Es ist die naheliegende Frage. Für Oskar Roehler klingt sie inzwischen ein wenig zu naheliegend - so kurz vor dem Start der Berlinale, während nebenan in den Studios der Bavaria noch die letzte Tonmischung seines Wettbewerbsfilms läuft. "Das kann doch nur ein Fangfrage sein!", ruft er gutgelaunt. "Klar muss Jud Süß zensiert bleiben. Das nötige politische Bewusstsein fehlt dem heutigen Publikum doch mehr als je zuvor."
In "Jud Süß - Film ohne Gewissen" spielt Moritz Bleibtreu (rechts im Bild) den Propagandaminister Joseph Goebbels.
(Foto: Foto: Reuters)So viel zu der Theorie, Veit Harlans notorisches Propaganda-Machwerk Jud Süß, dessen Vertrieb hierzulande noch immer verboten ist, dessen öffentliche Vorführung nur selten und unter strengen Auflagen erlaubt wird, sei über die Jahre vielleicht doch gealtert, durchschaubar, den Deutschen inzwischen zumutbar geworden.
Von wegen, sagt Roehler: "Unglaubliches Casting, messerscharfe Dramaturgie, geniale Manipulation. Wenn man Jud Süß heute irgendwelchen Brandenburger Neonazis zeigt, dann ziehen die ihre Kampfanzüge an und marschieren Richtung Jüdische Synagoge."
Neben Beunruhigung schwingt auch ein Hauch von Respekt in diesen Worten mit - rein für das Handwerk der Macher. Was sein eigenes Unternehmen, da ist Roehler sich sicher, nur spannender macht.
Oskar Roehler, 51 Jahre alt, bisher vor allem bekannt für sehr persönlich-biographische Filme wie Die Unberührbare oder Der alte Affe Angst, hat ein Melodram über die Nazizeit gedreht - erstmals nicht nach eigenem Drehbuch. Es geht um die Entstehung des bekanntesten, seinerzeit erfolgreichsten und für viele Experten auch perfidesten antijüdischen Hetzwerks aus Joseph Goebbels' Werkstatt. Auch Roehlers Film heißt Jud Süß - allerdings mit dem Zusatz Film ohne Gewissen.
Der ganz große Wurf
Wenn man die Frage, ob ein Film überhaupt ein Gewissen haben kann, einmal beiseite lässt, klingt der historische Stoff, der hier verhandelt wird, hochinteressant: Goebbels, der bei Dramaturgie und Casting seines Wunschprojekts kräftig mitmischt; der einen nicht unfähigen, wohl nicht einmal antisemitischen, aber schwachen und eitlen Schauspieler namens Ferdinand Marian gegen dessen Wissen in die Rolle des Jud Süß hineindrängt; der nach der ersten Sichtung des Rohschnitts dann einen "ganz großen, genialen Wurf" sieht, "einen antisemitischen Film, wie wir ihn uns nur wünschen können".
Mehr als zwanzig Millionen Menschen im von den Nazis besetzten Europa sollen das Werk dann gesehen haben, SS-Einheiten und -Wachmannschaften erhielten von Himmler verordnete Sondervorstellungen, Fälle sind dokumentiert, in denen Kinobesuch und Gewalt gegen Juden unmittelbar aufeinander folgten. Bis heute bieten Neonazi-Homepages illegale Downloads an.
Oskar Roehler erzählt diese Geschichte nach einem Drehbuch von Klaus Richter, aber er hatte natürlich ein Problem: Das Kinopublikum des Jahres 2010 weiß in der Regel nicht, worauf sich das alles bezieht - der originale Jud Süß ist kaum je legal zu sehen.
Roehler stand daher vor der Aufgabe, Szenen zu evozieren, anschaulich zu machen, was man damals sehen konnte und heute nicht mehr. Zu diesem Zweck hat er Veit Harlan dann einfach nachinszeniert.
Wo früher der österreichische Schauspieler Marian als Jud Süß agierte, elegant, verschlagen, unterwürfig und herrisch zugleich, agiert nun Tobias Moretti; wo damals Heinrich George als Herzog Karl Alexander von Württemberg herumtrampelte, ein triebgesteuertes Riesenbaby, trampelt nun Armin Rohde. Wo Werner Krauß gleich mehrere Zerrbilder jüdischer Figuren schuf, näselt nun Milan Peschel. Und statt der sehr blonden Kristina Söderbaum geht es jetzt der jungen Paula Kalenberg an den Kragen, die immerhin auf sehr blond getrimmt wurde.