Süddeutsche Zeitung

Berliner Wahrzeichen:Betonwabenfest

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Die Kapelle der Berliner Gedächtniskirche wurde saniert und in eine wirklich gelungene Ruheinsel der Moderne verwandelt.

Von Jens Bisky

Tausende eilen täglich an der Kaiser-Wilhelm-Gedächtniskirche vorüber, jeder kennt ihren neuen Turm, die Alte Kirche und die neue, achteckig, blau schimmernd. Nur wenige dürften wissen, dass zur Fünf-Gebäude-Kirche auf dem Breitscheidplatz ein Raumkunstwerk von seltener Schönheit gehört, die rechteckige Kapelle. Dank der Expertise der Wüstenrot-Stiftung konnte sie nun saniert werden.

Der Innenraum scheint auf den ersten Blick nicht leicht einzuordnen. Er wirkt zu feierlich für einen Seminarraum, zu nüchtern für Gottesdienste. Man tritt näher, erblickt gestaffelte Umgrenzung: hinter den großen Scheiben, die an Mies van der Rohes Neue Nationalgalerie denken lassen, folgt ein Grünstreifen, dann eine Wand aus Holz- und Betonwaben mit farbigen Dickgläsern. Der Breitscheidplatz gehört zu den wenigen Orten, an denen man Berlin mit einer Großstadt verwechseln könnte. Und mitten darauf steht dieser bergende, stille Ort, abgeschlossen, aber nicht höhlenartig. Man sieht die Fassaden des Bikini-Hauses, des Europa-Centers. Und ja, die Proportionen im flachen Rechteck sind sehr angenehm.

Auch die Kapelle war in die Jahre gekommen, wie alle fünf Gebäude der Gedächtniskirche, die Egon Eiermann in den späten Fünfzigerjahren entworfen und nach zähen Diskussionen noch einmal neu geplant hatte. 1961, wenige Monate nach dem Mauerbau, wurde die Kirche geweiht, die Kapelle 1963. Eiermanns Stahlskelettbau, ausgefacht mit Betonwaben, litt über die Jahre unter dem urbanen Dauerstress. Die Stahlkonstruktion der Kapelle rostete, der Beton platzte ab oder riss, das Holzraster verrottete rettungslos, im Inneren häuften sich Gebrauchsspuren.

Für etwa 1,5 Millionen Euro hat das Büro adb, Ewerien und Obermann, die Kapelle wiederhergestellt und zeitgemäß ertüchtigt. Die Glasscheiben halten nun das Sonnenlicht ab, dämmen besser. Das nachgebaute Holzraster auf der Innenseite der Umfassungsmauer lässt die feinen Materialspielereien Eiermanns wieder zur Geltung kommen: mattschwarzer Stahl, heller Waschbeton, farbige Gläser und eben das schraubenlose Steckwerk aus Holz. Heizung und Lüftung sind erneuert, es gibt nun auch Toiletten und eine Teeküche im Keller. Der umlaufende schmale Garten zwischen Kapellenraum und Umfassungsmauer bekam eine automatische Bewässerungsanlage und sieht heute wieder so aus, wie Eiermann ihn wünschte, wohl auch als eine Erinnerung an Klostergärten, Kreuzgänge. Und doch wirkt die Kapelle weder von außen noch im Inneren geschmirgelt glänzend neu, sondern liebevoll gepflegt. So wünscht man sich Denkmalpflege, Reparatur statt Rekonstruktion.

Während der Arbeiten war Gelegenheit, die Sanierung der Betonwaben zu erproben. Das Wissen wird man bald brauchen, da der sechseckige Turm nebenan dringend saniert werden muss. Demnächst, nach dem Kirchentag, beginnen erst einmal Arbeiten am Sockel des gesamten Gedächtniskirchenkomplexes. Die Kapelle kann nur zu Gottesdiensten oder Veranstaltungen besucht werden. Wer unwahrscheinliche Räume mag, muss diese Ruheinsel der Moderne sehen.

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Quelle:
SZ vom 11.05.2017
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