Süddeutsche Zeitung

Berlinale:Bär mit Blues

Die Berlinale will sich und das Kino vor der Pandemie retten. Leider weiß nur keiner so genau, wie.

Von Tobias Kniebe

Was doch am allermeisten fehlt in diesen düsteren Kinozeiten, das ist der Buzz. Man kann das ganz wörtlich übersetzen: Dieses Summen oder Brummen der Aufregung, wenn ein packender neuer Film gerade das Licht der Leinwand erblickt hat.

Auf Festivals summt der Buzz am schönsten. Es beginnt mit den Zuschauern, die ein Ticket für die Gala ergattern konnten. Sie schwärmen gleich danach in die Bars oder Cafés, sind Influencer für alle anderen, die an ihren Lippen hängen und losrennen, um weitere Vorstellungen zu erwischen. Filmeinkäufer aus aller Welt spitzen die Ohren, rennen hinterher und telefonieren hektisch mit ihren Bossen. Erste Kritiken erscheinen und werden herumgereicht, voller Bestätigung oder Empörung. Haben wir da gerade den nächsten Goldenen Bären gesehen? Die internationale Jury schaut parallel und redet sich im Hinterzimmer bestimmt schon die Köpfe heiß.

So war das manchmal auf der Berlinale, so ist das eigentlich auf allen guten Festivals. Was eigentlich ein Insider-Ding wäre - die Entdeckung und Bewertung neuer Filme für den Weltmarkt und für die Annalen der Kinogeschichte - wird eine öffentliche Angelegenheit. Zumindest für ein paar schöne hektische Tage. Ein Event, bei dem viele mitreden dürfen, ein Schaulaufen der Stars, ein Kräftemessen der kreativen Ideen, ja fast ein Sportereignis in den Schlagzeilen der Stadt und vielleicht sogar der Welt. Und am Ende gibt es Gewinner. Hach ja.

Seit klar ist, dass die Berlinale sich in diesem Jahr zweiteilen wird - ein virtuelles Event Anfang März für Filmeinkaufer, Juroren und Journalisten, ein zweites, nicht-virtuelles Festival im Juni für die Kinos, die Stars und die Berliner -, steht auch der größte Verlierer dieser Notedition fest. Es ist der Buzz. Denn der lebt nun mal von der Gleichzeitigkeit der Ereignisse, vom Bärenrennen in Echtzeit, von der Aufregung des Moments.

Der Buzz wäre nötiger denn je, um das Kino als Gemeinschaftserlebnis zurück ins Bewusstsein zu holen, die Einsamkeit des Streamings aufzubrechen, die Insiderdiskussionen der Filmkenner mal wieder zu Stadtgesprächen zu machen. Festivals gibt es ja weiter, sie streamen weltweit vor sich hin - aber niemand weiß, wie man den Buzz in pandemischen Zeiten retten kann.

Fünf Juroren treffen sich in Berlin, der sechste steht unter Hausarrest und muss im Heimkino bleiben

Das ist auch das kurze und etwas traurige Fazit eines Pressegesprächs, in dem die Kulturstaatsministerin Monika Grütters und das Führungsduo der Berlinale, die Geschäftsführerin Mariette Rissenbeek und der Künstlerische Leiter Carlo Chatrian, am Montagmorgen ihre schon bekannten Pläne für die zweigeteilte Berlinale noch einmal erläutert haben. Und vorab schon mal um Entschuldigung baten: "Sicher wird das nicht das beste Festival", sagte Chatrian. "Nur das beste unter diesen Umständen."

Sehr viel war da von "positiven Signalen" die Rede, die man auch in schweren Zeiten senden wolle, und dass es geradezu "unsere Pflicht" (Grütters) gewesen sei, nicht einfach abzusagen, sondern eine Art Notedition zu wagen. Mit am wichtigsten dabei: im Sommer ein Zeichen für die leidenden Kinobetreiber zu setzen, das Publikum auf die Rückkehr des Kinos und der Normalität einstimmen. Das soll vom 9. bis 20. Juni passieren, aber nicht im Berlinale-Palast, sondern in ganz normalen Berliner Kinos. Für den Glamour gibt es aber auch dort ein paar rote Teppiche.

Vom 1. bis 5. März dagegen geht es rein virtuell zu, da wird die internationale Filmgemeinde vor die Bildschirme gerufen, um im European Film Market gemeinsam alle Arten von Filmen zu betrachten, zu kaufen und zu verkaufen und hoffentlich Kinostarts in vielen Ländern vorzubereiten, wo das vielleicht bald geht. Dabei helfen soll eine Jury, die in Berlin zusammenkommt und gleichzeitig den Wettbewerb bewertet, den Carlo Chatrian mit seinem Team zusammenstellt hat.

Wenn es blöd läuft, interessiert sich dieses Jahr keiner für das Festival und der Bär wird im Hinterzimmer vergeben

Welche Filme am Wettbewerb teilnehmen werden, ob irgendwelche großen Namen sich auf das seltsame Doppelspiel eingelassen haben - das ist weiter geheim. Aber immerhin gibt es jetzt die Namen der Juroren. Es sind allesamt frühere Bärengewinner aus dem Fach Regie: Mohammad Rasoulof (Iran), Nadav Lapid (Israel), Adina Pintilie (Rumänien), Ildikó Enyedi (Ungarn), Gianfranco Rosi (Italien) und Jasmila Žbanić (Bosnien und Herzegowina). Rasoulof, der in Iran wegen seiner regimekritischen Haltung aktuell zu Hausarrest verurteilt ist, wird in Teheran in seinem eigenen Heimkino schauen, die anderen versammeln sich in Berlin. Diese Jury vergibt dann auch Preise, darunter die Bären, die wie glänzende Etiketten an die Gewinner geheftet werden und ihnen bei der schwierigen Rückkehr ins Weltkino helfen sollen.

Ob die Kritiker diese ganzen Filme auch sehen werden oder nur einen Teil, ob sie im März groß berichten sollen oder im Juni, ob irgendjemand jenseits der Jury einen Überblick über den Wettbewerb haben wird und also mitreden darf, wenn es um die Qualität der Sieger geht - alles unklar. Das liegt vor allem daran, dass die einzelnen Wettbewerbsteilnehmer selbst entscheiden sollen, ob sie ihre Filme bereits im März der Presse zeigen wollen. Die Lust dazu ist gering, hört man bereits aus der Branche - viele haben Angst, dass der Buzz eben ausbleibt, die Unterstützung des Publikums fehlt und dann nur ein paar schlecht gelaunte Kritiken nach draußen dringen könnten.

Die Sorge ist verständlich. Sie kann aber dazu führen, dass dann gar niemand mehr weiß, wie man dem Bärenrennen in diesem Jahr Öffentlichkeit geben soll. Wie man Aufregung erzeugt, Diskussionen um Filme anfacht, wie man den Eindruck entgegentritt, hier würden eben doch nur im Hinterzimmer ein paar Filme mit Bärenetikett versehen, auf die alle anderen dann bis zum Sommer warten müssen.

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