Berlinale:Kratzig raues Wispern

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Don Cheadle hat aus dem Leben des Jazz-Genies Miles Davis einen Film gemacht - und geht mit den Bildern um wie Jazzmusiker mit Tönen. Das Kraftzentrum in "Miles Ahead" ist jedoch das feurig nervöse Miles-Mimikri von Cheadle in der Hauptrolle.

Von Anke Sterneborg

Sauber und chronologisch lässt sich ein Musiker wie Miles Davis natürlich nicht fassen. Entsprechend sprunghaft und nervös geht es mitten hinein in die Produktion eines Fernsehinterviews, in dem der Meister selbst die Direktive vorgibt: "If you're going to tell a story, come with an attitude!", fordert er von dem Musikreporter, dem er sein Leben erzählen soll: "Don't be all corny with this shit!" Eine eigenwillige Haltung finden und auf keinen Fall abgedroschen sein, genauso geht auch Don Cheadle seinen Film an.

Die besten Filme über große Musiker haben sich die größten Freiheiten genommen, haben beherzte Schneisen durch Lebenschronologien geschlagen, etwa James Mangold in "Walk the Line" über Johnny Cash, Bill Pohlad in "Love and Mercy" über den Beach Boy Brian Wilson oder Todd Haynes, der Bob Dylan in "I'm not there" in acht Persönlichkeiten aufgesplittet hat, darunter eine Frau und ein schwarzes Kind.

Fast zufällig ist Don Cheadle zu dem Stoff seines Regiedebüts gekommen, als der Neffe von Davis ihn 2006 anlässlich von dessen Aufnahme in die Rock and Roll Hall of Fame für ein etwaiges Biopic ins Spiel brachte. Nach einem ersten konventionelleren Anlauf dauerte es noch mehrere Jahre, bis er zusammen mit Autor Steven Baigelmann, der bereits an der Verarbeitung des Künstlerlebens von James Brown in "Get on up" beteiligt war, die jetzige Form fand.

Mit fahrig zerrissenen Handkamerabildern stürzt sich der Film in die Ereignisse, an dem Punkt, an dem der durch Drogen und sein Hüftleiden schwer angeschlagene Miles Davis seine besten Jahre schon hinter sich hat und sich Ende der Siebzigerjahre anschickt, aus einer fünfjährigen Arbeitspause zurückzukehren. Der fiktive Musikreporter Dave Brill (Ewan McGregor, der hier aussieht, als könne er demnächst auch Kurt Cobain spielen) hat von Comeback-Gerüchten gehört, will die zugehörige Story liefern und wieselt sich ins Leben des Musikers, der abgeschieden in New York haust. Es soll ein Band mit Musikaufnahmen geben, mit dem sich viel Geld verdienen ließe, doch der Meister hält es unter Verschluss. Das Tonband ist die McGuffin-Zugmaschine für einen nervösen Crime-Thriller mit wilden Verfolgungsjagden und Schusswechseln auf nächtlich regennassen Straßen und am Rande von Boxwettkämpfen. In diese Gegenwart reißt der Film immer wieder Flashback-Löcher - verschiedene Zeiten durchdringen sich wie musikalische Riffs.

Tatsächlich gehen Don Cheadle und seine Editoren John Axelrad und Kayla Emter mit den Bildern um wie Jazzmusiker mit Tönen. Sie spielen ein Thema an, lassen es wieder fallen, variieren und improvisieren, schweifen ab, nur um es dann wieder aufzunehmen. Drogenrausch und Lebensmelancholie machen die Gegenwart durchlässig für Erinnerungen an bessere Zeiten. Gerade steht Miles Davis im Aufzug seiner Plattenfirma Columbia Records und verliert sich in den ausgestellten Covern seiner früheren Platten, da wird eine Aufzugwand zur schweren Metalltür, die sich zu einer glücklicheren Vergangenheit öffnet, als er noch mit seiner Muse, der Tänzerin Frances Taylor Davis (Emayatzy Corinealdi), zusammen war und im Probenraum immer neue Klangfolgen improvisiert.

Das Kraftzentrum, das diese Teile zusammenhält, ist das feurig nervöse Miles-Mimikry von Don Cheadle, der nicht nur Co-Autor, Produzent und Regisseur, sondern auch Hauptdarsteller ist. Unter dunkler Sonnenbrille und ausladender Afrokrause verschwimmen die Grenzen zwischen Schauspieler und Musiker, Cheadle imitiert das kratzig raue Wispern der berühmten Stimme und hat natürlich Trompetenspielen gelernt, um es glaubhaft simulieren zu können.

So fließend wie Gegenwart und Vergangenheit gehen dabei auch die Filmmusik von Robert Glasner und die Kompositionen von Miles Davis ineinander über. Und sie wirken weiter, über den Film hinaus, der das Todesdatum von Miles Davis unterschlägt und Don Cheadles Miles unter dem Abspann mit alten und jungen Musikern jammen lässt.

© SZ vom 20.02.2016 - Rechte am Artikel können Sie hier erwerben.
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