Berliner Staatsballett:Tanz der Zottelmonster

Ekman / Eyal, Uraufführung am Berliner Staatsballett

Haarige Angelegenheit: Für Alexander Ekmans Stück „Lib“ hat Charlie Le Mindu, Begründer des Labels „Haute Coiffure“, die Kostüme entworfen.

(Foto: Jubal Battisti)

Hier Lamettaoptik, dort Düsternebel: Ein Doppelabend präsentiert Choreografien von Alexander Ekman und Sharon Eyal - beide sehr zeitgenössisch, beide mit Wow-Effekt.

Von Dorion Weickmann

Tanz-Traditionalisten müssen in Berlin derzeit ziemlich darben. Zu Saisonbeginn verschob das Staatsballett die einzige Klassikerneuproduktion, das für Frühjahr angesetzte "Dornröschen", in die nächste Spielzeit. Also muss das Publikum bis auf Weiteres mit Aufführungen aus dem Fundus vorliebnehmen, der immerhin Präsentables wie "La Bayadère" enthält. Planmäßig rückte dagegen Sasha Waltz in die Doppelspitze ein, wo sie neben Johannes Öhman als Chefin der 90-köpfigen Truppe amtiert. Allerdings fiel das Opening der gemeinsamen Intendanz nicht sonderlich einfallsreich aus, weil mit "Plateau Effect" nur eine aus Schweden angekaufte Inszenierung auf die Bühne kam. Jetzt endlich gab es in der Staatsoper Neues zu sehen, das Doppelprogramm "Ekman/Eyal": zwei zeitgenössische Choreografen, zwei vollkommen unterschiedliche Ansätze und Arbeiten - aber beide mit Wow-Effekt.

Der Schwede Alexander Ekman macht mit "Lib" (Kürzel für "Liberation") seinem Ruf als Komödienregisseur alle Ehre. Vier Ballerinen und ein zotteliges Ungeheuer reichen ihm aus, um einen fröhlichen Jux mit gemäßigtem Tiefgang zu entfesseln. Anfangs stolziert ein sonnenköniglicher Smokingträger über die Bühne, bekrönt mit einer extravaganten Hochfrisur. Auf seinem Haupt türmt sich ein mindestens eineinhalb Meter hohes Perückenpatchwork. Zusammengeflickt hat es Charlie Le Mindu, Begründer des Labels "Haute Coiffure", als Kreateur haariger Roben bereits für etliche Kundinnen aus dem internationalen Popzirkus im Einsatz.

Bei den Pirouetten sehen die Tänzerinnen aus wie rotierende Bürsten einer Autowaschstraße

Beim Berliner Staatsballett fällt ihm vor allem die Aufgabe zu, vier anfänglich hautfarben verpackten Tänzerinnen ein Körperetui aus Kunsthaar zu verpassen. Was das edel posierende Quartett in eine irrwitzig dahinfetzende Monsterschar verwandelt, angeführt von einer Art Ober-Guru in grauer Vollhaarmontur. Wenn die Damen ihre Pirouetten drehen, sehen sie aus wie rotierende Bürsten einer Autowaschstraße. Ihre Sprünge lassen die Mähnen zu fliegenden Flokatis mutieren, die beim Aufsetzen sogar Silberglanz in Lamettaoptik emittieren. Ekman heizt derweil die Akustikschleife mit "Satisfaction" und anderen Gute-Laune-Machern auf, bis "Lib" nicht nur die Sehgewohnheiten bereinigt, sondern auch die Gehörgänge gründlich durchgeputzt hat.

Was wiederum beste Bedingungen schafft für Sharon Eyal, die israelische Choreografin mit Hang zu Techno, den in Berlin der bewährte Klangmaschinist Ori Lichtik aussteuert. Düsternebel verdunkelt die Bühne von "Strong" bis auf einen horizontalen Lichtkorridor, in dem dreizehn Gestalten schwärzlich opalisieren. Daneben springen vier athletische Oberkörper ins Auge, die den Blick auf die motorischen Muster lenken, die Eyal gemeinsam mit Gai Behar in den Raum gestanzt hat.

Die Choreografie gleicht einem Parforceritt auf Zehenspitzen. Sie beschwört die Macht des Kollektivs und formuliert zugleich das Recht auf Abweichung. Denn aus dem uniformen Bewegungschor, der sämtliche Formationen zwischen Kreis und Linie dekliniert, scheren nacheinander einzelne Pioniere aus. Sie testen, was bald darauf zur Gemeinschaftsaktion wird - etwa die maximale Auffaltung der Silhouette zur Attitude oder ein frontales Kreuzen der Bühne mit seitlichen Bourréeschritten und schlenkernden Armen. Dabei modelliert die Choreografie zu jedem Element ein Gegenstück. So wird der vorwärtsstrebende Menschenkeil Sekunden später umgestülpt, die Diagonale zum Zirkel gerundet. Gegen Ende werden Lichtvektoren in W- und M-Form portalhoch übereinandergelegt, Chiffren für weibliche und männliche Prinzipien. Naturgemäß ballt sich die Lichtenergie dort, wo die Buchstaben sich überschneiden - in der Diverszone sozusagen, die "Strong" sehr clever illuminiert.

Vielfalt regiert im Übrigen auch im Staatsopernparkett, das kein Silbersee aus Grauhaarigen mehr ist. Jedenfalls nicht bei der "Ekman/Eyal"-Premiere. Und das ist, um das Outing eines Berliner Ex-Regierenden zu zitieren - gut so.

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