Es gibt eine Berufsgruppe in der Filmbranche, die bekommt beim Stichwort "Me Too" die pure Panik. Nein, gemeint sind nicht alte Regisseure in Bademänteln, sondern die sogenannten Publicists. Diese PR-Manager sind die Türsteher zu den Filmstars, sie entscheiden, wer wann wie lange mit ihnen sprechen darf. Seit Neuestem würden sie wohl auch ganz gerne kontrollieren, worüber man mit ihnen sprechen darf.
Diesen Schutzreflex kann man auf der Berlinale gut beobachten, die ja der erste große Festival-Ernstfall in Europa seit den Missbrauchsvorwürfen gegen den Filmproduzenten Harvey Weinstein ist. Die PR-Betreuer sind hier quasi durchgehend damit beschäftigt, ihre Leute vormittags vorbei an den Mikros und Kameras auf der Pressekonferenz, mittags vorbei an den Mikros und Kameras bei den Interviews und abends vorbei an den Mikros und Kameras auf dem roten Teppich zu lotsen. Und weil sich beim Stichwort "Me Too" schon diverse Promis um Kopf und Kragen geredet haben, sind die Publicity-Leute in Berlin im Daueralarmzustand.
Die Agentin von Regisseur Wes Anderson zum Beispiel, die beim Interview- Termin zu seinem Film "Isle of Dogs" erst gelangweilt im Hintergrund auf ihrem Handy herumtippt und dann hypernervös von ihrem Stuhl aufspringt und herumgestikuliert, wenn man ihn auf "Me Too" anspricht - obwohl er selbst kein Problem damit hat.
Gerwig ist in doppelter Mission zur Berlinale gekommen
Ein weiteres Beispiel: das Management der Schauspielerin und Regisseurin Greta Gerwig. Diese ist in doppelter Mission zur Berlinale gekommen, sie spricht eine der Figuren im Animationsfilm "Isle of Dogs", und wo sie schon mal da ist, macht sie auch gleich noch ein bisschen Werbung für ihr Regiedebüt "Lady Bird". Die Coming- of-Age-Tragikomödie startet im April in den deutschen Kinos und hat Gerwig gerade eine Oscar-Nominierung als beste Regisseurin eingebracht. Sie ist erst die fünfte Frau in der Geschichte der Oscars, die in dieser Kategorie nominiert worden ist.
Also eigentlich eine ideale Gesprächspartnerin für die Veränderungen, die gerade in der Filmindustrie stattfinden. Ihre PR-Dame lässt aber schon vor dem Interview-Termin wissen: "Miss Gerwig möchte keine Fragen zur 'Me Too'-Debatte beantworten."
Dieser Hinweis erweist sich dann aber eher als vorauseilender Gehorsam. Die 34-Jährige erzählt beim Treffen in einem Hotel am Brandenburger Tor durchaus, wenn man sie fragt. Nicht über das Thema Missbrauch, das sie selbst zum Glück nicht betrifft, aber doch sehr gerne darüber, dass sich Hollywood gerade grundlegend wandele: "Ich könnte mich nicht riesiger für die nächste Generation von Frauen freuen, die Filme machen möchten."
Dass die Filme am ersten Berlinale-Wochenende von so mancher Diskussion drumherum in den Hintergrund gedrängt wurden, zeigte besonders krass die Pressekonferenz des südkoreanischen Regisseurs Kim Ki-duk am Samstag. Er ist mit seinem neuen Film "Human, Space, Time, Human" in der Nebenreihe Panorama vertreten, und allein diese brutale Farce böte schon genug Gesprächsstoff. Kim erzählt darin von einer Meuterei an Bord eines Schiffes, in der Menschen aus verschiedenen sozialen Schichten aufeinander losgehen, inklusive Kannibalismus und Gruppenvergewaltigung. Bei seinem Auftritt in einem Edelhotel-Konferenzraum am Potsdamer Platz ging es aber nicht um diesen filmischen Gewaltexzess, sondern um einen angeblich realen.
Eine südkoreanische Schauspielerin, die anonym bleiben möchte, beschuldigt den Regisseur schon länger, sie 2013 bei Dreharbeiten in eine nicht abgesprochene Sexszene gezwungen und ins Gesicht geschlagen zu haben. Sie hatte ihn dafür angezeigt. Das Verfahren wurde gegen die Zahlung einer Geldstrafe von umgerechnet 3800 Euro wegen der Ohrfeige eingestellt; der sexuelle Missbrauch ließ sich laut den Ermittlungen nicht beweisen. Kim selbst räumt ein, die Schauspielerin damals geohrfeigt zu haben, den Vorwurf des Missbrauchs streitet er vehement ab. Da also Aussage gegen Aussage steht, entschloss sich die Berlinale, ihn einzuladen.