Süddeutsche Zeitung

Berlinale-Kolumne:Gute-Laune-Terror

Mit "Die Friseuse" hat Doris Dörrie hat einen Feelgood-Film über eine sehr dicke Frau gemacht, die sich im Plattenbau wohl fühlt. Ein bizarrer Fall von Autosuggestion.

Tobias Kniebe

Doris Dörrie hat einen Film über eine sehr dicke Frau gemacht. Er heißt "Die Friseuse". Es ist ein sogenannter Feelgood-Film, der auf der Berlinale als Sondervorführung gezeigt wurde und jetzt im Kino läuft.

Die Botschaft des Films lautet, dass man als Frau sehr dick und meinetwegen auch arbeitslos sein darf und trotzdem das Recht hat, fröhlich zu sein. Außerdem darf man Sex mit dünnen, gutaussehenden Männern haben und sich knallbunte Haarsträhnchen in die Frisur flechten, die man "irgendwie peppig" findet.

Niemand dagegen hat das Recht, zu einer solchen Frau "du fette Sau" zu sagen, wie es der Regisseurin Dörrie passiert ist, als sie zum Zweck der Einfühlung in ihr Thema in einem schaumstoffgepolsterten Fatsuit durch Berlin spaziert ist. So weit, so gut.

Dieser Film möchte riesige nackte Speckrollen gut finden, deshalb zeigt er riesige nackte Speckrollen in Großaufnahme. Er möchte das Leben in den Plattenbauten von Marzahn-Hellersdorf gut finden, deshalb zeigt er Marzahn-Hellersdorf oft in romantischem Abendlicht und lässt Wolken im Zeitraffer darüberfliegen. Dieser Film möchte sich auch den Geschmack von Marzahn-Hellersdorf vollständig zu eigen machen und behauptet deshalb tapfer, Frisuren mit knallbunten Haarsträhnchen seien wirklich, wirklich schön.

Ein Fall von bizarrer Autosuggestion. Ist das nicht aber im Grunde ein ehrenwertes, wunderbar anti-elitäres Vorhaben? Vielleicht, es gelingt nur eben nicht. In Wahrheit träumt Doris Dörrie vom ersten Morgenlicht auf dem Gipfel des Fujiyama. Diese Wahrheit bahnt sich, Gott weiß wie, auch ihren Weg in die Bilder der "Friseuse". Es sind die unwahrsten Bilder, die ich seit langer Zeit im Kino gesehen habe.

In einer Szene, in der ein knallbuntes Friseusen-Ballett seine gewaltig dimensionierten Brüste und Hintern zu alten Discoklängen kreisen lässt, schlägt das Ganze sogar in richtigen Gute-Laune-Terror um. In diesem Moment entstand in meinem Kopf eine bizarre Verschwörungstheorie.

Was wäre, fragte ich mich, wenn dieser Film in Wirklichkeit gar nicht von Doris Dörrie ist, sondern von dem auch recht bekannten Filmemacher Andreas Dresen? Dann würde alles plötzlich Sinn ergeben.

Die Geschichte wirkt, mit ihrem Ossi-Stolz und ihrem Ossi-Trotz, wie eine typische Dresen-Geschichte, allerdings in absurder Überzeichnung. Das Drehbuch stammt von Laila Stieler, von der sich mühelos beweisen lässt, dass sie jeden zweiten Dresen-Film geschrieben hat - während keineswegs verbürgt ist, dass sie sich mit Doris Dörrie auch nur jemals im selben Raum befand. Außerdem hat Doris Dörrie bisher nie Filme inszeniert, die sie nicht selbst geschrieben hat - ein weiteres starkes Indiz.

Was aber könnte der Sinn dieser perfiden Verschwörung sein? Ganz klar: Der aus Gera stammende, kompromisslose Autorenfilmer Dresen hat seine komische Seite entdeckt - und eine brillante Satire auf die sogenannte "Münchner Schule" des Filmemachens gedreht, der er verlogene Darstellung sozialer Realität vorwirft. Die ist so gut gelungen, dass man das Kino mit einem breiten Grinsen verlässt. Wie schon gesagt, ein Feelgood-Film.

Im Video: Die neue Komödie von Doris Dörrie "Die Friseuse" feierte auf der Berlinale Premiere

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SZ vom 18.2.2010/rus
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