Es gibt da eine goldene und zweifellos wahre Regel für Filmemacher, die zunächst einmal harmlos klingt: Erzähl von den Dingen, die du kennst. An den Filmhochschulen wird sie gern positiv gedeutet: Was immer du mitbringst, Schüler, wo immer das Leben dich hingestellt hat - solang du es nur genau genug beschreiben kannst, wird sich die Welt dafür interessieren.
Lars Eidinger ist für diese Rolle geboren. Er könnte sie noch im Schlaf spielen, oder sogar im Koma.
(Foto: Reuters)Dann sieht man Jahre und Jahre des deutschen Films an sich vorüberziehen, und es wächst der Verdacht, dass diese Regel nur den ersten Teil der Wahrheit enthält. Der zweite, der immer verschwiegen wird, ist sehr viel obskurer - und wahrscheinlich auch brutaler.
"Der Wunsch war groß, etwas zu erzählen, was mit uns zu tun hat", sagen der Regisseur Hans-Christian Schmid und der Autor Bernd Lange über ihren Wettbewerbsbeitrag "Was bleibt". Das sieht man schon in den ersten Szenen - und was das genaue Beschreiben angeht, macht den beiden keiner etwas vor:
Da reist ein getrennt lebender Berlin-Kreativer mit Sohn übers Wochenende zu den Eltern, und der routinemäßige Vorwurfston der Kindsmutter beim Abschied ist genauso perfekt getroffen wie die Zärtlichkeit des Vaters für das Kind, sein Schwanken zwischen erzieherischem Restanspruch und halbverplanter Lässigkeit. Und natürlich ist der Schauspieler Lars Eidinger für diese Rolle geboren. Er könnte sie noch im Schlaf spielen, oder sogar im Koma.
Mit derselben Präzision lernen wir nun seine Familie kennen, irgendwo im Rhein-Sieg-Kreis, die umliegenden Wälder des Siebengebirges spielen eine gewisse Rolle. Gut situiert, wie man so sagt, hinter der Glasfront des Bungalows grüßt der 600-Euro-Eames-Chair, der Vater hat gerade seinen Verlag verkauft, die beiden erwachsenen Söhne müssen sich selbst noch finden. Die Mutter aber - und das ist dann das Thema des Films - kontrolliert eine schwere Depression seit dreißig Jahren mit Medikamenten.
Das lief nicht immer glatt, kann man sich vorstellen, es gibt Traumata aus der Vergangenheit. Und als sie ankündigt, es noch einmal ohne Psychopharmaka zu probieren, zerreißt ein dünnes Gespinst aus Routine, Lebenslüge und Selbstbetrug.
Für zwei Stunden sind die Probleme dieser Familie nun alles Elend der Welt. Und das ist schon mal eine Erleichterung, wenn man gerade einen Brocken wie "The Flowers of War" (Berlinale Special) überstanden hat, mit dem der einstmals große Chinese Zhang Yimou so ungefähr jeden Anspruch aufgibt, als ernsthafter Filmemacher wahrgenommen zu werden.