Berlinale: Oper und Kapitalismuskritik:Das Leben danach

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"Niemals die Angehörigen anfassen!" - Die Filme von Oren Moverman und Chen Kaige kritisieren das System, während ihre Protagonisten um Haltung ringen.

Anke Sterneborg

Eine Träne quillt im ersten Bild des amerikanischen Films "The Messenger" aus dem Auge eines amerikanischen Soldaten, aber nach wenigen Sekunden wird schon klar, doch dies kein Bild der Trauer ist - was man für Tränen hielt, sind medizinische Tropfen, die der Austrocknung eines verletzten Auges entgegenwirken sollen. Bis dieser Mann tatsächlich weinen kann, muss noch viel Zeit vergehen.

Notdürftiger Panzer gegen die Trauer der anderen: Woody Harrelson in "The Messenger". (Foto: Foto: dpa)

Von der Trauer um die Toten des Krieges haben viele Filme der letzten Monate erzählt, nun verschiebt sich der Blick langsam auf die Lebenden, auf die physisch und psychisch versehrten Heimkehrer. Nach Annette K. Olesens "Lille Soldat" ist "The Messenger" schon der zweite Film im Wettbewerb, der fragt, wie ein Leben danach, nach Krieg und Heimkehr, aussehen könnte. Der Soldat Will Montgomery ist knapp davongekommen und wird jetzt als Held gefeiert - er hat dabei mit ähnlichen Problemen zu kämpfen wie die Weltkriegssoldaten in Clint Eastwoods "The Flags of our Fathers".

In den verbleibenden drei Monaten seines Militärdienstes soll Will zusammen mit dem Offizier Tony Stone (Woody Harrelson) durchs Land ziehen und die Angehörigen vom Tod eines Sohnes oder Ehemannes unterrichten. Ein Todesengel, und Ben Foster, der im Western "3:10 to Yuma" schon düstere Getriebenheit entfaltete, macht hier schmerzlich spürbar, in welchem Maße jede dieser fremden Geschichten zu einem Teil seiner eigenen wird. "Bloß keine Gefühle" sagt der Haudegen Tony, der ihn in die neue Aufgabe einführt, und "Niemals die Angehörigen anfassen!"

Aber Will schafft es nicht. Die versteinerte Miene, die akkurat sitzende Uniform, die konfektionierten Beileidsfloskeln sind nur ein notdürftiger Panzer gegen die Trauer der anderen und gegen die eigene Angst, Wut, Schuld und Scham. Der israelische Drehbuchautor Oren Moverman - er arbeitete mit Todd Haynes an "I'm Not There" - wirft diese beiden Männer mit ihren versehrten Seelen aufeinander, bis ihre Rituale der Männlichkeit beim Saufen und Prügeln, beim Sex und beim Angelabenteuer zunehmend ausgehöhlt werden - bis aus der Reibung zwischen ihnen echte Nähe entsteht.

Und mit Samantha Morton, die eine Kriegswitwe mit Kind spielt, kommt die brüchige Möglichkeit eines Lebens danach ins Spiel. Im öffentlichen Bewusstsein Amerikas ist hinter der Verehrung der Helden für die Traumabewältigung kein Raum, selbst auf dem Indie-Festival in Sundance, wo "The Messenger" im Januar Weltpremiere hatte, stieß der unprätentiös bewegende Film auf Ablehnung.

Der Weg zwischen dem Weiblichen und dem Männlichen

Ob man Gefühle zeigen darf oder sie unter starren Masken verschließen soll, darum geht es auch in "Mei Lanfang/Forever Enthralled" von Chen Kaige. In seinem Cannes-Sieger "Lebewohl, meine Konkubine" hatte er die chinesische Geschichte des 20. Jahrhunderts im Universum der Pekingoper gespiegelt, nun erzählt er die Geschichte des 1894 geborenen Opernstars Mei Lanfang, der für seine erhabene Darstellung weiblicher Helden berühmt war und wesentlich zur Modernisierung der traditionellen chinesischen Bühnenkunst beigetragen hat.

In erlesenen Bildern erforscht Kaige das Wesen der darstellenden Kunst und das Geheimnis eines Mannes, der um einen Weg zwischen dem Weiblichen und dem Männlichen, dem Wirklichen und dem Künstlichen ringt - großartige Bilder, in denen auch der Kampf des Regisseurs mit der chinesischen Zensur immer mitklingt. Wenn zwischen dem verheirateten Star und einer Kollegin (Zhang Ziyi) in ihren vertauschten Bühnenrollen eine verbotene Liebe dunstig sich andeutet.

Keine Zeiten für den kreativen Impuls

Wenn später in New York die undurchdringlichen Masken der Akteure auf das Amerika von Joan Crawford und Buster Keaton treffen. Und einen Moment lang kreuzen sich im imaginären Raum des Festivals auch die Wege des chinesischen Künstlers und des deutschen Siemensmanagers John Rabe unter der japanischen Besatzung. Doch so kraftvoll schillernd wie die "Konkubine" ist "Mei Lanfang", der in China eine gefeierte Wiederbelebung der traditionellen Pekingoper ausgelöst hat, dann doch nicht. Was auch daran liegen mag, dass die Zeiten heute - politisch, wirtschaftlich, künstlerisch - dem großen kreativen Impuls nicht mehr förderlich sind.

© SZ vom 11.2.2009/holz - Rechte am Artikel können Sie hier erwerben.
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