Berlinale-Kolumne:Night of the Living Goldbroiler

Tagsüber großes Kino und nachts der kleine Wahnsinn? Wie man auf der Berlinale in den Kuschelecken feiert - unser Autor war dabei.

Willi Winkler

Natürlich muss man Englisch können auf der Berlinale. Volkswagen, nur zum Beispiel, heißt das Auto, weil unser einstmals so geliebter Führer wollte, dass jeder in der Volksgemeinschaft sein eigenes Auto bekommt. Jedenfalls nach dem Endsieg. Der ließ etwas auf sich warten, aber das Auto bekamen dann doch alle, im Lauf der Jahre wurden Millionen davon fabriziert und über die ganze Welt verbreitet. Ein Volkswagen heißt auf Amerikanisch "Volks", was homonym ist für "folks", die Leute, die Freunde, die Verwandtschaft, also eigentlich was ganz Nettes.

Berlinale-Kolumne: Nicht in der VW-Lounge, sondern auf der Red-Bear-Party am Sonntag: Model in Vanille-Sauce.

Nicht in der VW-Lounge, sondern auf der Red-Bear-Party am Sonntag: Model in Vanille-Sauce.

(Foto: Foto: ddp)

Einfach People

In Wolfsburg, der Stadt, die nach des Führers Kosenamen heißt und für ihn gebaut wurde, haben sie die Vergangenheit bewältigt, und sie können inzwischen Englisch noch besser als Deutsch. Deshalb heißt die pornoweiße Lounge gleich neben dem Pressezentrum nicht einfach "VW-Lounge" oder "Volkskuschelecke", sondern "VW Golden Bear Lounge". Berlin, Berlinale, Goldener Bär, kapiert? Beziehungsweise, wie wir bei VW sagen: Got it? Der Abend nur für geladene Gäste kann daher logisch nicht "Volkswagen-Party" oder wenigstens "Geselliges Beisammensein mit Vorstandsmitgliedern im Kreise frisch eingeflogener brasilianischer Luxusnutten" heißen, sondern nur "VW People's Night".

Wider Erwarten war das aber keine VW-Volksnacht, sondern nur für geladene Gäste, die so berühmt sind, dass sie weder Volk noch Leute sind, sondern, genau: People. Zu denen gehört Ihr treuer Berichterstatter leider nicht, weshalb er sich seine Verbindungen zur Halb- und Unterwelt zunutze machen und sich hochkonspirativ in die Akademie der Schönen Künste hineinschmuggeln musste.

Die brasilianischen "L-n" waren dort leider nicht zu sehen, dafür reifere Vorständler sonder Zahl, gern in Begleitung jüngerer, reproduktionsfähiger und vorzugsweise blonder Gattinnen. Als Deko wimmelten viele Darstellerinnen aus Vorabendserien herum, von den Autogrammsammlern draußen begeistert beklatscht. Dazwischen fielen Goldbroiler auf, Damen der besten Gesellschaft von Remscheid oder Solingen, in der Sonnenbank in Richtung Brasilien nachgedunkelt, gern rot gewandet und von kostbarsten Duty-free-Parfums umwolkt. Die bereits legendäre Unwirtlichkeit der Akademie verschwand hinter Hunderten von wichtigen Peopeln, die sich so dicht stauten, dass die Freude selbst an brasilianischen "L-n" nur bescheiden gewesen wäre.

Statt ihrer trat Seal auf, den unsereins aus der jüngsten VW-Reklame kennt. Seal, das kann ich von meinen Platz ganz vorn an der Bühne bestätigen, ist wirklich sehr schwarz und singt begeistert seine Lieder. Das Publikum versuchte er allerdings vergeblich mit seiner Begeisterung anzustecken, aber vielleicht hätten echte Schwingungen den wundersamen Bau ja zum Einsturz gebracht.

Mitschwitzen

Wir fuhren dann noch zu einer Bavaria-Party, die in den Nordischen Botschaften stattfand. Dort wurde die Premiere von "Musta Jää" gefeiert, einer finnisch-deutschen Co-Produktion, die auf Deutsch "Black Ice" heißt. Die Nordischen Botschaften haben so ungefähr alle Architekturpreise der letzten zehn Jahre gewonnen, entfalten ihren eigentlichen Charme aber erst als Partykeller. Der Finne als solcher muss ja fast das ganze Jahr im Dunkel leben und wird ganz schwermütig davon. Darum trinkt er so viel und muss ständig Leningrad Cowboys hören. Aber das ist ein Klischee.

Der Finne in seiner Eigenschaft als Berlinale-Besucher ist ein magischer Tänzer und arbeitet sich bei indefinit scheppernder Musik in eine schweißtreibende Trance, von der die "People's Nacht" nur träumen kann. Bam-bam-ba-bamm macht die Musik vom Plattenteller, und der Finne tanzt in künstlicher Dunkelheit mit der naturblonden Finnin, in der rechten Hand die Bierflasche, die Linke ins Strobo-Licht gereckt, die Schuhe knirschend in den Scherben, die von den vielen Wodkas mit Cranberry abfielen. Ach, einmal nur Finne sein und mitschwitzen!

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