Berliner Ensemble:Diktatur des Proleten

Mit seinem "Ubu Rex" hat Alfred Jarry den Protoyp eines ordinären, machtbesessenen, habgierigen und skrupellosen Tyrannen geschaffen. Am BE überträgt der Regisseur Stef Lernous die Schreckensvorlage ins Heute - und macht daraus ein lärmendes Trump-Kabarett.

Von Peter Laudenbach

So etwa um 1970 wäre diese lärmende Inszenierung des "Ubu Rex" zwar auch schon nostalgisch und plump gewesen, hätte vielleicht aber noch als anarchisches Vaudeville oder als Beitrag zur Wiederentdeckung Alfred Jarrys als Großspinner und Pionier des absurden Theaters durchgehen können. Heute bleibt nicht viel mehr als ein schaler Nachgeschmack von dieser aufgekratzten Aufführung im Kleinen Haus des Berliner Ensembles. Dabei hat das Stück jede Neuinszenierung verdient.

Die Pariser "Ubu Roi"-Uraufführung der wilden Shakespeare-Parodie um einen Kleinbürgerdiktator sorgte 1896 für einen handfesten Theaterskandal. Schon mit dem ersten Wort des Prologs, "Merdre!" (ein verballhorntes "Merde", also "Scheiße"), begann der Tumult im Zuschauerraum. Der einzige Theaterkritiker, der das Stück positiv rezensierte, wurde von seiner Zeitung sofort entlassen. Später feierten die Surrealisten Jarry als "großen Zerstörer": "Wir waren uns mit ihm einig, wenn er Gehirne zermantschte oder wenn er sich entschloss, die ganze Welt durch eine Falltür zu werfen." (Philippe Soupault)

Bei den Ubus zuhause gibt es Kartoffelchips, Fernsehen und Dosenbier - alles extra vulgär und plump

Der belgische Regisseur Stef Lernous, offenbar ein Grobmotoriker seines Fachs, verlässt sich in seiner rabiaten Bearbeitung auf den nächstliegenden Einfall. Statt den Zuschauern zuzutrauen, die Parallelen des offensiv verrohten und vulgären Narzissten Ubu auf dem Thron seines Höllenkönigreichs zum verhaltensauffälligen Personal im Weißen Haus oder am britischen Regierungssitz zu entdecken, setzt der Regisseur auf überdeutliches Kabarett. Großzügig über den Text gestreute Trump-Zitate, die überdimensionierte rote Krawatte und die Boris-Johnson-Frisur demonstrieren als Signalreize politische Bedeutung und Zeitkritik. Ein verlebter Ubu (mit großzügig ausgepolsterter Wampe: Tilo Nest) fläzt auf dem Ledersessel vor dem Fernseher. Stefanie Reinsperger lehnt Frau Ubu lose an Peggy Bundy an ("Steck ihn rein, rein ,rein!"), nicht unbedingt zur Begeisterung des trägen Gatten: "Dieses Geschlechterdingsbums ist schwieriger, als ich dachte." Weil das Traumpaar nicht im barocken Protz-Ambiente des Trump Towers, sondern in einem heruntergekommenen Wohnzimmer residiert, verrutscht die Aufführung zum billigen Hohn über eine als restlos degeneriert dargestellte Unterschicht. Auch das ist eine politische Aussage, allerdings eine ziemlich arrogante.

Ein Gewissen hat Ubu erstaunlicherweise auch (Cynthia Mica). Es wird zügig zum Schweigen gebracht, was angesichts des Lamentos kulturpessimistischer Phrasen über das böse Internet und das Fernsehen ein verdientes Los ist. Ansonsten wird ordentlich mit Kartoffelchips und Dosenbier rumgesaut, versehentlich ein Atomkrieg ausgelöst, monoton gebrüllt und laute Zirkusmusik gescheppert, die den quälende zwei Stunden langen Abend auch nicht amüsanter macht.

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