60. Berlinale: "Der Ghostwriter":Im Herzen der Paranoia

Pierce Brosnan und Ewan McGregor in "Ghostwriter"

Pierce Brosnan (li.) und Ewan McGregor in "Ghostwriter".

(Foto: StudioCanal Filmverleih)

Roman Polanskis fulminanter Politthriller mit Pierce Brosnan zeigt die britische Regierung unter Ex-Premierminister Tony Blair als großes Komplott - für eine Anklage ist der Film aber viel zu klug.

Susan Vahabzadeh

Die Hölle sind die anderen. Alle sind einander Folterknecht in "Der Ghostwriter", und einer, dieser Schattenmann, der in das alles nur hineingeraten ist, ist das letzte Glied in der Kette, der keinen anderen mehr zu quälen hat.

Eine Sommerinsel im nasskalten Winter ist das Zentrum dieser Geschichte, und von der ersten Szene an macht sich mysteriöser, leiser Grusel breit, als auf einer Autofähre bei der Ankunft ein Wagen stehenbleibt, der Fahrer ist verschwunden. Dann dieses Haus - ein moderner Albtraum aus Stahl und Glas und Stein, das fahle Winterlicht bringt menschenfeindliche Kälte zum Vorschein.

Er blickt der Paranoia ins Herz

Und da sind die Menschenmengen vor dem Haus, Journalisten und Demonstranten, die "Liar, Liar" brüllen, sobald sie Adam Lang erblicken, der hier wohnt - das filmische Alter Ego von Tony Blair. Ein Mann, dem man nicht trauen kann, und der keinem trauen sollte. Kaum einer kann alle Spielarten der Bedrohung so inszenieren wie Roman Polanski, die winzigen Unsicherheiten, die ein Weltbild ins Wanken bringen. Er blickt der Paranoia ins Herz.

"Ghostwriter" hatte Premiere im Wettbewerb der Berlinale - ein perfekter Thriller und ein kluges Politstück gleichermaßen. Polanski erzählt die Geschichte einer großen Verschwörung, basierend auf dem Roman von Robert Harris, die bis in engste Privatbeziehungen nachwirkt: Ein Großkonzern und die CIA regieren in die Welt hinein, der ganz große Schaden, den sie dabei anrichten, ist der Irak-Krieg, aber unterwegs werden Menschenopfer gebracht auf die unterschiedlichste Art.

Immer klaustrophobischer

Der britische Ex-Premier Adam Lang (Pierce Brosnan) arbeitet mit einem Ghostwriter an seinen Memoiren, und als der tot an den Strand gespült wird, schickt ihm der Verlag einen neuen (Ewan McGregor). In einem Ferienhaus auf Martha's Vineyard soll er für Lang schreiben, Langs Frau (Olivia Williams) und seine Assistentin (Kim Cattrall) sind auch dort, alle warten auf die Stunden, in denen Lang keine anderen Termine hat.

Die Situation wird immer klaustrophobischer, als der Internationale Gerichtshof Lang ein Verfahren wegen des Irak-Kriegs ankündigt und er nicht mehr nach England zurück kann - huis clos. Der Ghostwriter kommt Lang beim Schreiben auf die Schliche - und es gibt kein Entrinnen.

Ein schöner Dreh

Das Politikerpaar Lang, das sind zwei faszinierende Charaktere, sie ein verletzliches Reh, er ein ambivalenter Machtmensch, der einen immer wieder an Tony Blair erinnert und dann doch ein Eigenleben entwickelt - großartig gespielt von Pierce Brosnan.

Das ist ein schöner Dreh an Harris' Geschichte, wie er Realität und Fiktion miteinander verwebt: Die Regierung Blair als großes Komplott, aber natürlich unterstellt er damit nicht, dass es tatsächlich so war; er zeigt nur, wie wenig Unterschied es macht, ob Blair auf seinem Holzweg mit Absicht landete oder aus Versehen.

Auf der nächsten Seite: Gegen den "Ghostwriter" wirkt "My Name is Khan" wie naive Malerei.

Wie naive Malerei

Polanski und Brosnan exkulpieren diesen Mann nicht - aber "Der Ghostwriter" ist viel zu klug für eine Anklage. Im Grunde ist Lang am Ende selbst betrogener Betrüger, er hat schreckliche Dinge getan, doch ihm selbst wurde alles, was wirklich glücklich machen könnte, von Anfang an vorenthalten.

Dagegen wirkt "My Name is Khan", außer Konkurrenz gezeigt, politisch zumindest wie naive Malerei. Allerdings nach einem komplexen Konzept. Dieser Film lässt wirklich nichts aus, er ist die Bollywoodmusical-Version von "Rain Man" als message movie - mit seiner Friedensmission in Sachen Cricket hat Hauptdarsteller Shah Rukh Khan in Indien schon die erste Kontroverse ausgelöst.

Bei der Einreise auseinandergenommen

Ausgangspunkt für "My Name Is Khan" ist eine reale Begebenheit: Shah Rukh Khan, so ziemlich der größte Star Asiens und von wesentlich mehr Menschen verehrt als Brad Pitt, wurde im vergangenen Sommer bei der Einreise in die USA auseinandergenommen - so Rizvan Khan, den er im Film spielt.

Nur leidet der Filmheld am Asperger Syndrom, - in einer Achterbahnfahrt der Rückblenden setzt der Film zusammen, wie aus dem indischen Jungen mit den Lernschwierigkeiten ein Mann wurde, der auf dem Weg zum amerikanischen Präsidenten ist. Er hat geheiratet in Amerika, als Moslem eine Hindu (wie auch Shah Rukh Khan); ihr Sohn, den er mit aufgezogen hat, wird Opfer eines rassistischen Anschlags nach dem 11.September. Seine Frau brüllt ihn an, er solle dem amerikanischen Präsidenten sagen, dass er kein Terrorist ist - und er nimmt das, mit seiner Veranlagung, alles für bare Münze.

Ein wenig schwindlig

Der Film ist jedenfalls nicht autistisch, der ist hyperaktiv und trägt sein Herz auf der Zunge, er spielt mit Filmzitaten und Bollywood-Versatzstücken herum und kombiniert sie mit Politik, dass einem die Spucke wegbleibt. Er wirbt für das große religiöse, ethnische Miteinander - was dabei herauskommt, ist manchmal naive Weltverbesserungsschmonzette, manchmal ehrlich herzzerreißend, dann wieder komisch, und auf jeden Fall drei Stunden lang spektakulär. Dieser Film, könnte man sagen, torkelt zwischen Genie und Wahnsinn hin und her.

Der Stilmix setzt sich fort in "Howl" von Rob Epstein - der 1984 den Dokumentarfilm "The Times of Harvey Milk" gemacht hat - und Jeffrey Friedman, ein Ostküstenintellektuellenstück. Die beiden haben sich Allen Ginsberg (gespielt von Jeff Franco) und sein Geheul vorgenommen, ein langes Interview, aus echten Ginsberg-Aussagen zusammengesetzt, der Prozess gegen seinen Verleger, ob das zentrale Gedicht der Beat Generation nun obszön ist, versetzt mit einem Vortrag von "Howl" - der regelmäßig in Zeichentricksequenzen ausbricht, die dann von Stil zu Stil mutieren, von dalí-esk bis Tim Burton. Es wird einem also langsam ein wenig schwindlig in diesem Wettbewerb. Aber langweilig wird einem nicht.

Im Video: In der Hauptstadt trifft Hollywood auf Bollywood. Die indischen Stars Kajol und Shah Rukh Khan sind in diesem Jahr die Lieblinge der Fans.

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