Süddeutsche Zeitung

Berlinale: Preisverleihung:Drei grüne Bären

Der Film galt als Favorit, doch mit diesem Erfolg hätte niemand gerechnet: Das iranische Drama "Nader und Simin" gewinnt gleich drei der begehrten Berlinale-Bären. Doch von Politik hält sich Regisseur Asghar Farhadi fern.

Lena Jakat, Berlin

Ganz so, alles brauche er den Moment, um zu begreifen, bleibt Asghar Farhadi noch einmal stehen. Er bremst abrupt ein paar Meter vor Festivaldirektor Dieter Kosslick ab, bevor er dann den einen, den Goldenen Bären der 61. Berlinale in Empfang nimmt. Es ist die dritte Auszeichnung, die sein Film Nader und Simin, eine Trennung in der letzten Stunde gewonnen hat.

Sowohl das weibliche wie das männliche Darsteller-Ensemble wurden mit jeweils einem silbernen Bären geehrt. Das Drama handelt von einer Ehe, die zerbricht, als der Mann die geplante Ausreise absagt, um sich um seinen Alzheimer-kranken Vater zu kümmern. Der Film galt als Favorit in den Kritiken, Presseräumen und Warteschlangen des zehntägigen Festivals.

Die Entscheidung der Jury unter dem Vorsitz von Isabella Rossellini setzt - ob sie es will oder nicht - ein starkes politisches Zeichen. Vor der Verkündung der Preisträger schleppt Festivaldirektor Kosslick einen Stuhl auf die Bühne des Berlinale-Palasts. Es ist der Stuhl von Jury-Mitglied Jafar Panahi. Der Platz des iranischen Filmemachers war leergeblieben, Panahi sitzt in seiner Heimat in Haft. In mehreren Sondervorführungen wurden bei den Filmfestspielen Werke des sozialkritischen Regisseurs gezeigt. Viele zeigten ihre Solidarität auch, indem sie sich einen grünen statt eines roten Bären ans Revers steckten - auch an diesem Abend. Ganz in ihrem Zeichen soll die Preisverleihung stehen.

Es ist das letzte Mal, dass sich die Berliner bei Minusgraden am Marlene-Dietrich-Platz hinter Absperrgittern drängen, das letzte Mal, dass die Fotografen sich heiser plärren, das letzte Mal, dass der Herr mit dem grauen Schal am Seiteneingang des Hyatt-Hotels mit kaum mehr als einem Zucken der Fingerspitzen die Limousinen dirigiert, in die fröstelnde Damen in Abendroben schlüpfen - nur, um kaum 150 Meter weiter, an der Kante des roten Teppichs, wieder auszusteigen. "Die längsten Stehenden Ovationen des Festivals waren Sitzende Ovationen", scherzt Festival-Chef Dieter Kosslick im Festsaal mit Moderatorin Anke Engelke. Nach The King's Speech hätten die Leute einfach vergessen, aufzustehen.

Zwölf Mal treten die Jury-Mitglieder an diesem Samstagabend ans Mikrofon, um Preisträger zu verkünden. Insgesamt werden rund um die Berlinale 48 offizielle und inoffizielle Preise verliehen - vom Berlin Today Award bis zum Preis der Ökumenischen Jury.

Den Silbernen Bären für den Besten Kurzfilm erhalten die Brüder Park Chan-wook und Park Chan-kyong für Paranmanjang - Nachtangeln. Die US-Fotografin Nan Goldin überreicht den beiden Südkoreanern die Bärenminiatur - mit rauchiger Stimme und so entschiedenen Küsschen, dass Park Chan-wook noch mit ihren roten Lippen auf der Wange seine Dankesworte spricht. Das besondere an der 30-minütigen Geschichte über die Begegnung zwischen einem Fischer und einer geheimnisvollen Frau: Sie wurde ausschließlich mit einem iPhone gefilmt. "Wenn die große schwere Kamera die Autorität des Filmemachens war", sagt Chan-kyong, "ist die kleine seine Demokratisierung".

Gleich zweimal verleiht die Jury den Silbernen Bären für eine herausragende Künstlerische Leistung - an ein- und denselben Film: Wojciech Staron wird für die Kamera, Barbara Enriquez für das Production Design in El Premio - Der Preis ausgezeichnet. Die internationale Produktion erzählt von einer Kindheit während der argentinischen Militärdiktatur.

Den Großen Preis der Jury erhält ein Mann, der auch als Anwärter auf die goldene Variante des Bären galt: Béla Tarr. Der ungarische Filmemacher hat mit dem Endzeitdrama A torinói ló - das Turiner Pferd seinen letzten Spielfilm vorgelegt. Aus dem Preis macht Tarr sich nichts: Während der Gala verzichtet er gleich auf das übliche Statement, bei der Presskonferenz auf die fotogene Trophäe. "Es tut mir wirklich leid", sagt er, "ich wusste nicht, dass ich den Bären hier brauche". Er habe noch nie begriffen, wie man Kunstwerke in einem Wettbewerb gegeneinander antreten lassen könne, sagt der Mann mit dem silbernen Pferdeschwanz leise und unaufgeregt. Man würde ja schließlich auch Dostojewski und Proust nicht gegeneinander ins Rennen schicken.

Zwei Preise gehen an deutsche Produktionen: Wer wenn nicht wir, das Drama über die Anfangstage der RAF, wird mit dem Alfred-Bauer-Preis ausgezeichnet. Die Ehrung im Namen des Berlinale-Gründers wird traditionell an Spielfilme vergeben, die neue Perspektiven der Filmkunst eröffnen. Dokumentarfilmer Andres Veiel hat dafür zum ersten Mal sein angestammtes Genre verlassen - wenn auch sehr vorsichtig. Nach intensiven Recherchen versucht der Regisseur, die "gewohnten Bilderschleifen", wie er es nennt, zu durchbrechen, bleibt dabei jedoch sehr nah an der historischen Vorlage.

Einen Silbernen Bären für die Beste Regie erhält Ulrich Köhler. Sein Film Schlafkrankheit erzählt die Geschichte eines Entwicklungshelfers in Afrika. Als Köhler auf die Bühne kommt, glitzert es unter seinen Augen. Tränen? Wohl vielmehr heftige Gratulationsküsse seiner Platznachbarin.

Köhler nutzt die Aufmerksamkeit, um noch einmal an das Schicksal des fehlenden Jury-Mitglieds Jafar Panahi zu erinnern - eine Gelegenheit, die andere verstreichen lassen. Aus dem Publikum der wartenden Journalisten erhebt sich eine Frau. "Dieser Preis ist eine große Ehre", sagt sie auf Persisch, "für alle Iraner. Aber warum haben Sie nichts gesagt?" Asghar Farhadi sitzt auf dem Podium, der Gewinner des Abends. Er hält kurz inne. "Filme zu machen halte ich für den besseren und gerechteren Weg, für mich und die Menschen in meinem Land", sagt er dann. Erst im September verboten die iranischen Behörden Farhadi zwischenzeitlich, an seinem nun preisgekrönten Film weiterzuarbeiten - nachdem er sich für die Freilassung seines Kollegen Panahi ausgesprochen hatte. "Ich bin Filmemacher, und kein Held", sagt der Regisseur und lächelt.

An diesem Abend in Berlin ist er beides.

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