Süddeutsche Zeitung

Castorf-Inszenierung am Berliner Ensemble:Babylon Bequem

Lesezeit: 3 min

Alles wie immer im Theater von Frank Castorf. In "Fabian oder Der Gang vor die Hunde" schlägt sich der Regisseur am Berliner Ensemble durch einen Kästner-Roman. Ein routinierter Höllentrip.

Von Peter Laudenbach

Wenn sich die Welt so schnell dreht, dass einem schwindelig werden kann, ist es beruhigend, wenn einige Stoiker ungerührt alles, aber wirklich alles an sich abprallen lassen. Frank Castorfs Theater ist so ein wertkonservativer Fels in der Brandung, dem kein Modernisierungsschub, sagen wir mal im Frauenbild, und erst recht keine aktuellen Einschläge wie die Pandemie das Geringste anhaben können. Egal, was sonst so passiert - und fast egal, welches Werk der Weltliteratur dem Castorf-Theater gerade zum Fraß vorgeworfen wird -, seine verlebten Lebemänner und High-Heel-Schlampen in Flitterfetzen werden sich auf immer und ewig in ihren Kaschemmen, Lotterbetten und Stadtlandschaften unter Filmplakaten und Neonschriften abschießen. In ihrer Existenz-Absturzkneipe ist es sowieso für alles zu spät und lebenslänglich kurz nach Mitternacht (also die Uhrzeit, zu der Castorf-Inszenierungen traditionsgemäß allerfrühestens enden, auch wenn sie sich schon zwei Stunden vorher anfühlen wie ein lang anhaltender Kater).

Weil es sich Castorfs Theater im Krisenbewusstsein gemütlich gemacht hat, ist die nächste Apokalypse, der nächste Bürgerkrieg, oder wenigstens der nächste Lustmord immer nur einen Wimpernschlag weit entfernt. Wenn sich jetzt am Berliner Ensemble in Castorfs jüngster, wegen der Pandemie mehrmals verschobener Inszenierung wieder mal die Nackten und die Toten blutüberströmt in der Badewanne aneinanderpressen, wenn es Frank Büttner und Marc Hosemann im Schlachthof zwischen Rinderhälften miteinander treiben (als wären wir in einem Alb- oder Lusttraum von Francis Bacon), wenn sich die Nutten müde auf dem Barhocker räkeln und aus dem Off der nahende Untergang Europas verkündet wird (als wäre wir in einem Alb- oder Lusttraum von Oswald Spengler oder Alexander Gauland), dann kann man sich entspannt im Zuschauersessel zurücklehnen: alles wie immer und in bester Ordnung im genreüblichen Kaputtheitsreigen und gemütlichen Exzess-Kino.

Für Fabians rastlose Einzelgänger-Melancholie hat die Inszenierung keine Verwendung

Die aktuelle Fortsetzung dieses immerwährenden Castorf-Höllentrips macht im Babylon-Berlin der 1920er-Jahre Station und bedient sich dafür bei Erich Kästners 1931 erschienenem "Fabian"-Roman. Seit vor acht Jahren dessen wesentlich rohere Urfassung samt allen pornografischen Krassheiten und ohne jeden Sentimentalitätsweichzeichner unter dem Originaltitel "Der Gang vor die Hunde" erschienen ist, erlebt das Buch eine Neuentdeckung. Vor einigen Tagen zeigte Dominik Graf bei der Berlinale seine dreistündigen Verfilmung, in der sich Kästners Berlin mit dem Berlin der Gegenwart kreuzt: Das gegenwärtige Krisenbewusstsein findet in Kästners Zeitroman seinen Spiegel, auch wenn es ein Spiegel mit vielen Verzerrungen und den Übertreibungen der Satire ist.

Der durch das Berlin der Inflation und zahlreiche Betten treibende Fabian, ein arbeitsloser Werbetexter, ist ein Zeitgenosse von Döblins Franz Biberkopf und wie dieser eine Art Katalysator, in dem sich das Chaos der Zeit bündelt. Aber im Gegensatz zu Döblins Kleinkriminellem, einer halb wahnsinnigen Woyzeck-Figur, ist der deklassierte Kleinbürger Fabian ein melancholischer Ironiker, der das Treiben im Sündenpfuhl immer aus sicherer Halbdistanz beobachtet. Castorf hält sich mit solchen Feinheiten nicht auf, der Fieberwahn ist der natürliche Zustand seines Theaters. Für Kästners spöttische Eleganz, für Fabians ratlose Einzelgänger-Melancholie hat die Inszenierung keine Verwendung. Die Regie collagiert Kästners sehr klar durcherzählte Geschichte, bis nur eine wirre Mischung aus Atmosphäre und Schockmomenten übrig bleibt: hier ein Selbstmord, dort ein Puff-Besuch, zwischendurch wälzen sich die Leiber durcheinander durch die Betten, und am Ende gibt es, sozusagen als Zugabe und politische Begleitmusik, eine Schießerei zwischen einem Nazi und einem Kommunisten, die im Roman ziemlich am Anfang steht.

Es gibt schillernde Schauspielleistungen, der Rest ist: Castorf-Routine auf Autopilot

Für Zeitkolorit und Athmo-Verstärkung sorgen eingeblendete Filmklassiker, von Walther Ruttmanns "Berlin - Die Sinfonie der Großstadt" bis zu Slatan Dudows "Kuhle Wampe", bis sich der arme Fabian in einem Delirium der Bilder und Zitate eher verliert als spiegelt. Nur wenn Kästner seinen Fabian in einen Albtraum mit Massakern und Riesenmaschinen, Raub und geschlachteten Kindern stürzt und Castorf das mit psychedelischen Filmüberblendungen fortsetzt, kommen Romanvorlage und Inszenierung in ihren Stilmitteln zusammen. Der Rest ist: Castorf-Routine auf Autopilot. Was allerdings dank der Hochleistungsschauspieler zwischendurch immer wieder mal furios schillert.

Marc Hosemann tänzelt als Fabian im Slapstick-Schritt an den Hausfassaden, einem Kino, Leuchtreklamen und dem laubbedeckten Hinterhof auf der Drehbühne vorbei (Bühne, wie immer: Aleksandar Denić). Er parodiert gekonnt Heinz Rühmann oder den ewigen Operettenschmieranten Jopi Heesters, aber vor allem bedient er sich virtuos und unsagbar lässig im Ausdrucksspektrum des Stummfilms.

Frank Büttner gibt ein wildes Tier aus dem Proletariat, Andreas Döhler spielt einen Selbstmörder, einen Polizisten und einen gemütlichen Rechtsradikalen, und es stört nicht weiter, dass er alle in etwa gleich spielt. Margarita Breitkreiz ist unter anderem Fabians Geliebte Cornelia und ganz im Gegensatz zu Kästners Romanfigur eine im Überlebenskampf gestählte Furie, die weiß, dass der Weg zum Filmstar durch das Bett des Filmproduzenten führt. Ein Mindestmaß an Abgefucktheit ist im Castorf-Biotop unumgänglich. Die stärkste und traurigste (und vielleicht die einzig ehrliche) Szene gilt der Abgefucktheit des Regisseurs: Hosemann liest den schmerzerfüllten, verzweifelten Abschiedsbrief einer Geliebten an einen rücksichtslosen Egomanen, in dem man wohl Herrn Castorf vermuten darf.

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