Stefanie Reinsperger, eine Schauspielerin wie eine entsicherte Handgranate und Fachkraft für Extremzustände, kann natürlich alles spielen. Aber besonders gern widmet sie sich Figuren, die unverkennbar einen schweren Hau ins Monströse haben. So ein Monster ist Thomas Bernhards Bruscon, Titelheld in seinem Stück "Der Theatermacher", ein Probebühnendiktator der ganz alten Schule, den sie jetzt am Berliner Ensemble mit aller Reinsperger-Wucht und -Zartheit hinknallt. Voller Genuss kostet der Theatermacher seine Berufsbezeichnung aus: "Staats-schau-spieler!" - und mit so einem Status darf man sich in seiner kleinen Welt so ziemlich alles erlauben. Seine bedauernswerte Tochter packt und quält er so lange und schmerzhaft, bis sie die Worte ausspuckt, an denen er sein verkorkstes Ego aufrichtet: dass er "der größte Schauspieler der Welt" sei - darunter macht es dieser Bruscon nicht.
Am meisten leidet er selbst unter seinen Überspanntheiten, wenn er in einem seiner Tobsuchtsanfälle "Kunst! Kunst! Kunst!" brüllt und mangels anderer Opfer einen kleinen Tisch zerlegt, als wäre er das letzte Hindernis auf dem Weg zum Weltruhm. Toxische Männlichkeit ist gar kein Ausdruck für den Regie-Tyrann, der mit seinem selbst verfassten Stück durch die Gasthöfe der Provinz tingelt und so vom eigenen Genie überzeugt ist, dass er für den Rest der Welt nur Verachtung übrig hat: "Shakespeare, Goethe und ich!" Seine Familie nimmt er in Geiselhaft seines Künstlergrößenwahns, alle müssen mitspielen, und sie genügen seinen Ansprüchen natürlich nicht. Der Sohn (Adrian Grünewald): "debil", die Tochter (Dana Herfurth): "dumm", die arme Ehefrau, die sich nur noch unter Hustenanfällen durch ihre Monologe quält (Christine Schönfeld): ein ausgemachtes "Antitalent".
Wir haben es bei dem Theaterirren unverkennbar mit einem "narzisstischen, frauenverachtenden Arschloch" zu tun, wie Reinsperger ihre Figur im Vorfeld der Premiere in einem Interview prägnant charakterisiert hat. Aber weil Reinsperger nicht nur eine kraftvolle, sondern auch eine kluge Schauspielerin ist, die ihre Figuren nicht denunzieren will, zeigt sie die zarte Seele im Widerling, die heillose Verlorenheit im Genie-Irrsinn, den Künstler als armes Würstchen.
Am Berliner Ensemble inszeniert das der Intendant Oliver Reese mit liebevoller Textgenauigkeit, früher hätte man gesagt: werkgetreu. Der Dorfgasthof in Utzbach, der Gastspielort, an den es den Theatermacher verschlagen hat, ist ein trostlos vollgerümpeltes Drecksloch, in dem länger niemand die Spinnweben entfernt hat (Bühne: Hansjörg Hartung). An der Wand stapeln sich Toilettenrollen, hinten verstaubt ein Hirschgeweih neben einem Hitlergemälde - wir sind in Österreich. Mit den Worten des Theatermachers: "Hier gibt es nichts als Schweinemastanstalten und Kirchen und Nazis." Dass der Theatermacher und Theatermacker hier von einer Schauspielerin dargestellt wird, ist kein Gendertheorie-Ausrufezeichen, auch keine irgendwie ironische Brechung, sondern einfach ein Spiel. Nach etwa zwei Minuten denkt man über Reinspergers Geschlechtertausch nicht mehr nach. Eine tolle Schauspielerin kann alles spielen, auch einen Scheißkerl.