Berliner Stadtschloss::Ja zur Schloss-Fassade

Warum allein die "historische Lösung" richtig ist

JENS BISKY

(SZ v. 15. Mai 2002)

Anders als die meist über alle Maßen selbstsicheren Anhänger eines zeitgenössischen Baus auf dem Berliner Schlossplatz kennen viele Schlossfreunde die Angst vor dem Augenblick, da ihr Wunsch Wirklichkeit wird und die rekonstruierten Fassaden nach Schlüters Vorbild zu sehen sein werden. Ist das gegenwärtige Bauhandwerk überhaupt in der Lage, Fassaden dieser Größe und plastischen Durchbildung ordentlich aufzuführen? Wird sich ein Architekt finden, der die Räume dahinter menschenfreundlich proportioniert? Oder wird Tilman Buddensieg mit seinem sarkastischen Vorschlag Recht behalten, es sei besser, gleich Jeff Koons zum "verantwortlichen Gestalter" zu ernennen? "Dann würde der unvermeidliche historische Kitsch zum gewollten Kitsch unserer Zeit."

Im Kitschvorwurf gipfeln die Argumente gegen eine Rekonstruktion des Berliner Stadtschlosses. Die barocken Formen, heißt es, passten weder zur geplanten Nutzung noch zu unserer Zeit. Der Wunsch nach ihnen zeige eine verwerfliche Sehnsucht nach Vergangenem, nach Illusionen und Kulissen - als hätten nicht Palladio, Schinkel und Bruno Taut Kulisseneffekte ausgiebig genutzt. Dass sie vielfältige und neue Nutzungen nicht nur erträgt, sondern ästhetisch dabei gewinnen kann, zeichnet gute Architektur aus. Und so eng, wie man uns oft weismachen will, ist die Verbindung zwischen Funktion und architektonischer Gestalt ohnehin nur in Plattenbauküchen.

Die Mehrheit der Berliner wünscht das Schloss. Selbst die Ruine des Republikpalastes findet mehr Anhänger als ein neues Bauwerk. Vernachlässigen kann man diese Stimmung nicht. Die Architektur ist die einzige Kunst, in der das Laienurteil den Ausschlag gibt. Einem Konzert, einem Bild, einem Buch kann ich ausweichen. Architektonisch Hässliches aber hat nicht nur bei Robert Gernhardt etwas quälend "Verlässliches". Aber nicht allein die in Berlin offenkundige Schwäche der zeitgenössischen Baukunst spricht für eine Rekonstruktion des Schlosses. Nur diese überließe dem barbarischen Akt der Sprengung nicht das letzte Wort. Betrachtet man, wie die Expertenkommission, das Schloss nicht mehr als Solitär, verliert auch der Kitschvorwurf an Kraft. Nur eine Rekonstruktion ist in der Lage, das einzigartige städtebauliche Ensemble in der Mitte Berlins wiederherzustellen, verlorenen Stadtraum wiederzugewinnen. Ausgehend vom Schloss und als bürgerliche Antwort auf die Hohenzollernresidenz hat Schinkel sein Museum am Lustgarten entworfen.

Gewiss, das rekonstruierte Schloss wäre kein "authentischer" Bau, aber es teilte dieses Schicksal mit den wichtigsten Gebäuden Unter den Linden. Es stünde in bester Nachkriegstradition, vollendete ein Aufbauwerk der DDR, das mit der Oper Unter den Linden begann - eine Rekonstruktion nach Knobelsdorff. Wo - wie in Berlin Schinkels Schauspielhaus, in Gdansk die Altstadt oder in München die Residenz - zerstörte Bauwerke wieder errichtet worden sind, werden sie von denen, die sie nutzen, angenommen, ungeachtet aller Verstöße gegen die Regeln der Denkmalpflege.

Gewinnen würde durch eine Rekonstruktion wohl auch die zeitgenössische Architektur. Ihre Aufgabe, auf dem Berliner Schlossplatz ein Gebäude in den "Formen der Gegenwart" zu errichten, hätte etwas Fatales. Verlangt würde ein Triumph über die Geschichte nach zweifachem Abriss. Der Baumeister stünde in der Tradition der bundesdeutschen Nachkriegsarchitekten, die die "Chance der Zerstörung" durch den Bombenkrieg ergriffen haben, um in Hannover und andernorts das Überlieferte auszuradieren. Der Schlossplatzarchitekt soll nun nicht nur Schlüter überbieten, sondern auch der Gegenwart zum Ausdruck verhelfen - ein gigantomanisches Unternehmen. Eine Rekonstruktion nach Schlüter, die aus Erfahrung bescheidene, auf den Avantgardetraum reiner Gegenwart verzichtende Ausführung in sehr bewährten Formen wäre ein Zeichen, dass man vom übersteigerten Anspruch und von Geschichtsvergessenheit Abschied genommen hat.

In Zeiten leerer Kassen, doch ungebremst im eigenen Bauwillen hat Schinkel 1817 das Verhältnis der Gegenwart zur Tradition als eines der bewussten Zurücknahme beschrieben: "Von eigentlich classischen Gebäuden, die in ihrer ganzen Idee etwas wirklich eigenthümliches und großartiges haben, besitzt Berlin nur zwei: das Königliche Schloß und das Zeughaus. (...) Sie stehen zugleich als Monumente der Kunst da und werden immer wichtiger, je weniger die Zeit im Stande sein wird, sich auf so große und vollkommene Werke einzulassen, und zugleich wird von dieser Seite die Pflicht um so dringender, die geerbten Schätze in ihrer ganzen Herrlichkeit zu erhalten, selbst in den ungünstigsten Zeiten sind die hierauf zu verwendenden Mittel nie als eine überflüssige Verschwendung anzusehen, weil der zwar nur indirecte Nutzen, welcher daraus erwächst, zu allgemein und groß ist."

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