Berlinale:Wie PR-Manager die "Me Too"-Debatte abwürgen wollen

Berlinale: Lässt sich von PR-Managern nicht den Mund verbieten: Schauspielerin und Regisseurin Greta Gerwig

Lässt sich von PR-Managern nicht den Mund verbieten: Schauspielerin und Regisseurin Greta Gerwig

(Foto: AFP)
  • Die PR-Manager der Filmstars versuchen auf der Berlinale, Fragen zur "Me Too"-Debatte erst gar nicht zuzulassen.
  • Um den südkoreanischen Regisseurs Kim Ki-duk tobt abseits seines neuen Films dennoch eine Diskussion um angeblich erzwungene Sexszenen.
  • Im offiziellen Wettbewerb, in dem dieses Jahr 19 Filme um den Goldenen Bären konkurrieren, ist der deutsche Film "Transit" von Christian Petzold ein Highlight.

Von David Steinitz

Es gibt eine Berufsgruppe in der Filmbranche, die bekommt beim Stichwort "Me Too" die pure Panik. Nein, gemeint sind nicht alte Regisseure in Bademänteln, sondern die sogenannten Publicists. Diese PR-Manager sind die Türsteher zu den Filmstars, sie entscheiden, wer wann wie lange mit ihnen sprechen darf. Seit Neuestem würden sie wohl auch ganz gerne kontrollieren, worüber man mit ihnen sprechen darf.

Diesen Schutzreflex kann man auf der Berlinale gut beobachten, die ja der erste große Festival-Ernstfall in Europa seit den Missbrauchsvorwürfen gegen den Filmproduzenten Harvey Weinstein ist. Die PR-Betreuer sind hier quasi durchgehend damit beschäftigt, ihre Leute vormittags vorbei an den Mikros und Kameras auf der Pressekonferenz, mittags vorbei an den Mikros und Kameras bei den Interviews und abends vorbei an den Mikros und Kameras auf dem roten Teppich zu lotsen. Und weil sich beim Stichwort "Me Too" schon diverse Promis um Kopf und Kragen geredet haben, sind die Publicity-Leute in Berlin im Daueralarmzustand.

Die Agentin von Regisseur Wes Anderson zum Beispiel, die beim Interview- Termin zu seinem Film "Isle of Dogs" erst gelangweilt im Hintergrund auf ihrem Handy herumtippt und dann hypernervös von ihrem Stuhl aufspringt und herumgestikuliert, wenn man ihn auf "Me Too" anspricht - obwohl er selbst kein Problem damit hat.

Gerwig ist in doppelter Mission zur Berlinale gekommen

Ein weiteres Beispiel: das Management der Schauspielerin und Regisseurin Greta Gerwig. Diese ist in doppelter Mission zur Berlinale gekommen, sie spricht eine der Figuren im Animationsfilm "Isle of Dogs", und wo sie schon mal da ist, macht sie auch gleich noch ein bisschen Werbung für ihr Regiedebüt "Lady Bird". Die Coming- of-Age-Tragikomödie startet im April in den deutschen Kinos und hat Gerwig gerade eine Oscar-Nominierung als beste Regisseurin eingebracht. Sie ist erst die fünfte Frau in der Geschichte der Oscars, die in dieser Kategorie nominiert worden ist.

Also eigentlich eine ideale Gesprächspartnerin für die Veränderungen, die gerade in der Filmindustrie stattfinden. Ihre PR-Dame lässt aber schon vor dem Interview-Termin wissen: "Miss Gerwig möchte keine Fragen zur 'Me Too'-Debatte beantworten."

Dieser Hinweis erweist sich dann aber eher als vorauseilender Gehorsam. Die 34-Jährige erzählt beim Treffen in einem Hotel am Brandenburger Tor durchaus, wenn man sie fragt. Nicht über das Thema Missbrauch, das sie selbst zum Glück nicht betrifft, aber doch sehr gerne darüber, dass sich Hollywood gerade grundlegend wandele: "Ich könnte mich nicht riesiger für die nächste Generation von Frauen freuen, die Filme machen möchten."

Dass die Filme am ersten Berlinale-Wochenende von so mancher Diskussion drumherum in den Hintergrund gedrängt wurden, zeigte besonders krass die Pressekonferenz des südkoreanischen Regisseurs Kim Ki-duk am Samstag. Er ist mit seinem neuen Film "Human, Space, Time, Human" in der Nebenreihe Panorama vertreten, und allein diese brutale Farce böte schon genug Gesprächsstoff. Kim erzählt darin von einer Meuterei an Bord eines Schiffes, in der Menschen aus verschiedenen sozialen Schichten aufeinander losgehen, inklusive Kannibalismus und Gruppenvergewaltigung. Bei seinem Auftritt in einem Edelhotel-Konferenzraum am Potsdamer Platz ging es aber nicht um diesen filmischen Gewaltexzess, sondern um einen angeblich realen.

Eine südkoreanische Schauspielerin, die anonym bleiben möchte, beschuldigt den Regisseur schon länger, sie 2013 bei Dreharbeiten in eine nicht abgesprochene Sexszene gezwungen und ins Gesicht geschlagen zu haben. Sie hatte ihn dafür angezeigt. Das Verfahren wurde gegen die Zahlung einer Geldstrafe von umgerechnet 3800 Euro wegen der Ohrfeige eingestellt; der sexuelle Missbrauch ließ sich laut den Ermittlungen nicht beweisen. Kim selbst räumt ein, die Schauspielerin damals geohrfeigt zu haben, den Vorwurf des Missbrauchs streitet er vehement ab. Da also Aussage gegen Aussage steht, entschloss sich die Berlinale, ihn einzuladen.

Die Perspektive des Regisseurs ist eine andere

Auf der Pressekonferenz kurz vor der Premiere war wegen dieser Vorgeschichte ordentlich was los, fast sofort ging es um die Anschuldigungen. Der Regisseur wurde von mehreren Journalisten aus verschiedenen Ländern ins Verhör genommen, trat aber betont beherrscht und freundlich auf und gab sich Mühe, alle Fragen zu beantworten, um nicht den Eindruck zu erwecken, er würde das Thema meiden.

Seine Perspektive der angeblich erzwungenen Sex-Aufnahme: "Wir probten eine Szene vor vielen Crew-Mitgliedern. Meine Leute haben damals nicht gesagt, dass etwas Unanständiges passiert sei. Die Schauspielerin hat das anders gesehen. Es hat dazu eine gerichtliche Entscheidung gegeben. Ich stimme dem nicht völlig zu, aber ich habe die Verantwortung übernommen." Als er gefragt wird, ob er sich zumindest für die Ohrfeige entschuldigen wolle, antwortete Kim: "Nein. Ich finde es bedauerlich, dass es zu einem Verfahren gekommen ist."

Da der Mann schon seit Jahren heftige Gewaltstudien dreht, schloss er die Pressekonferenz mit einem Appell: "Danke für Ihr Interesse. Ich verstehe Ihre Besorgnis, was das Thema Gewalt angeht. Aber Sie sollten wissen, dass ich mein Leben nicht wie in meinen Filmen lebe." Außerdem lobte er noch ein bisschen die "Me Too"-Debatte und begrüßte die laufenden Diskussionen in der Filmbranche. Dann zog er weiter zum Zoo-Palast in Richtung roter Teppich.

Gelöst war die Angelegenheit durch diesen Auftritt natürlich nicht, und es wird spannend sein zu beobachten, wie die großen Festivals sich künftig in solchen Fällen verhalten, in denen Anschuldigung gegen Anschuldigung steht. Einladen? Ausladen? Kims Pressekonferenz blieb auf jeden Fall der Gesprächsstoff des Wochenendes.

Und im Kino? Da liefen natürlich trotz aller Debatten Filme. Im offiziellen Wettbewerb, in dem dieses Jahr 19 Filme um den Goldenen Bären konkurrieren, hatte zum Beispiel der erste von vier deutschen Beiträgen Premiere, der auch ein erstes Highlight ist: "Transit" von Christian Petzold.

Ein Liebesmelodram vor historischer Kulisse also? Ganz und gar nicht!

Der Regisseur hat dafür den gleichnamigen Roman von Anna Seghers adaptiert. Er handelt von dem jungen Mann Georg (Franz Rogowski), der vor den deutschen Truppen, die 1940 schon kurz vor Paris stehen, gerade noch nach Marseille fliehen kann. Im Gepäck hat er die Hinterlassenschaft eines verstorbenen Schriftstellers, unter anderem die Zusicherung eines Visums durch die mexikanische Botschaft. Georg nimmt die Identität des Toten an und mischt sich unter die vielen Flüchtlinge in der Stadt, die alle mit den letzten Schiffen aus Europa fliehen wollen. Dabei verliebt er sich ausgerechnet in Marie (Paula Beer) - sie ist die Frau des Schriftstellers.

Ein Liebesmelodram vor historischer Kulisse also? Ganz und gar nicht. Der Berlinale-Veteran Christian Petzold, der schon oft im Wettbewerb vertreten war - zuletzt mit "Barbara" (2012) - hat wie immer einen Kniff bereit. Er verlegt die Flüchtlingsgeschichte von damals ins Marseille von heute. Die Figuren trinken im Bistro von heute, sie lieben sich in den schäbigen Hotelzimmern von heute, werden gejagt von der Polizei mit ihren Uniformen und Helmen und Sirenen aus der Gegenwart - führen aber ihr Leben aus dem Jahr 1940.

Das Gespensterdasein von Seghers' Protagonisten, die als Flüchtlinge aus der normalen Gesellschaft herausgefallen sind und in einem merkwürdigen Zwischenraum leben, versteht Petzold nicht nur geografisch, sondern auch zeitlich, zwischen Vergangenheit und Gegenwart. Gespenster, echte wie metaphorische, bevölkern seine Filme schon seit Jahren. Deshalb passt dieser Mix aus zwei Welten, die eine Zwischenwelt bilden, auch sehr gut in seinen neuen Film, auch wenn es ein bisschen dauert, bis man sich daran gewöhnt, denn das Mash-up wird nie thematisiert.

Das Erschreckende an dieser Geschichte ist die Tatsache, dass die katastrophalen Flüchtlingsströme der Vergangenheit sich so problemlos auf die Gegenwart projizieren lassen, die bereits wieder ihre eigenen Gespenster produziert. Ein berührender Kinofilm, mit dem Petzold sich in die vorderen Reihen der Preisanwärter einreihen dürfte.

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