Berlinale-Preisträger:Mehr Platz für Märchen

Dem Berlinale-Wettbewerb fehlt Adrenalin. Jury-Präsident Paul Verhoeven nutzt die Gelegenheit, gute Ideen statt tagespolitisch Relevantes auszuzeichnen.

Von David Steinitz, Berlin

Der Regisseur Paul Verhoeven ist eine ziemliche Rampensau. Er hat mit Sharon Stone in "Basic Instinct" den berühmtesten Beinüberschlag der Filmgeschichte gedreht, er hat von Monster-Aliens, Stripperinnen und Robotern erzählt, und egal ob man seine Filme mag oder nicht - es hat immer ordentlich geknallt.

In den letzten zehn Tagen war der Show-Meister Verhoeven Vorsitzender der Berlinale-Jury, die sich 18 Wettbewerbsfilme angesehen und am Samstagabend mit einer feierlichen Gala im Berlinale-Palast am Potsdamer Platz die Hauptpreise vergeben hat. Nur würde man zu gerne wissen, ob Verhoeven während des Festivals nicht das ein oder andere Mal ein bisschen eingedöst ist bei dem, was er da zu sehen bekam.

Nicht, dass im Wettbewerb 2017 nur schlechte Filme gelaufen wären, aber für eine traditionsreiche Großveranstaltung wie die Berlinale, die neben Cannes und Venedig zu den wichtigsten Filmfestivals in Europa gehört, war die Auswahl im 67. Jahrgang doch reichlich durchschnittlich. Aber ein Ok-Gefühl, das reicht natürlich nicht aus für den Wettbewerb eines A-Festivals, wo man die magischen Filmmomente erleben möchte, wegen denen man überhaupt ins Kino geht - siehe Sharon Stones Beinüberschlag.

Die Berlinale profiliert sich als Gradmesser politischer Befindlichkeiten

Die Behäbigkeit, die einige Filme in diesem Jahr auszeichnete, zeigte sich vor allem bei den drei deutschen Beiträgen: der Künstler-Dokumentation "Beuys" von Andres Veiel, dem Vater-Sohn-Drama "Helle Nächte" von Thomas Arslan und dem auf Englisch gedrehten Liebesmelodram "Return to Montauk" von Volker Schlöndorff. Die drei sind verdiente Filmemacher, die alle schon auf der Berlinale zu Gast waren, und die ihre eigenen Inszenierungsstile entwickelt und perfektioniert haben. Aber in diesem Jahr machten sie leider nur Dienst nach Vorschrift, weshalb sich der Premierenapplaus auch deutlich in Grenzen hielt. Der einzige Preis für einen deutschsprachigen Filmemacher ging an den österreichischen Schauspieler Georg Friedrich für seine Rolle als überforderter Teenager-Vater in "Helle Nächte".

Die Berlinale profiliert sich gerne als Gradmesser politischer und sozialer Befindlichkeiten, im letzten Jahr hatte die italienische Flüchtlings-Dokumentation "Seefeuer" über die Insel Lampedusa den Goldenen Bären für den besten Film gewonnen. Dieses Jahr war mit der Wahl von Paul Verhoeven als Präsident der siebenköpfigen internationalen Jury schon klar, dass die Wahl wohl etwas anders ausgehen würde. Denn Verhoeven ist ein Filmemacher, der sich nicht nur von einem brisanten Thema verführen lässt, sondern der jede Geschichte auch in eine filmisch einfallsreiche Form verpackt wissen will - und ein bisschen Erotik kann auch nie schaden.

Surrealer Traum-Flirt als einfallsreichste Idee

In diesem Sinn ist es nur konsequent, dass die ungarische Filmemacherin ldikó Enyedi am Samstag den Goldenen Bären für ihre schräge Tragikomödie "On Body and Soul" gewonnen hat. Ein eher unpolitischer Film, mehr eine märchenhafte Liebesgeschichte, die in den letzten Tagen von den Filmkritikern und Fachbesuchern schon als heißer Kandidat auf den Hauptpreis gehandelt wurde.

Die Story: Der Besitzer eines Budapester Schlachthauses und seine neue Mitarbeiterin verlieben sich ineinander, sind aber beide zu neurotisch und emotional vernarbt, um sich das gestehen zu können. Abgesehen davon, dass ihr Arbeitsplatz, an dem Schweine aufgeschnitten, ausgeblutet und zerlegt werden, kein sonderlich romantisches Umfeld ist. Aber dann stellen sie durch Zufall fest, dass sie jede Nacht denselben Traum haben. Nicht den gleichen, wirklich denselben, sie begegnen sich darin in einer verschneiten Winterlandschaft - und zwar als Hirsch und Hirschkuh. Dieser surreale Traum-Flirt war im Wettbewerb mit Abstand die einfallsreichste Idee und die Auszeichnung mit dem Goldenen Bären eine konsequente Entscheidung.

Der Tagespolitik hat sich die Jury trotzdem nicht ganz entzogen, sie vergab den Silbernen Bären für die beste Regie an den finnischen Regieveteranen Aki Kaurismäki für seinen Film "The Other Side of Hope". Darin geht es um einen syrischen Flüchtling, der in einem Kohlefrachter versteckt nach Helsinki kommt und von einem deprimierten finnischen Restaurantbesitzer in der Midlife-Krise aufgenommen wird. Klingt nach biederem Problemfilm, aber so etwas würde Kaurismäki niemals drehen. Seine Geschichte ist eine Komödie über zwei vollkommen verschiedene Männer, die sich in ihrer Einsamkeit trotzdem sehr gut verstehen, und ganz nebenbei auch noch ein zynischer Kommentar zur Flüchtlingskrise, inklusive sehr brutalem Ende.

Bei der Verleihung am Samstag war Kaurismäki wegen des Preises ganz geplättet. Er blieb einfach an seinem Platz stehen und deutete in die Menge, anstatt auf die Bühne zu Moderatorin Anke Engelke und Festival-Chef Dieter Kosslick zu gehen, der ihm schließlich seinen Silberbär an den Platz bringen musste.

So unumstritten waren die beiden wichtigsten Gewinner des Abends in der Branche schon lange nicht mehr, was natürlich auch ein wenig an der mangelnden Konkurrenz lag. Fürs nächste Jahr würde man sich deshalb dringend ein bisschen mehr Adrenalin im Wettbewerb wünschen.

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