Berlinale 2021:Berlinale, die zweite

Lesezeit: 3 Min.

Tom Schilling in "Fabian oder Der Gang vor die Hunde" von Dominik Graf. (Foto: Hanno Lentz/Berlinale)

Das Festival holt mit einer Sommerausgabe fürs Publikum nach, was im März nur digital möglich war. Die besten Filmtipps.

Von Kathleen Hildebrand

Die Berlinale ist in diesem Jahr ein zerrissenes Festival. Der Wettbewerb - und mit ihm eine "Branchen-Event" genannte digitale Streamingveranstaltung für Journalisten und Vertreter von Verleihen, Produktionsfirmen etc. - hat schon Anfang März stattgefunden. Wer die Preise bekommt, ist in beinahe allen Sparten des Festivals entschieden und verkündet: Den Goldenen Bären hat die Satire "Bad Luck Banging or Loony Porn" vom rumänischen Regisseur Radu Jude gewonnen, den Silbernen der japanische Episodenfilm "Wheel of Fortune and Fantasy". Weil wegen der Pandemie im März aber niemand nach Berlin reisen konnte, werden die Bären erst jetzt ganz klassisch und physisch auf einer Bühne überreicht.

Beim "Sommer-Event" der 71. Berlinale, das von diesem Mittwoch bis zum 20. Juni stattfindet, kommt endlich das Publikum zum Zuge, das in Berlin eine größere Rolle spielt als in Cannes oder Venedig, wo kaum oder keine Tickets in den normalen Verkauf gehen. Die Berliner lieben ihr Festival, normalerweise strömen sie in Massen in die Kinos.

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Dieses Mal wird das Erlebnis ein anderes sein: Weil draußen Corona, aber eben auch Sommer ist, können die Menschen in siebzehn Open-Air-Kinos die Festivalfilme gucken, verteilt über ganz Berlin. Vom Freiluftkino Hasenheide über das Haus der Kulturen der Welt, die Freilichtbühnen Weißensee, Friedrichshain und Friedrichshagen bis zur Museumsinsel, wo extra für den Sommerteil der Berlinale ein Kino aufgebaut wurde. Hinter der Leinwand lugt der Dom hervor, links zeigt der Fernsehturm in den Himmel.

Dass man die Stadt nicht, wie sonst im Kino, ausblendet, sondern sie während der Vorstellung noch sieht, riecht und hört, passt ganz gut zu diesem Berlinale-Jahrgang, der nicht nur außerordentlich viele starke Filme aus Deutschland versammelt, sondern allein im Wettbewerb auch noch drei genuine Berlin-Filme stehen hat, die allesamt absolut sehenswert sind.

Im Siegerfilm "Bad Luck Banging" wird eine Lehrerin für ihren Heimporno vors Elterntribunal gestellt

Zum einen wäre da "Fabian oder Der Gang vor die Hunde", der neue Film von Dominik Graf nach dem Roman von Erich Kästner über einen anständigen, etwas fatalistischen jungen Mann, der an seiner Zeit leidet und sich verliebt. Der Film dauert knapp drei Stunden, ist aber so leichtfüßig erzählt und so fabelhaft gespielt, von Tom Schilling, Saskia Rosendahl und Albrecht Schuch, dass man die Länge nur ein ganz klein wenig spürt. Grafs "Fabian" ist eine sommerliche Liebesgeschichte und natürlich ein Gesellschaftsporträt der frühen Dreißigerjahre - so durchscheinend, dass man oft vergisst, nicht im Berlin der Gegenwart zu sein. Im Untergrund-Kabarett lassen sich ein paar Verrückte vom Publikum beleidigen wie heute in Castingshows, und zu Füßen der Figuren sieht man in einer Szene bronzene Stolpersteine mit den Namen später ermordeter Juden. "Fabian" ist ein Film wie ein melancholischer Sommer: schön anzuschauen, aber das Ende, die drohende Dunkelheit spürt man zu jeder Zeit.

Maren Eggert bekam für ihre Rolle in Maria Schraders "Ich bin dein Mensch" den Schauspiel-Bären zugesprochen, jetzt kriegt sie ihn auch ganz in echt. (Foto: Christine Fenzl/Berlinale)

Eine ganz andere Liebesgeschichte erzählt Maria Schrader in "Ich bin dein Mensch". Maren Eggert, die für diese Rolle mit dem Schauspiel-Bären ausgezeichnet wurde, spielt eine Forscherin, die für den Ethikrat beurteilen soll, ob es okay ist, Roboter als perfekte romantische Partner für einen speziellen Menschen zu programmieren. Um das zu prüfen, bekommt sie selbst einen zugeteilt und verbringt einen Berliner Sommer mit ihm, der ihre Überzeugungen ins Wanken bringt.

Und noch einmal Berlin: In Daniel Brühls schwarzhumorigem Regiedebüt, dem Kneipenkammerspiel "Nebenan" nimmt Brühl sich wunderbar selbst auf die Schippe. Er spielt einen erfolgreichen, arroganten Schauspieler, dem ein Alt-Ossi die Hölle für die Sünde der Gentrifizierung heißmacht. Das ist ein großer Spaß, das Drehbuch hat Daniel Kehlmann geschrieben.

Wie soll man mit dieser Gesellschaft noch kommunizieren? Katia Pascariu in der Tribunal-Szene aus "Bad Luck Banging or Loony Porn". (Foto: Silviu Ghetie/microFilm/Berlinale/dpa)

Wer doch raus will aus Berlin, zumindest imaginär, kann sich den packenden iranischen Wettbewerbsbeitrag "Ballad of a White Cow" ansehen, in dem die Witwe eines zu Unrecht Hingerichteten ihr Leben zwischen Wut und Verzweiflung in den Griff zu bekommen versucht, bis ein mysteriöser Helfer auf die Spielfläche tritt.

Oder natürlich den herrlich grellen, satirischen Siegerfilm "Bad Luck Banging" von Radu Jude: Darin wird eine Lehrerin vors Elterntribunal gestellt, nachdem ihr Heimporno ins Internet geraten ist. An diesem Abend im hübschen grünen Schulhof schlagen ihr Frauenverachtung, Geschichtsevisionismus und Bigotterie entgegen, sie muss ihre Sexualität, ihre Moral und ihre Lehre verteidigen, es ist sehr frustrierend. Aber in einem der drei alternativen Enden gibt es Erlösung: Sie verprügelt die schrecklichen Eltern ihrer Schüler - mit einem dicken rosa Dildo.

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