Berlinale-Eröffnungsfilm "La Vie en Rose":Die Leeren des Lebens

Mit der Edith-Piaf-Biografie "La Vie en Rose" beginnt heute Abend die Berlinale. Regisseur Olivier Dahan zeigt das Leben des "Spatzen von Paris" als Taumel zwischen Euphorie und Exzess.

Anke Sterneborg

Sie macht sich gut als Galionsfigur, La Môme, der Spatz von Paris - Edith Piaf mit ihrer tiefen, kraftvollen Stimme. Eine aufmüpfige, temperamentvolle Frau, eine komplizierte Lebensgeschichte. Ideales Material für eine Berlinale-Eröffnung, die Biografie eines großen europäischen Stars von internationalem Format, aber nicht im Hollywoodstil.

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Euphorie und Exzess: Marion Cotillard als Edith Piaf und Gérard Depardieu als ihr Impresario Louis Leplée.

(Foto: Foto: dpa)

Nach düsteren Filmen über das Verbrechen und die Dämonen der Vergangenheit, wie "Déja mort" oder "Die purpurnen Flüsse II" war die Gefahr wohl ohnehin nicht allzu groß, dass der französische Regisseur Olivier Dahan aus der unebenen Lebensgeschichte der berühmten Chanteuse ein glatt gebügeltes Legenden-Biopic machen würde, oder am Ende ein weichgespültes Herz-Schmerz-Musical.

Das Leben der 1963 im Alter von nur 47 Jahren gestorbenen Edith Piaf ist eine Herausforderung für jeden, der es nacherzählen möchte, von den Anfängen auf den Straßen des Pariser Belleville, im Bordell in der Normandie und im fahrenden Zirkus, über die Zeiten als Straßensängerin zu den ersten Erfolgen.

Immer wieder sorgte sie für Wirbel, es gab wilde Exzesse mit Alkohol, Drogen und Morphin, sie sorgte mit ihren Affären für Aufruhr und ihren Eheschließungen, eine ewige Abfolge von Skandalen und Zusammenbrüchen, sie wurde hin- und hergerissen zwischen Angstzuständen und Euphorieausbrüchen.

Nicht umsonst haben sich frühere Verfilmungen, "Piaf" von Guy Casaril und "Edith und Marcel" von Claude Lelouch in vergleichsweise bravem Stil auf Ausschnitte dieser Biographie beschränkt.

Kein rosiger Lebensrückblick

Auch Olivier Dahan muss für "La Vie en Rose" - für den er weitgehend die tatsächliche Stimme der Piaf verwendet hat - mit dem Material ringen. Er muss entscheiden, was er weglässt - die berühmten Weggefährten Cocteau, Aznavour und Montand zum Beispiel -, und was er hinzufügt: Details der im Dunklen liegenden Kindheit.

Die Biographie der weltberühmten Sängerin ist für ihn kein Glamour-Act, ihr Leben findet bei ihm fast ausschließlich in dunklen Gassen, in schummrigen Kneipen und in Räumen mit zugezogenen Vorhängen statt, nur auf der Bühne steht sie im gleißenden Licht.

Die Kindheit zeichnet er als dunkle, unwirtlich, aber als den Ursprung ihrer Kreativität - die Kriegsjahre, in denen sie von Mutter, Großmutter und Vater vernachlässigt, herumgeschubst und ausgebeutet wurde. Dabei pfeift Dahan, der auch als Co-Autor des Drehbuchs fungiert, auf die Chronologie der Ereignisse, stattdessen lässt er sie so rau und sprunghaft durcheinander purzeln, wie die Piaf sie gelebt hat.

Das führt dann auch dazu, dass beispielsweise ihre 1933 geborene Tochter erst am Ende nachgereicht wird, als Erinnerungsschnipsel an ihren Tod als Zweijährige. Zwischen dem Ende als gebrochene Frau und den düsteren Anfängen bewegt sich er Film auf das helle Zentrum des Erfolgs zu. Ein Augenblick der Leere - als sie ihren Durchbruch hat vor großem Publikum, da schaltet Olivier Dahan ihre Stimme aus.

Gebrochene Perspektive

Aus vielen Teilen setzt Dahan eine Künstlerexistenz zusammen, die zugleich individuell und allgemeingültig ist. Mal bleibt die Kamera von Tetsuo Nagata in parallel gleitenden Fahrten auf Distanz, als könne sie das Geheimnis der Piaf ohnehin nicht ergründen.

Im nächsten Moment nimmt sie unaufdringlich deren Atmen und Zittern, das Beben und Taumeln in ihre Bewegungen auf, als würde sie eins mit ihr. Aus dem Wechsel von Respekt und Anmaßung, von Distanz und Annäherung bezieht "La Vie en Rose" einen großen Teil seiner Spannung.

Das gilt in gewisser Weise auch für die Hauptdarstellerin Marion Cotillard, die auf den ersten Blick zu lieblich und mädchenhaft erschien, um die kantige Piaf überzeugend spielen zu können; man sieht ihr die Anstrengung dieser Verwandlung immer wieder auch an.

Aber sie schafft es dann doch, dass man mit ihr mitfühlt und mitleidet, dass man sich ihr in manchen Momenten ganz nah fühlt - nur um im nächsten Moment wieder ruppig weggestoßen zu werden. So setzt Olivier Dahan aus Ausstattung und Kostümen und Charakteren und Kamerafahrten ein Bild zusammen, das sich nicht bruchlos fügt - aber genau das macht das Leben von Edith Piaf aus. "Non, je ne regrette rien!" würde sie uns engegenschleudern: Ich bereue nichts.

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