Berlinale 2005:Hinterher ist man immer schlauer

Dieter Kosslick wird in dieser Woche seine vierte Berlinale eröffnen. Aber der Mann ist nicht zu beneiden: Er muss Glamour herbeischaffen, ohne die Filmkunst zu verraten - so eine Art verfilmte eierlegende Wollmilchsau muss her, und dann muss sie live über den roten Teppich getrieben werden.

SUSAN VAHABZADEH

Festivalchefs haben es ehrlich schwer: Wenn sie einem Festival nicht gleich am Anfang neuen Drive verleihen, dürfen sie den Rest ihrer Karriere gegen einen Ruf als lahme Ente kämpfen. Und wenn der Anfang fulminant ist, begegnen sie künftig einem Erwartungsdruck, den man erst einmal befriedigen muss. Und das jedes Jahr wieder.

Berlinale 2005: undefined

Dieter Kosslick, der am Donnerstag der kommenden Woche seine vierte Berlinale eröffnen wird, hatte 2002 einen grandiosen Start -- Eröffnungsfilm war Tom Tykwers "Heaven", das war zugleich irgendwie deutscher Film, internationale starbesetzte Großproduktion und dann auch noch durch ein Kieslowski-Drehbuch geadelt. Das Niveau hat Kosslick schon halten können in den ersten drei Jahren, er wurde von den ausländischen Branchenblättern und von manchen Größen des Geschäfts, zum Darling unter den Festivalchefs erkoren. Aber letztes Jahr waren die Flitterwochen vorbei -- Jude Law und Nicole Kidman schwänzten die Eröffnungsgala, als ihr "Cold Mountain" lief. In diesem Jahr eröffnet Régis Wargnier die Festspiele mit "Man to Man", und wenn man die restliche Liste anschaut, klingt das irgendwie ganz gut, aber auch verdächtig nach Alltag.

Man kann langsam deutlich heraushören, dass der Starrummel Kosslick auf die Nerven geht -- nicht ganz zu unrecht: Hätte er aus der Berlinale eine Abspielstätte für Hollywood-Blockbuster gemacht, wären die Flitterwochen nämlich auch vorbei. Er steckt in der Zwickmühle, in die jeder Chef eines großen Filmfestivals gerät: Er muss Glamour herbeischaffen, ohne die Filmkunst zu verraten -- so eine Art verfilmte eierlegende Wollmilchsau muss her, und dann muss sie auch noch live über den roten Teppich getrieben werden. Und wehe, dabei geht irgendwas schief.

21 Filme werden im Wettbewerb der 55. Berlinale gezeigt. Was die deutschen Beiträge betrifft -- ein absolutes Muss in Berlin, egal, wie die Jahresproduktion ausgefallen ist: Drei sind es in diesem Jahr geworden, Christian Petzolds "Gespenster", Marc Rothemunds "Sophie Scholl" und Hannes Stöhrs "A Day in Europe". Die Bemerkung, dass es sich keineswegs in allen drei Fällen um so verdientes Wettbewerbs-Material wie bei Petzold handelt, muss vorab schon mal erlaubt sein. Ansonsten sind ein paar Festivalveteranen dabei -- wie Aleksandr Sokurov mit "Solnze" -- , Amerikaner, die nicht unter Verdacht stehen, es ihrem Publikum allzu leicht zu machen -- Wes Anderson mit seinem "The Life Aquatic With Steve Zissou" wäre da zu nennen -- und ein paar vielverprechende asiatische Filme, "The Wayward Cloud" von Tsai Ming-Liang beispielsweise, dessen "Goodbye, Dragon Inn" vor zwei Jahren ein absoluter Publikumsrenner war in Venedig. Ob große Namen ihre Versprechen halten, weiß man sowieso immer erst hinterher. André Téchiné, dessen "Les temps qui changent" in Berlin am Wettbewerb teilnimmt, ist einer der großen alten Herren des französischen Kinos, für seinen letzten Film, das Weltkriegsdrama "Les Égarés", haben die Cannes-Macher trotzdem ordentlich Prügel bezogen von der französischen Kritik.

Kosslick muss sein Programm den Verleihern, Produzenten und der Konkurrenz abringen. Während drüben in Cannes Thierry Frémaux etwas frischen Wind bringt ins ehrwürdige Cannes, hat sich Marco Müller in Venedig -- der 2004 einen Auftakt hinlegte, der ein größeres Star-Spektakel war als Cannes und Berlin zusammen -- mit seinen, milde formuliert, wenig ausgeprägtem Organisationstalent eher unbeliebt gemacht. Dazwischen muss sich Kosslick positionieren, aber viele Möglichkeiten gibt es da nicht -- über eine eventuelle Verlegung, irgendwann einmal, hat er laut nachgedacht, weist aber im Moment konkrete Planung von sich. Die Flucht nach vorn kann er nicht antreten, denn dann kämen sich Cannes und Berlin noch mehr in die Quere beim Sich-gegenseitig-Filme-abjagen-Spiel. Ein Rückzug in den Januar, noch tiefer in den Schneematsch, aber würde eine Quelle interessanter Filme für Berlin versiegen lassen : Dann könnte man keine Filme mehr aus dem Sundance-Programm aufnehmen -- "Maria Full of Grace" kam im vergangenen Jahr in den Wettbewerb, in diesem Jahr läuft "Inside Deep Throat" im Panorama, der sich in den USA schon den Vorwurf der Porno-Nostalgie eingehandelt hat. Was noch netter ist als manches, was prüde Geister über den Abschlussfilm "Kinsey" zu sagen hatten beim US-Start im Herbst. Nun ist es hierzulande zwar deutlich schwerer, die Gemüter zu erhitzen, aber ehrlich gesagt: Wenn sich jemand aufregt, umso besser -- als Festivalchef ein Darling zu sein, mag manchmal ganz nützlich sein, aber eigentlich hat Kosslick seine größten Momente gehabt, wenn sich alle aufgeregt haben. Das gilt sogar für Nicole Kidmans Abwesenheit im letzten Jahr -- da wurde nämlich immerhin diskutiert, ob davon wirklich die Welt untergeht.

Es könne ja nicht sein, fuhr Kosslick im Berliner Tagesspiegel aus der Haut, dass man ein Festival auf die Frage reduziere, welche Hollywood-Stars kommen. Weil das, wie auch Kosslick selber weiß, trotzdem jeder wissen möchte, sei es hier erwähnt: Will Smith und Liam Neeson werden auf jeden Fall dabei sein, wenn auch außer Konkurrenz, und der "Steve Zissou" Bill Murray und Kevin Spacey auch, dessen "Beyond the Sea" im Panorama läuft. Es nützt ja nichts: Kosslick hat in diesem Erstaufführungszirkus mitmischen wollen. Und jetzt sitzt er drin.

Zur SZ-Startseite
Jetzt entdecken

Gutscheine: