten Aufmachung, vor allem aber dem wunderbar poetischen Titel "Das zarte Bellen langer Nächte".

Wer mag ihn sich ausgedacht haben? Wohl kaum dieselbe Person, die das Buch geschrieben hat, oder allenfalls deren Alter Ego. Denn der Text, im braven Leichtlektüre-Präsens mit kurzen Sätzen, schlägt einen ganz anderen Ton an: schlicht und eindimensional, auf fast furchtsame Art humorfrei und sichtbar abgestimmt auf eine jugendliche (oder ungern erwachsen werdende) Leserschaft, die in Büchern nicht mehr sucht als das, was sie aus dem eigenen Alltag oder vom kollektiven Medienkonsum her kennt, einschließlich bestimmter, gleichsam vorformatierter Gefühle und Gemütsregungen.

Die Hauptfigur hat Soziologie studiert, arbeitet aber als Aushilfskellnerin

Dieser neuerdings stark umworbenen Zielgruppe liefert Ilinca Florian ein kleines Hauptstadtpanorama aus jenem Milieu, für das vor geraumer Zeit der Begriff "Bildungsprekariat" erfunden wurde. Sie bringt dabei ihren filmisch geschulten Blick insofern ins Spiel, als sie Vorgänge und Situationen so schildert, als wolle sie Stoff für ein Dokumentarfilm-Skript sammeln: protokollierend, stets an der Oberfläche verharrend, doch mit emsiger Aufmerksamkeit für Details.

Hannah, die Hauptfigur, hat bildungsbürgerliche Eltern und einen Master in Soziologie, muss sich aber mit Gelegenheitsjobs durchschlagen. Über eine Zeitarbeitsfirma gerät sie in die Retourenabteilung des Berliner Online-Händlers Zalando, und man fühlt sich flüchtig zurückversetzt in jene Epoche, in der ein Genre namens "Literatur der Arbeitswelt" aufblühte und rasch wieder vertrocknete. Ein interessanter Einblick, der aber, versteht sich, um Lichtjahre entfernt ist von dem politischen Anspruch, mit dem man vor einem halben Jahrhundert versuchte, Arbeitsabläufe und soziale Probleme unter den Bedingungen kapitalistischer Produktion literaturfähig zu machen. Heute ist alles viel entspannter: Die Generation Zalando findet es im Prinzip cool, sich dort ausbeuten zu lassen, wo sie auch als Kundschaft für die große Knete sorgt, und zur Unterhaltung liest sie gern mal eine Mini-Reportage darüber, was hinter den Kulissen des Versandgiganten abgeht.

Hannah aber hat nach einer Woche genug und wechselt als Aushilfskellnerin in die Austernbar des KaDeWe. Will sagen: So richtig prekär ist ihre Lage noch nicht, auch wenn sie bei einem kuriosen Intermezzo mit dem Besitzer eines Asia-Shops schon mal die Möglichkeit der Prostitution erwägt. Noch hat sie viel Muße, über die Defizite ihrer Beziehung zu Moritz nachzudenken, einem leicht depressiven, musikalischen Studienabbrecher, mit dem sie zusammenlebt, der aber eigentlich "mit seiner Gitarre verlobt" ist. Dass die beiden eher wenig kommunizieren, zeigt sich, als Moritz eigenmächtig auf Ebay einen Labradormischling namens Robby ersteigert hat, "voll das schöne Tier", wie er sagt.

Am Ende treten auch noch Tom Tykwer und Lars Eidinger leibhaftig auf

Nach kurzer Debatte ist Hannah einverstanden, und der folgende Absatz steht exemplarisch für etliche Stellen, an denen die Autorin ihre Erzählung etwas unbeholfen abkürzt: "Die beiden werden nie wieder über das Für und Wider dieser Anschaffung sprechen. Sie sind in das Tier verliebt und haben sich schnell der alles bestimmenden Aufgabe verschrieben, gute Hundeeltern zu sein. Zumindest auf Hannah trifft das zu."

Was wie ein Vorgriff auf die Zukunft klingt, läuft freilich ins Leere, denn wenig später bleibt Hannah mit dem Hund allein, weil Moritz mit seiner Band auf Tour geht, und die endgültige Trennung des Paars folgt alsbald. Zwar lässt Robby kein "zartes Bellen" hören, doch immerhin gibt es lange Nächte, in denen Hannah reichlich Alkohol und Drogen konsumiert, in Clubs tanzt, schlechten Sex hat, bei schwulen Freunden kuschelt und in der illegalen Hipster-Bar ihrer Freundin Paula arbeitet. Und am Ende treten auch noch Tom Tykwer und Lars Eidinger leibhaftig auf. So ist Ilinca Florian, die ihr Herkunftsland hier ganz ausblendet, dann doch wieder in ihrer eigenen Erfahrungswelt angelangt.

Irgendwann, auf einem nächtlichen Drogentrip, hat Hannah eine Sinnkrise, einen Anfall von Existenzangst. Was, wenn man dreißig oder gar fünfunddreißig wird und alles keinen Spaß mehr macht und man nur noch allein ist, "und der Rest des Lebens: Kälte"? Oder auch: "Was kommt nach dem Rave?" Sie, die Romanheldin, kriegt dann ja noch die Kurve. Ihren Alters- und Leidensgenossinnen aber möchte man raten, sich jedenfalls nicht in intellektueller Selbstbeschränkung zu üben, sondern ruhig etwas komplexere, weniger klischeegesättigte Bücher zu lesen - und zu schreiben. Das kann maßgeblich zur Sinnfindung beitragen, der inneren Kälte vorbeugen und sogar Spaß machen.

Ilinca Florian : Das zarte Bellen langer Nächte. Roman. Karl-Rauch-Verlag, Düsseldorf 2020. 170 Seiten, 20 Euro.

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Quelle:
SZ vom 01.04.2020
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