Berlinale:"Frauen und Tiere leiden in einer Diktatur als erste"

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Trauer um ein Opfer des hobbymäßigen Abschlachtens von Tieren. Szene aus dem Berlinale-Wettbewerbsbeitrag "Pokot". (Foto: Palka Robert; Robert Paêka)

Auf der Berlinale sind auffällig viele Filme Kommentare zum Rechtspopulismus. Zwei Beiträge aus Polen und Ungarn nutzen dafür dieselbe Metapher: der Mensch als Bestie.

Von Paul Katzenberger

Die amerikanische Journalistenschule Poynter Institute hat eine Art Leitfaden veröffentlicht, der Medienvertretern Tipps gibt, wie sie über Trump berichten, ohne ihn als Person zu thematisieren. Etwa durch lokaljournalistische Recherchen, die aufdecken, wie seine Politik in das Leben von Armen, Minderheiten, Frauen, Homosexuellen und anderen Menschen am Rand der Gesellschaft eingreift.

Es scheint fast so, als ob die Berlinale-Macher die Poynter-Richtschnur gelesen haben. Auf jeden Fall wollen Festivaldirektor Dieter Kosslick und sein Team dem US-Präsidenten in seinem Furor keine weitere Bühne bieten. Schon bei der Eröffnungs-Pressekonferenz nahm niemand den Namen Trump in den Mund. "Unser Programm ist Protest genug", sagte Kosslick und sogleich deuteten die Beobachter wiederkehrende Themen der Berlinale-Agenda, die um Politik und Menschenrechte, soziale Verwerfungen und die Folgen der Globalisierung kreist, als Antwort auf Trump. Dabei sind diese Themen gar nichts Ungewöhnliches für dieses Großfestival, das als das politischste weltweit gilt.

Der Eröffnungsfilm "Django" etwa, der den Gewissenskonflikt behandelt, in den das Nazi-Regime den französischen Sinti und Ausnahme-Gitarristen Django Reinhardt brachte, reiht sich ein in eine lange Folge von Berlinale-Wettbewerbsfilmen, die den Kampf des Individuums gegen die nationalsozialistische Repression zum Thema haben. Das größte deutsche Filmfestival und die Aufarbeitung des Nationalsozialismus haben eine lange gemeinsame Geschichte, und zwar ganz ohne Trump.

Und doch ist nach den ersten Tagen dieser 67. Berlinale programmatisch etwas Neues zu erkennen. In vielen Filmen wird die populistische Politik, für die Donald Trump steht, als allgegenwärtiger Trend verstanden.

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Ein gutes Thema macht noch keinen guten Film - Oren Movermans "The Dinner", Stanley Tuccis "Final Portrait" und Josef Haders "Wilde Maus" im Wettbewerb der Berlinale.

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In der EU ist diese Entwicklung am deutlichsten in Polen und Ungarn zu beobachten - in beiden Ländern hatten nationalpopulistische Regierungen bereits genügend Zeit, die einstmals freiheitliche Rechtsordnung ihrer Länder nachhaltig zu schwächen. Und genau diese zwei Nationen sind zu Beginn dieses Berlinale-Wettbewerbs nun mit Beiträgen vertreten, die man als künstlerischen Einspruch gegen die Regierungen von Viktor Orbán in Budapest und Jarosław Kaczyńskis PiS in Warschau verstehen kann.

Die Budapesterin Ildikó Enyedi erzählt in ihrem Film "On Body and Soul" eine unwirklich erscheinende Liebesgeschichte, die sie ausgerechnet in einem Schlachthof ansiedelt, während Polens Altmeisterin Agnieszka Holland ("House of Cards", "Hitlerjunge Salomon") in dem märchenhaften Krimi "Pokot" deutlich Stellung gegen das Jagen von Wildtieren bezieht. Holland versteht das hobbymäßige Abschlachten von Tieren in ihrem Film als Metapher für die neuen Zustände in Polen, in denen die Schwachen und Unterprivilegierten keine Stimme mehr haben. "Niemand ist schwächer als die Tiere", sagte sie in Berlin.

Enyedi stellt in ihrem Film die Frage, ob nicht der Menschen die eigentliche Bestie auf diesem Planeten ist. Eine Bestie, die Schweine industriell am Fließband abschlachtet, nicht mehr bindungsfähig ist, und die sich von den Tieren Empathie oder sogar die Liebe abschauen könnte. In den Filmen der beiden osteuropäischen Regisseurinnen wird ein im Vergleich zum Menschen idealisiertes Bild vom Tier gezeichnet.

Nicht nur Zufall

In erster Linie ist die Analogie Zufall, denn die Regisseurinnen konnten ja nicht wissen, dass ihre Filme unter mehr als tausend Einreichungen im Wettbewerb dieser Berlinale landen würden. Doch in einem weiteren Sinne beruhen die Ähnlichkeiten bei Enyedi und Holland wohl auf kongruenten Erfahrungen in ihren Ländern. "Frauen und Tiere, das sind die ersten, die in einer Diktatur leiden", sagt Olga Tokarczuk, die Bestseller-Autorin der Buchvorlage von "Pokot". In Polen etwa, wo sich die hohe Politik schon immer gern zur Jagd traf, seien unlängst die saisonalen Beschränkungen für die Jagd aufgehoben worden.

Wie ist es, wenn der Populismus unbeschränkt um sich greift? Aus Ungarn und Polen kommen hierzu nun überraschend ähnliche Metaphern. Man darf gespannt sein, was den Amerikanern und vielleicht auch bald Deutschen und Franzosen an Bildern dazu einfallen wird.

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