Eröffnung der Berlinale:Liebe ohne Fortpflanzung

Eröffnung der Berlinale: Aus Petra wird Peter: Der diesjährige Berlinale-Eröffnungsfilm "Peter von Kant" mit Denis Menochet und Isabelle Adjani erzählt Fassbinders "Die bitteren Tränen der Petra von Kant" neu.

Aus Petra wird Peter: Der diesjährige Berlinale-Eröffnungsfilm "Peter von Kant" mit Denis Menochet und Isabelle Adjani erzählt Fassbinders "Die bitteren Tränen der Petra von Kant" neu.

(Foto: MFA+ Filmdistribution)

Die Berlinale beginnt mit der Fassbinder-Hommage "Peter von Kant" von François Ozon. Ist das der richtige Film für das größte deutsche Festival mitten im Omikron-Sturm?

Von Sonja Zekri

Die Frage, ob François Ozons Film "Peter von Kant" das richtige Werk ist, um die Berlinale zu eröffnen, hat sich spätestens mit dem Auftritt von Hanna Schygulla vorerst erübrigt. Sie spielt Rosemarie, die Mutter des unglücklich liebenden Großregisseurs Peter von Kant. Aber weil der Film, wie es im Vorspann heißt, nicht nur eine "freie Adaption" von Rainer Werner Fassbinders Drama "Die bitteren Tränen der Petra von Kant" (1972) ist, in dem Schygulla mitspielte, sondern vielmehr als ein Film nach Fassbinder ein Film über Fassbinder, begrüßt das Publikum der Voraufführung den Auftritt der Fassbinder-Diva Schygulla mit einem Ausruf des Respekts und der Rührung.

Diese 72. Filmfestspiele wurden ersehnt und verteidigt wie kaum je zuvor, unter Corona-Gesichtspunkten sind sie begreiflicherweise umstritten. In diesen Diskussionen bietet die Wiederbegegnung mit den Großen der Filmgeschichte Trost und Halt. Zumal Ozons Film eine so bedingungslose Liebeserklärung an Fassbinder und den deutschen Film ist, ja, an Deutschland überhaupt, dass es fast fetischhafte Züge annimmt. Wie Fassbinders Film spielt auch dieser in Köln im Jahr 1972. Peter von Kant trägt Lederhose, liest den Stern und sagt "Prost". Vom Plattenspieler kommen deutsche Schlager. Und irgendwann singt die Schygulla "Schlaf, Kindchen, schlaf".

Eröffnung der Berlinale: Regisseur François Ozon bei der Eröffnung der Berlinale am Donnerstag. Er ist Stammgast beim Festival.

Regisseur François Ozon bei der Eröffnung der Berlinale am Donnerstag. Er ist Stammgast beim Festival.

(Foto: Britta Pedersen/dpa)

Aus dem Theaterstück einer Modemacherin (Margit Carstensen), die sich in eine jüngere Frau (Schygulla) verliebt, verlassen wird, und erkennt, dass sie selbst immer nur besitzen wollte, hat Ozon die Geschichte des Regisseurs Peter von Kant (Denis Ménochet) gemacht, der sich in den arabischstämmigen Amir (Khalil Gharbia) verliebt, verlassen wird und erkennt, dass es sie nicht gibt, die "schöne Liebe". Jedenfalls nicht im richtigen Leben. Am Ende sitzt der Verlassene in Tränen aufgelöst - die Männer weinen viel in diesem Film - neben dem Filmprojektor und schaut sich den schönen Verflossenen auf der Leinwand an. "Die schöne reine Liebe ohne Fortpflanzung", von der Peter von Kant träumt, gibt es natürlich doch - im Kino.

Ein Porträt des zartfühlenden Künstlers, der leider ein manipulatives Schwein war

Mehr noch: In einer Szene drängt sich der Verdacht auf, dass die Kamera sogar den besseren Sex bietet. Amir erzählt von seinen Eltern, von dem Vater, der die Mutter und sich selbst umgebracht hat, weil er nach seiner Entlassung keinen Platz mehr für sich in der Welt sah. Man sieht, wie schwer es ihm fällt, darüber zu reden. Anfangs lässt Peter ihn von seinem Diener Karl (Stefan Crepon) filmen, der sich von seinem Herrn lustvoll schlecht behandeln lässt. Aber dann reißt er ihm die Kamera aus der Hand und dreht Amir selbst. Es ist ein Akt der Entblößung, ja der Penetration.

Vom ersten Bild an lässt Ozon keinen Zweifel daran, dass mit diesem Porträt des zartfühlenden Künstlers, der leider ein manipulatives Schwein war, Fassbinder gemeint ist. Zum Vorspann sieht man die stechenden Augen, die Zitate reichen von Fotos an der Wand bis zu den lodernden Farben der Künstlerwohnung, die an den großen Melo-Meister Douglas Sirk erinnern, aber eben auch an Fassbinders Schwulen-und-Matrosen-Drama "Querelle".

Ménochet spielt Peter von Kant als Riesenbaby, das ergriffen von der eigenen Gefühlstiefe ist, und wird dem echten Fassbinder optisch zusehends ähnlicher. Während das Original vor allem klaustrophobische Schwülstigkeit zeigt, bietet "Peter von Kant" Ozon-typische Musiknummern und sogar Humor. Ob sie mit Amir geschlafen habe, herrscht Peter von Kant seine Freundin Sidonie an, gespielt von Isabelle Adjani. Daraufhin bricht diese in Gelächter aus: "Alle haben mit Amir geschlafen."

Isabelle Adjani ist ohnehin ein Geschenk für diesen Film. Wenn Fassbinder für die Kunst stand, den größten Realismus der Gefühle durch die größte Künstlichkeit auszudrücken, dann hätte er in der koksenden, posenden, schnorrenden Adjani eine neue Diva gefunden.

Fassbinders unerfüllte Liebe war der Schauspieler Günther Kaufmann, der Sohn einer Deutschen und eines afroamerikanischen Schwarzen, und schon "Die bitteren Tränen der Petra von Kant" wurde als Erzählung dieser Leidenschaft gesehen. Bei Ozon findet sich die Liebe bei unterschiedlichen Hautfarben explizit wieder, durch den arabischstämmigen Darsteller Khalil Gharbia und eine Affäre Amirs mit einem Schwarzen, die Peter rasend vor Eifersucht macht.

Aber die Verweise sind biografisch begründet, nicht politisch. Ozon ist nicht der Regisseur für Race- oder Gender-Kommentare. So bleibt "Peter von Kant" eine hübsch ausgestattete, flokati-flauschige, wohlig erschütternde Liebesgeschichte, und die Frage, ob diese so umkämpfte Berlinale nicht doch eine Eröffnung mit mehr Kante hätte gebrauchen können. Die Sehnsucht nach harten Filmen für harte Zeiten steigt.

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