Berliner Stadtschloss:Wo ist denn die Revolte?

Das Berliner Stadtschloss ist ohnehin schon die umstrittenste Baustelle Deutschlands. Nun soll ein angeblicher Skandal die Architektur-Wettbewerbs-Juroren erschüttern.

Gerhard Matzig

"Vor Gericht", heißt es, "und auf hoher See ist man in Gottes Hand." Mit anderen Worten: Erwartbares, gar Rationales sei an solch sturmgepeitschten Orten des Schicksals und anderer höherer Mächte nun mal nicht zu erwarten. Bei Seifenopern ist das umgekehrt: Sie sind in ihrer Dramaturgie vorhersehbar. Und deshalb hätte man es sich denken können, dass nun, knapp zwei Wochen vor dem seit Jahren erwarteten Architektenwettbewerb zu Rekonstruktion und Ausgestaltung des Berliner Stadtschlosses, die prominenteste deutsche Architekturdebatte als unendliche Geschichte einmal mehr skandalisiert wird.

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Palastreste: Trümmer liegen am Montag in Berlin an der Stelle, an der früher der Palast der Republik stand und wo nun das Stadtschloss rekonstruiert werden soll. Über eine Äußerung der Architektin Gesine Weinmiller zur Rekonstruktion des Berliner Stadtschlosses ist ein öffentlicher Streit ausgebrochen.

(Foto: Foto: ddp)

Was nur deshalb Aussicht auf Erfolg hat, weil Gottes Hand in Architektenwettbewerben ja in der Tat höchst selten anzutreffen ist. Der gebauten Umgebung ist das bisweilen anzumerken.

Der vermeintliche Skandal, der jetzt von Spiegel und Bild am Montag aufgefrischt wurde ("Die Palast-Revolte", "Riesenstreit ums Stadtschloss"), ist allerdings seit einem Jahr zumindest als Grundrissfigur bekannt.

Damals, im Herbst 2007, wurden die Juroren berufen, die am 28. November in Berlin den Gewinner des wohl denkwürdigsten, ganz sicher aber emotionalisierendsten deutschen Architektenwettbewerbs der jüngeren Geschichte küren sollen. 15 Juroren sind es insgesamt, die sich aufteilen in acht Fachpreisrichter auf Architekten- und Expertenseite sowie in sieben Sachpreisrichter auf Seite des Bauherren, also der politischen Gremien.

Schon jetzt werden die Mitglieder dieser Jury gegeneinander in Stellung gebracht, um einen Antagonismus zu befriedigen, ohne den man sich den Streit ums Schloss offenbar nicht mehr vorstellen kann - so dumm er auch ist.

Berufe-Verraten

Die Fachpreisrichter Gesine Weinmiller, David Chipperfield und HG (Hans-Günter) Merz sollen, so der Spiegel, die Palast-Revolte gegen die geplante Rekonstruktion anführen. Gesine Weinmiller wird so zitiert: "Wer als Architekt nicht für einen kompletten, modernen Neubau an dieser Stelle ist, verrät seinen Beruf."

Natürlich fragt man sich, warum sie dann freiwillig einer Jury angehört, die sich qua Bundestagsbeschluss vom Juli 2002 um die Realisierung eben nicht eines Neubaus, sondern einer Rekonstruktion müht? Weinmiller, angesehene Architektin in Berlin, hat eine glaubhafte Erklärung: "Das ist völlig konstruiert. Ich habe lediglich darauf hingewiesen, dass eine moderne Lösung auch immer denkbar gewesen wäre. Aber natürlich ist die Entscheidung des Souveräns nun den Grundsätzen nach zu akzeptieren."

HG Merz, renommierter Architekt und Museumsgestalter, hört sich im Gespräch mit der Süddeutschen Zeitung ebenfalls sehr viel weniger anarchistisch an als zuvor. Er bestätigt zwar, dass die Vorgaben des Bundes als Wettbewerbsauslober "zu eng" seien. Er präzisiert aber: "Das stellt keineswegs die Rekonstruktion als solche in Frage - sondern zielt auf die Interpretationsspielräume der Entwurfsverfasser." Und dass solche nicht vorhanden seien am Berliner Schlossplatz, wird auch der vernageltste Rekonstruktivist nicht in Abrede stellen wollen.

Es wäre also gar nicht nötig gewesen, gegen die angeblichen Revoluzzer den unvermeidlichen Wilhelm von Boddien aufzubringen. Er sagt erwartungsgemäß zu Bild: "Man demontiert die Jury von innen heraus, um hinterher das Ergebnis als Farce darzustellen." Tatsächlich sieht es eher nach einer Demontage der Jury von außen aus.

Äußerliche Aufgeregtheiten

Durchgeführt wird dieser so peinigend, weil irrational umstrittene, medial aufgeblasene Wettbewerb übrigens nach den "Grundsätzen und Richtlinien für Wettbewerbe auf den Gebieten der Raumplanung, des Städtebaus und des Bauwesens", kurz GRW genannt. Was so spröde klingt, ist es auch. Aber schon deshalb ist die Materie nicht zum Skandalon geeignet.

Ein Blick in die Richtlinien hätte genügt, um die schöne Story kaputt zu machen - denn das, was sich in Berlin im Vorfeld des Wettbewerbs abspielt, ist alles andere als ein Fall von innerer Anarchie. Es geht vielmehr um äußerliche Aufgeregtheiten, die dem Anliegen der Schloss-Rekonstruktion aber natürlich dennoch schaden können. Denn auch dann, wenn sich die Rauchschwaden wieder gelegt haben werden, bleibt eines bestehen: die immens schwierige Symbiose von äußerlicher Rekonstruktion des Stadtschlosses und innerer Neuinterpretation der Räume, um das Innenleben nicht eines Schlosses, sondern des Humboldt-Forums zu organisieren.

Das ist schwer genug. Ein öffentlich ausgetragener und ständig befeuerter Streit der Juroren um Inhalte und Haltungen (pro oder contra Rekonstruktion), der so tut, als könne man über die Zukunft des Stadtschlosses nun völlig neu nachdenken, ist der Sache nicht förderlich.

Die Juroren stehen nun vor einer zweifachen Aufgabe: Zum einen müssen sie eine Arbeit unter den 30 abgegebenen Entwürfen finden, die in der Lage ist, all die Fragen rund um die umstrittenste Baustelle Deutschlands überzeugend zu beantworten; zum anderen müssen sie es schaffen, die gesähte Zwietracht zu ignorieren.

Wenn sich die Juroren aber in den Ring stellen lassen, um als "Modernisten" oder "Rekonstrukteure" aufzutreten, dann werden sie kaum in der Lage sein, die Komplexität der Aufgabe zu bewältigen. Auf die Details kommt es an. Geplärre im großen Maßstab hilft nicht weiter.

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