Berlinale-Bilanz:Im Laufe der Nacht wird jeder ein Berliner

Award Winners Press Conference - 65th Berlinale International Film Festival

Der goldene Bär ist der begehrteste. Er ging an Jafar Panahi und sein "Taxi".

(Foto: Getty Images)

Mit Rolf Eden Austern schlürfen - auch das ist Berlinale. Während des Filmfests zeigt sich die Hauptstadt von ihrer illustren Seite. Die Prominenten machen sich hier definitiv lockerer als anderswo. Und am Ende gewinnt ein Taxifahrer.

Von Ruth Schneeberger, Berlin

Politisch oder nicht politisch, künstlerisch wertvoll oder eher ein inhaltliches Statement - wie darf er denn sein, der Gewinner des Goldenen Bären? Der Job von Berlinale-Chef und -Jury ist durchaus undankbar. "Man kann froh sein, nicht Dieter Kosslick zu sein", hieß es bei der Abschlussgala am Samstagabend. Gemeint war: Es allen recht machen zu müssen, ist schwer.

Es ist also nachvollziehbar, dass die Jury den iranischen Regisseur Jafar Panahi zum Sieger erklärt hat, der den Preis nicht einmal entgegennehmen konnte. Weil er in seinem Heimatland mit einem Berufsverbot belegt ist und nicht ausreisen darf. Ja, sein Film "Taxi", in dem der Regisseur einen Taxifahrer spielt und seine Fahrgäste die Probleme des Landes diskutieren lässt, ist ein spannendes Stück Filmgeschichte - schon jetzt. Und natürlich lässt es sich die Berlinale nicht nehmen, gerade jetzt ein politisches Statement für Kunstfreiheit und gegen politische sowie religiöse Unterdrückung zu setzen.

Aus Gründen der Dramatik

Aber es ist doch auch so: Für Menschen, die in Kinokategorien denken, muss es als eine große Geste erscheinen, wenn das oberste Siegertreppchen leer bleibt. Schon alleine aus Gründen der Dramaturgie. Bereits 2011, als der unabhängige iranische Filmemacher Panahi in die Berlinale-Jury berufen, aber von seiner Regierung an der Ausreise gehindert wurde, wurde in Berlin demonstrativ immer wieder sein leerer Stuhl vorgezeigt.

Anstelle des Regisseurs nahm nun seine kleine Nichte den Preis im Berlinalepalast entgegen, die auch in dem Film mitspielt. Sie reckte den Arm samt Trophäe in die Höhe, um anschließend überwältigt zu schluchzen, dass sie vor Freude gar nichts sagen könne. "Das musst du auch nicht", kam Kosslick schützend zu Hilfe - und führte die junge Dame wieder von der Bühne ab. Kinder, Emotionen, Sensationen, das ist eben der Stoff, aus dem die Träume sind.

"Ich finde das ungerecht", beklagt sich ein anderer Filmemacher nach der Verleihung im Berlinalepalast. Erstens, dass dieser Film überhaupt im Wettbewerb sei. Und zweitens, dass er nun auch noch gewonnen habe. Diese "rein politische Entscheidung" entwerte die Leistung der anderen Künstler und biete keine Anreize für die hiesige Filmförderung. Allerdings müsse man attestieren, dass der Wettbewerb und die insgesamt fast 450 Berlinale-Filme in diesem Jahr schon eine außergewöhnliche Vielfalt gezeigt hätten.

"Ich hatte tolle Tabletten"

Wer sich abseits der Filme aber innerhalb von Berlin während des Filmfestivals in andere Sphären versetzen wollte, der hatte auf den Berlinale-Partys genügend Gelegenheit dazu. Eine echte Parallelwelt bot sich etwa am Freitagabend: Eine italienische Familie lud ins Hotel Maritim zur Ballnacht - und dort spielten sich fast kinoreife Szenen ab.

"Ich bin eigentlich sehr krank", verkündete Gastgeber Massimo Mannozzi von der Bühne, doch jetzt gehe es ihm wieder besser, denn: " Ich hatte tolle Tabletten." Diese Lebenslust verspürten auch seine Gäste, die gekommen waren, um bei der "Italienischen Nacht der Sterne" eine Preisvergabe an deutsche und italienische Schauspieler zu sehen (in diesem Fall: Alba Caterina Rohrwacher und Henry Hübchen). Vergeben wurden die Preise zum Zwecke der Völkerverständigung - und um der Berlinale Ehrerbietung zu erweisen. Und auch, um sich ein bisschen in deren Ruhm zu sonnen.

Kader Loth im Ballsaal, Party in der Kirche

65. Berlinale - Italienischer Filmball Notte delle Stelle

Selfie mit Rolf, Duckface dazu - was soll da noch schiefgehen? Beim italienischen Filmball "Notte delle Stelle" am Rande der Berlinale: Rolf Eden, Henry de Winter und Kader Loth (v.l.).

(Foto: dpa)

Hier fand man sich also neben Rolf Eden und Kader Loth beim Sektempfang und passendem Austernschlürfen, anschließend zum Mehrgangmenü aus dem Hause "Bocca". So heißt das ehrwürdige Restaurant Mannozzis, sein Sohn betreibt das "Bocca di Bacco" auf der Friedrichstraße, dort trifft sich auch die Prominenz während der Berlinale. Im Stil der späten Achtziger - ein bisschen Denver-Clan, eine Prise Dallas - ließen sich die italienisch-deutschen Familien der Stadt erst verköstigen, um dann stundenlang ausgelassen durch den Saal zu tanzen.

Damen im güldenen bodenlangen Schlangenkleid, Entertainer wie aus dem Sechzigerjahre-Bilderbuch und eine Sängerin fast im Stile einer jungen Gianni Nannini im Popper-Look trällerten italienische Schmonzetten: Kitsch as Kitsch can - aber dabei äußerst gelungen. So viel Feierfreude, Lebensmut und Ausgelassenheit ist selbst in Berlin eine Seltenheit. Und für die deutsche Seele fast wie Urlaub an der Adria.

Überhaupt gab es so viele Berlinale-Partys seit nunmehr elf Tagen, dass man von Filmen nicht viel gesehen haben musste, um trotzdem täglich schwer beschäftigt zu sein. Sogar in einer Kirche fand eine Berlinale-Party statt. Und auch nach der im Vergleich zur Eröffnung recht nüchternen Bären-Vergabe am Samstagabend im Berlinalepalast ging das Partyvolk natürlich wieder tanzen - diesmal in einen Club, der gar keiner mehr ist: Das einst legendäre Cookies, ebenfalls auf der Friedrichstraße, heißt jetzt Crackers und wird als Restaurant betrieben.

Für die Berlinale-Verrückten wurden die Tische am Samstagabend allerdings wieder raus geräumt, es wurde ausgiebig getanzt, vorwiegend zu Achtzigerjahre-Mucke. Da steht dann also Daniel Brühl an der Bar und fachsimpelt mit selbsternannten Filmfachleuten, was einigermaßen angestrengt aussieht, aber so ist nun mal der Job als Jurymitglied. Und nebenher schwebt Model Shermine Shahrivar durch den Saal. Das alles juckt in Berlin keine Sau, weil es so alltäglich ist. Trotzdem blieben die Gäste bis zum frühen Morgen - denn das Cookies als Club hat man schon lange genug nicht mehr gesehen.

Kontrastprogramm zu Pegida

Insgesamt schwankte die Berlinale in diesem Jahr zwischen Nostalgie und Hipness, zwischen politischem Geschehen und den Altvorderen, zwischen künstlerischem Anspruch und platten Partys. Doch das ist auch das Beste an Berlin: seine Vielfalt.

Es ist schon verblüffend, wie es sein kann, dass nur 200 Kilometer entfernt Menschen auf die Straßen gehen, um wütend gegen die vermeintliche Islamisierung des Abendlandes zu protestieren. Während hier, direkt nebenan, die Völkerverständigung ganz natürlich und sehr alltäglich ist. Insgesamt ist ein so offenes (auch für das Publikum) und politisches Filmfestival wohl innerhalb Deutschlands nur in Berlin denkbar.

Und auch auf den Partys zeigte sich: Die Gäste können noch so illuster sein, im Laufe der Nacht werden sie alle Berliner. Und machen sich definitiv lockerer als anderswo.

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