Berlinale:Die Rache der Künstler

Kann man die Macho-Schraube der gnadenlosen Publikumsbeanspruchung noch weiter anziehen?Auf Filmfestivals immer gerne. Aber Feelgood-Filme sind auch nicht die Lösung.

Von Tobias Kniebe

Am Ende wird der Künstler immer sagen, er selbst sei unschuldig, sein Werk habe nach einer eigenen, zwingenden Form verlangt. Und wenn diese Form den Zuschauern unglaubliche Anstrengungen abverlangt, dann sei das eben ein angemessener Preis. Dieses Theorem kann man auf Filmfestivals stets in Aktion beobachten, und ganz besonders schön auf dieser Berlinale, die gerade in ihre zweite Runde geht. Was man dabei aber auch spürt: In dieser Geste ist stets eine Herausforderung inbegriffen, viel Mutwillen - und eine nicht geringe Portion Sadismus.

Etwa beim Fall des philippinischen Filmemachers Lav Diaz, der unter anderem dafür notorisch ist, dass er im Jahr 2016 seinen achtstündigen Schwarzweißfilm "A Lullaby to the Sorrowful Mystery" auf den internationalen Festivalzirkus losgelassen hat. Die Berlinale war bereit, das Mammutwerk im Wettbewerb zu zeigen - nicht ohne großes Getöse natürlich, was für eine mutige Geste das sei. Im selben Jahr platzierte Diaz sein fast vierstündiges Rachedrama "The Woman Who Left" (derzeit auch in den deutschen Kinos) im Festival von Venedig und gewann den Goldenen Löwen. Was macht man also, wenn man den Leuten solche Herausforderungen präsentiert und damit Erfolge erzielt? Man zieht die Schraube noch weiter an, man erhöht den Einsatz noch mehr.

Auch Cineasten sind genervt von Überlänge und Überintensität - aber auch von Unterforderung

Exakt das hat Lav Diaz nun in seinem Film "Ang Panahon ng Halimaw - Season of the Devil" gemacht. In Sachen Überlänge will er diesmal keine Rekorde brechen, knapp vier Stunden sind bei ihm quasi Standard. Dafür aber hat er sich einen neuen Clou ausgedacht: Die Dialoge werden nicht mehr gesprochen, sondern in einem speziellen Singsang vorgetragen. Wer da spontan an ein Musical denkt, liegt aber auch falsch, denn es handelt sich um eine Art gereimten Sprechgesang zu den immergleichen simplen Tonfolgen. Beim Zuhören lernt man weiterhin, dass in der Sprache Tagalog die eine Hälfte der Wörter auf A endet, die andere auf O. Unklar ist nur, ob diese beklemmende Eintönigkeit als bewusst meditativer Effekt gedacht war.

Denn das Thema könnte eigentlich aufwühlender nicht sein: Ende der Siebzigerjahre wüten von Präsident Marcos ermächtigte Todesschwadronen im philippinischen Dschungel, eine Willkürherrschaft aus Mord und Vergewaltigung. Es geht also wohl um Trauer und Erinnerung an die Gräuel der philippinischen Geschichte - wie fast immer bei Lav Diaz. Was aber ist der Effekt, wenn sich Täter und Opfer dabei stundenlang sehr ruhig und gesittet ansingen? Man hat das Gefühl, einer künstlichen Machtgeste ausgesetzt zu sein, der man sich seinerseits unterwerfen soll. Und das wirklich Ermüdende dabei ist: Solche Gesten, die Geniestatus einfordern, kommen auch in der Welt der Filmkunst immer ausnahmslos von Männern.

Berlinale: Die Schauspielerin Claire Foy wurde durch die Netflix-Serie „The Crown“ berühmt, jetzt spielt sie die Hauptrolle in Steven Soderberghs „Unsane“.

Die Schauspielerin Claire Foy wurde durch die Netflix-Serie „The Crown“ berühmt, jetzt spielt sie die Hauptrolle in Steven Soderberghs „Unsane“.

(Foto: Berlinale)

Irgendwie menschenfreundlicher wirken da jene Herren, die ihre Kämpfe darum, wer filmkünstlerisch den Längsten hat, eher schon hinter sich haben. Einer davon ist Steven Soderbergh, der sich vor ein paar Jahren aus Frust über Hollywood selbst pensioniert hat, inzwischen aber weiterfilmt, als sei nie etwas gewesen. Er ist mit dem Thriller "Unsane" im Wettbewerb vertreten, und seine Ansage, dass er den Film komplett mit seinem iPhone gedreht hat, klang im Vorfeld nach Experiment. Aber weit gefehlt - das iPhone fungiert hier einfach nur als hochauflösende und absolut kinotaugliche Kamera.

Der Film selbst ist dann ein geradliniges und angemessen angsteinflößendes Horrorstück über eine Frau, die vor einem Stalker in die geschlossene Psychiatrie flüchtet und dann feststellen muss, das dieser sich als Wärter ebendort eingeschlichen hat, während sie selbst nicht wieder herauskommt. Der Hauptdarstellerin Claire Foy haftet noch viel von der inneren Noblesse an, mit der sie als die Queen alias Elizabeth II. bekannt wurde: Es hat etwas Würdevolles, um nicht zu sagen Royales, wie sie mit all den Zumutungen dieses Plots umgeht.

Ähnlich geradlinig geht es bei Gus Van Sant zu, der mit "Don't worry, he won't get far on foot" im Bärenrennen vertreten ist. Er erzählt die Lebensgeschichte des querschnittsgelähmten Cartoonisten John Callahan aus Portland anhand des Zwölf-Stufen-Programms, das die Anonymen Alkoholiker auf dem Weg der Heilung durchlaufen, schlicht und einfach als erfolgreiche Therapie. Callahah, gespielt von Joaquín Phoenix, überwindet seine Alkoholsucht, die auch zu seinem Unfall führte, und wird am Ende für den schwarzen Humor seiner Zeichnungen verehrt und geliebt. Gus Van Sant glaubt unter allen Filmkünstlern wahrscheinlich am meisten an den Segen der Therapie und einer tief empfundenen Männer-Umarmung - siehe auch seinen Klassiker "Good Will Hunting". Das Problem dieses Genres sind aber natürlich diese Feelgood-Momente, die man nie wirklich glaubt: die selige Ekstase des Wild-mit-dem-Rollstuhl-im-Kreis-Fahrens etwa; oder die Tatsache, dass in solchen Filmen stets modelschöne Engelsfrauen ganz große Lust auf Behindertensex haben.

Berlinale 2018 Logo

An dieser Stelle zeigt sich jedenfalls recht klar das Dilemma der cineastischen Schlachtenbummler auf den Filmfestivals. Von Regisseuren wie Lav Diaz fühlen sich viele dann doch zu sehr gegängelt und unterworfen, einerseits. Andererseits bleibt das Problem der geistigen Unterernährung, wenn Könner wie Soderbergh oder Van Sant zwar gute Filme abliefern, aber eben doch nur innerhalb der Konventionen ihrer jeweiligen Genres. Schon hofft man wieder auf den nächsten Streich eines Filmemachers wie Philip Gröning - noch so einer, der ganz im Paradigma der männlichen Großkünstlerintensität operiert.

"Mein Bruder heißt Robert und ist ein Idiot" heißt der Film, und er beeindruckt zunächst einmal dadurch, dass er baden-württembergische Kornfelder im Landkreis Konstanz in einem Licht und einer Naturseligkeit filmt, als hätte hier der frühe Terrence Malick Pate gestanden. Es ist Sommer, und eigentlich passiert in drei Stunden nicht viel mehr, als dass ein Bruder und eine Schwester zwei Tage lang im Gras liegen, hin und wieder bei einer nahen Tankstelle Bier holen und zwei- oder dreimal auch in einem Waldsee schwimmen gehen. Da ist er also wieder, der Machismo der gedehnten Zeit.

Sodann gibt es eine unglaubliche inzestuöse Energie zwischen den beiden, die sich über Stunden nur in Eifersucht und wilden Ersatzhandlungen entlädt, von "Du Arsch" brüllen bis hin zum Tankstellenwärterfoltern - ein Konzept wie aus der Psychoanalyse der Fünfzigerjahre. Es wirkt völlig aus der Zeit gefallen und schließt einen ausbeuterischen Blick auf die stets halb nackte Hauptdarstellerin Julia Zange durchaus mit ein. Am schwersten zu ertragen ist dann aber der Plot-Vorwand, der Bruder helfe seiner Schwester bei der Abiturvorbereitung in Philosophie - eine weitere Gelegenheit für einen Mann, endlos Heidegger-Zitate zu zerkauen, während der Frau wieder einmal die Aufgabe der Erdung, des Luftrauslassens, der gelegentlichen Hysterie verbleibt.

So steht am Ende ein Gefühl, das diese Phase der Berlinale recht gut zusammenfasst: Die Zeit für ganz schön viele Dinge ist abgelaufen - nicht nur in der Filmproduktion, sondern auch in den Filmen selbst. Die Frage aber bleibt, was jetzt kommen soll.

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