"Was bleibt" im Wettbewerb der Berlinale 2012:Hysterischer Blick nach innen

Deutschland hat den größten Exportrekord seiner Geschichte verkündet - und jammert über Probleme, die andere gerne hätten. "Was bleibt" erzählt von einem getrenntlebenden Berlin-Kreativen, der mit Sohn übers Wochenende zu den Eltern aufs Land fährt. Zwischen 600-Euro-Eames-Chair und Bungalow-Glasfront sind die Probleme dieser Familie für zwei Stunden alles Elend dieser Welt.

Tobias Kniebe

Es gibt da eine goldene und zweifellos wahre Regel für Filmemacher, die zunächst einmal harmlos klingt: Erzähl von den Dingen, die du kennst. An den Filmhochschulen wird sie gern positiv gedeutet: Was immer du mitbringst, Schüler, wo immer das Leben dich hingestellt hat - solang du es nur genau genug beschreiben kannst, wird sich die Welt dafür interessieren.

A handout still image taken from the film 'Was bleibt'

Lars Eidinger ist für diese Rolle geboren. Er könnte sie noch im Schlaf spielen, oder sogar im Koma.

(Foto: Reuters)

Dann sieht man Jahre und Jahre des deutschen Films an sich vorüberziehen, und es wächst der Verdacht, dass diese Regel nur den ersten Teil der Wahrheit enthält. Der zweite, der immer verschwiegen wird, ist sehr viel obskurer - und wahrscheinlich auch brutaler.

"Der Wunsch war groß, etwas zu erzählen, was mit uns zu tun hat", sagen der Regisseur Hans-Christian Schmid und der Autor Bernd Lange über ihren Wettbewerbsbeitrag "Was bleibt". Das sieht man schon in den ersten Szenen - und was das genaue Beschreiben angeht, macht den beiden keiner etwas vor:

Da reist ein getrennt lebender Berlin-Kreativer mit Sohn übers Wochenende zu den Eltern, und der routinemäßige Vorwurfston der Kindsmutter beim Abschied ist genauso perfekt getroffen wie die Zärtlichkeit des Vaters für das Kind, sein Schwanken zwischen erzieherischem Restanspruch und halbverplanter Lässigkeit. Und natürlich ist der Schauspieler Lars Eidinger für diese Rolle geboren. Er könnte sie noch im Schlaf spielen, oder sogar im Koma.

Mit derselben Präzision lernen wir nun seine Familie kennen, irgendwo im Rhein-Sieg-Kreis, die umliegenden Wälder des Siebengebirges spielen eine gewisse Rolle. Gut situiert, wie man so sagt, hinter der Glasfront des Bungalows grüßt der 600-Euro-Eames-Chair, der Vater hat gerade seinen Verlag verkauft, die beiden erwachsenen Söhne müssen sich selbst noch finden. Die Mutter aber - und das ist dann das Thema des Films - kontrolliert eine schwere Depression seit dreißig Jahren mit Medikamenten.

Das lief nicht immer glatt, kann man sich vorstellen, es gibt Traumata aus der Vergangenheit. Und als sie ankündigt, es noch einmal ohne Psychopharmaka zu probieren, zerreißt ein dünnes Gespinst aus Routine, Lebenslüge und Selbstbetrug.

Für zwei Stunden sind die Probleme dieser Familie nun alles Elend der Welt. Und das ist schon mal eine Erleichterung, wenn man gerade einen Brocken wie "The Flowers of War" (Berlinale Special) überstanden hat, mit dem der einstmals große Chinese Zhang Yimou so ungefähr jeden Anspruch aufgibt, als ernsthafter Filmemacher wahrgenommen zu werden.

Nicht ewig in Berlin-Mitte rumhängen

Die Geschichte spielt inmitten des Massakers von Nanking im Jahr 1937, bei dem japanische Soldaten mehr als hunderttausend chinesische Zivilisten abschlachten, Frauen vergewaltigen, Kinder nicht verschonen. Ein unvorstellbarer Holocaust, die bisher teuerste Produktion der Volksrepublik - und doch soll man glauben, dass mittendrin eine katholische Kirche zur Enklave wird, in der ein Dutzend Klosterschülerinnen und ein Dutzend Edelprostituierte erst mal lustigen Zickenkrieg spielen dürfen.

Berlinale 2012 - 'The Flowers Of War'

Mit dem Star Christian Bale als falschem Priester und echtem Beschützer ist "The Flowers of War" für den Weltmarkt gemacht, zielt aber doch nur ins Nirgendwo.

(Foto: dpa)

Mit dem Star Christian Bale als falschem Priester und echtem Beschützer ist das für den Weltmarkt gemacht, zielt aber doch nur ins Nirgendwo eines unüberwindlichen Unglaubens an der ganzen Idee. Apropos Weltmarkt: "Was bleibt" heißt dort "Home for the Weekend" - und auch das ist interessant. Auf Deutsch noch existentiell eingefärbt, auf Englisch staubtrocken und lakonisch.

Schaut man mit diesem englischen Blick auf den Film, sieht man plötzlich auch etwas völlig anderes: ein Land nämlich, das gerade den größten Exportrekord seiner Geschichte verkündet hat, dessen Probleme alle anderen Ländern gern hätten, das aber den Blick nach innen, auf die eigene Befindlichkeit, hysterisiert. Und zwar schon so lang, dass es längst keinem mehr auffällt.

Ist nun den Filmemachern daraus ein Vorwurf zu machen? Wohl kaum. Sie erzählen ja von Dingen, die sie kennen, mit Wahrheit und Genauigkeit. Und wahr ist, dass jeder Mensch seine Dramen als existentiell empfindet, auch wenn sie in einem Eames-Chair spielen. Wer überhaupt erzählen will, muss diesen individuellen Blick verschärfen - und wer seine Figuren nicht verraten will, muss sie auch ernst nehmen. Nur wird daraus, wieder und wieder, eine ausweglose Falle für den deutschen Film.

Das ist der zweite, gern verschwiegene Teil der goldenen Regel: Nicht alles, was man kennt und präzise erzählen kann, ist es auch wert, ernst genommen zu werden. Wer aber von anderen Dingen erzählen will, muss erst einmal andere Dinge kennenlernen. Und dafür auch - das ist die brutale Zusatzklausel - auch ein anderes Leben leben. Wenigstens zeitweise.

Wohl wahr, das ist etwas viel verlangt - gerade für eine Kunstform wie das Kino, die ja auch aus der Leichtigkeit heraus funktionieren kann. Es hat aber auch keinen Sinn, auf ewig in Berlin-Mitte oder in München-Schwabing herumzuhängen und immer nur den halben Weg zu gehen. Am Ende von "Was bleibt" kommt es zu einer Szene, die in dieser Hinsicht mehr sagt als tausend Worte.

Da hat sich der Held, bei einem nächtlichen Ausflug im Wald den Fuß gebrochen, ist liegen geblieben und eingeschlafen. Am Morgen wird er gefunden und ausgeflogen, in einem Polizeihubschrauber. Und wie er dann über den Wäldern des Siebengebirges schwebt, unter sich undurchdringliches Grün, erinnert das an ein sehr ikonisches Bild des Weltkinos. Es stammt nur eben aus dem Vietnamkrieg.

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