Berlinale 2005:Es klickt, es knackt

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Ein altes Lied - Glanz und Elend der Berliner Filmfestspiele Es war tough dieses Jahr auf der Berlinale, im Schneetreiben, im Matsch, in der Kälte, in einem Wettbewerb, der schon nach ein, zwei Tagen jedes Profil und jede Dramaturgie vermissen ließ und in dem das traurigste der Kinogefühle sich auszubreiten begann, die Gleichgültigkeit.

Fritz Göttler

Das Ganze hatte eine starke Tendenz zur self-fulfilling prophecy. Viele Tage vor Beginn bereits war man verunsichert, beunruhigt, vorgewarnt - in vielen Interviews hatte Festival-Chef Dieter Kosslick verkündet, wie schwierig es mit der Berlinale gerade sei:

Julia Jentsch gewann den Silbernen Bären für "Sophie Scholl". (Foto: Foto: AP)

Welche Probleme es im Innern gebe - das Festival hat in den drei Kosslick-Jahrgängen so gewaltig expandiert, der Filmmarkt, der Talent Campus sind so gewachsen, dass man nun von dieser Entwicklung überlaufen zu werden droht -, und draußen, wo es gilt, sich gegen die anderen beiden europäischen Megafestivals von Cannes und Venedig zu behaupten und sich mit den amerikanischen Major Studios herumzuschlagen, die sowieso ihre eigenen Pläne mit dem Filmmarkt Europa haben.

Ohne Stars kein Eröffnungsfilm

Hollywood ist in der Tat das Hauptproblem - man braucht es, um den nötigen Glamour für den roten Teppich heranzuschaffen, aber der darf dann bloß nicht zu üppig sein, damit die Kritik nicht wieder die Dominanz des US-Kinos beklagt. Manches von dem, was Kosslick zu dieser Quadratur des Kreises anbrachte, klang ziemlich verwunderlich, irgendwie abstrus.

Man hätte durchaus die Chance gehabt, erklärte er, "Million Dollar Baby" von Clint Eastwood als Eröffnungsfilm zu zeigen - allerdings ohne Garantie, dass der Meister persönlich in Berlin auftreten würde, oder Hilary Swank, die in dem Film als aggressive junge Boxerin mit höchsten Ambitionen brilliert. Einen Eastwoodfilm aber ohne Eastwood will sich die Berlinale nicht antun.

Bei der schönen Komödie "In Good Company" mögen ähnliche Gedanken im Spiel gewesen sein - kam der Film womöglich ins Programm, weil man auf das Kommen von Scarlett Johansson gehofft hatte?

Ein anderer Film, "Heights" von Chris Terrio, rutschte plötzlich wieder heraus, weil Glenn Close ihr Erscheinen absagte. Der Film ist seitdem verschollen, sein Verschwinden wurde von der Berlinale-Leitung keiner Erklärung für würdig gefunden, statt dessen wurde als Ersatzfilm der vielgescholtene "Fateless" von Lajos Koltai vorgeschickt.

Die Oscar-Tour

Natürlich kann man es Eastwood oder Swank nicht verdenken, wenn sie in diesen Tagen lieber noch ein paar Extratouren einlegen, um ihre Oscar-Nominierungen zu stützen, anstatt sich einen Tripp ins feuchte Berlin zuzumuten. Auch wenn Kosslick es herunterspielt - die frühe Oscarnacht, die dieses Jahr bereits am kommenden Sonntag ansteht, wird der Berlinale und ihrem Star-Bedarf auch in Zukunft größte Probleme machen.

Statt Eastwood gab es dieses Jahr als Eröffnungsfilm "Man to Man", der sich durch gute Absichten und den Verzicht auf gestalterische Kühnheiten auszeichnete - Stars: Kristin Scott Thomas und Joseph Fiennes, Regie: Régis Wargnier, Botschaft: Pygmäen sind auch Menschen.

Dem Film haftete ein Aroma von "Ersatz" an, und unwillkürlich blitzten Erinnerungen auf ans Vorjahr, als "Cold Mountain" schwerfällig durch den Eröffnungsabend schlingerte, zu dem die Stars Nicole Kidman und Jude Law nicht erscheinen wollten.

Ein zähes Festival wurde es also, aber, Dieter Kosslick, tough ain't enough. Nie hat man in Cannes diskutiert, mit wie viel Starpower ein Film festivalfähig wäre und ob das Publikum nicht doch mal einen sagenhaft guten Film verkraften würde, der ohne Stars daherkommt - die Filme und die Stars sind in Cannes einfach da und bilden eine selbstverständliche Einheit. Auch Eastwood hat das oft zelebriert, er hat dem Festival zu Glanz verholfen und das Festival benutzt, um seine Karriere als Regisseur zu befördern.

Inklusiv soll es sein

Dass es ein solches Zusammengehen in Berlin einmal geben mag, ist im Augenblick unwahrscheinlich. Im letzten Jahr hat Michael Moore mit seinem "Fahrenheit 9/11" die Goldene Palme in Cannes gewonnen, und der Film ist dadurch ins Gespräch und in die Kinos gekommen.

In Berlin ist am Wochenende der Film "U-Carmen eKhayelitsha" von Mark Dornford-May mit dem Goldenen Bären ausgezeichnet worden, eine südafrikanische Carmen-Version, der sicher kein Triumphlauf um die Welt bevorstehen dürfte. Eine Entscheidung, die auf den ersten Blick bizarr charmant wirkt, die aber eigentlich nur unerklärlich ist.

Aus amerikanischen Gerichtsfilmen kennt man die Situation, dass bei besonders schwerwiegenden Urteilen jeder einzelne Geschworene aufstehen und sein Urteil sprechen muss - so würde man sich das hier auch von den Jurymitgliedern Bai Ling, Franka Potente, Nino Cerruti, Roland Emmerich wünschen - dass sie aufstehen und ihren Goldbären nennen: U-Carmen eKhayelitsha.

U-Carmen: Oper ohne Exklusivität

Das gäbe ein paar interessante Versuche, sich der wunderschönen Sprache Xhosa anzunähern, die in dem Township Khayelitsha, 20 Kilometer von Kapstadt entfernt, gesprochen wird, und in die der Regisseur Dornford-May und sein Star Pauline Malefane Bizets Femme-fatale-Oper versetzten - fünfzig Jahre, nachdem Otto Preminger seine Carmen Jones in die USA einbürgerte.

Das Xhosa verblüfft und bezaubert durch die Ejektive, Implosive und Click-Laute, mit denen afrikanische Sprachen in ihre Sätze trockene Knackpunkte einbauen, die Sprache skandiert sich selbst im Sprechen.

Es ist ein Versuch, der Oper ihre Exklusivität zu nehmen, sagt der Regisseur, und diese Absicht war es offensichtlich, die die Jury würdigte. Die Absichten dominierten in diesem Jahr stärker als je zuvor - edel, einwandfrei, korrekt.

So wurden auch konsequent Regisseur und Hauptdarstellerin der neuen "Sophie Scholl"-Version, Marc Rothemund und Julia Jentsch, ausgezeichnet, politisch korrektes Entertainment.

Droht die Rückkehr der Themen- und Thesenfilme?

Ein Wettbewerb und eine Jury waren es also, die keinen Blick für Experimente hatten, für die Momente, da Filmemacher und Darsteller alles riskierten, für Christian Petzolds "Gespenster" oder André Téchinés "Les temps qui changent".

Die Angst, vom Blockbusterkino erdrückt zu werden, zerstört inzwischen das Gespür für Formen und ihre gesellschaftliche Bedeutung - droht uns die Rückkehr der Themen- und der Thesenfilme? Sie sind es, die sich immer noch am besten verkaufen lassen, und werden deshalb auch von der Kulturstaatsministerin gefeiert.

Das Bild, das die diesjährige Berlinale von der Zukunft gab - der eigenen, der des Kinos - war düster und grau. Schafft es die internationale Filmproduktion noch, die 60 Filme zu liefern, um drei große europäische Festivals zu füllen? Die Filmfestspiele sind zu Ende. Aber es wird ein Nachspiel geben, am 24. März. Dann kommt "Million Dollar Baby" in unsere Kinos.

© SZ vom 21.02.2005 - Rechte am Artikel können Sie hier erwerben.
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