Berlinale 2011: Luci van Org:"Ich tauge nicht zum Popstar"

Als Lucilectric sang sie "Mädchen", jetzt stellt Luci van Org auf der Berlinale das Teenie-Drama "Lollipop Monster" vor. Ein Gespräch über Schmerzen und die Wut im Bauch.

Lena Jakat

Luci van Org - mit bürgerlichem Namen Ina Lucia Hildebrand - kommt mit einem langen rosa Rock und einer Lacktasche in Form von Fledermausflügeln zum Interview. Der Lippenstift knallrot, die Nägel anthrazit. Sie wirkt flattrig, noch eine Stunde bis zur Premiere von Lollipop Monster. Mitte der neunziger Jahre war sie als Lucilectric zwei Jahre lang Popstar, heute singt sie in ihrer Gothic-Band Üebermutter und schreibt Drehbücher für Serien wie In aller Freundschaft. Gemeinsam mit ihrer Freundin, der Regisseurin Ziska Riemann, hat van Org in dem Teenage-Pornopop-Drama Lollipop Monster ihre Kindheitserinnerungen verfilmt. Sie lebt gemeinsam mit Mann, Sohn und ihrer Knochensammlung in Berlin-Neukölln.

Lollipop Monster

In Lollipop Monster verkörpert Jella Haase die frühreife Ari - zu der Figur hat Drehbuchautorin Luci van Org ihre eigene Jugend inspiriert.

(Foto: Aries Images/Hannes Hubach)

sueddeutsche.de: In Lollipop Monster geht es um die verhängnisvolle Freundschaft zwischen der düsteren Oona und der frühreifen Ari. Sind das Regisseurin Ziska Riemann und Sie?

Luci van Org: Es ist ein autobiographisches Drehbruch. Ziska und ich kannten uns als Kinder, waren aber nie Spielkameraden. Dabei hätte sich damals jeder so eine Freundin für sich sehr gewünscht. Für den Film haben wir unsere Erinnerungen zusammengeschmissen. Die Idee dahinter war: Was wäre passiert, wenn wir uns schon als Jugendliche gekannt hätten? Eigentlich sind wir im Nachhinein auch ganz froh, dass es nicht so war. Wir hätten wahrscheinlich Dinge getan, die irreparabel gewesen wären.

sueddeutsche.de: Im Film erzählt Oona ihrem Vater, dass die Mutter ihn mit seinem Bruder betrügt. Eine Szene später baumelt ihr Vater in einem Baum am Pausenhof.

Van Org: Den Mann im Baum gab es wirklich. Wir haben ihn beide gesehen, denn unsere Schulen waren durch einen Hof verbunden. Es war aber nicht Ziskas Vater, der lebt noch. Ich war noch in der Grundschule, kann mich aber genau daran erinnern, an das Licht an dem Tag ...

sueddeutsche.de: Der Film ist eine wilde Mischung aus grellen Farben, Musikclips und Cartoons.

Van Org: Der Film ist laut, schräg, schrill - weil er Welten von Teenagern abbildet und die sind nun mal extrem. Da kann einem ein Typ das Herz brechen und man will nicht mehr leben, und zwei Wochen später ist er wieder vergessen. Man denkt so kontrastreich, ist noch nicht so gelassen.

sueddeutsche.de: Oona bekämpft im Film ihren Kummer mit Rasierklingen.

Van Org: Wenn man als Teenager in eine Situation geworfen wird, für die man nichts kann, die nur Scheiße über einem auskippt, dann geht die Aggression entweder nach innen oder nach außen. Was Leute oft als Revolte abtun, das sind echte Schmerzen, die sich Bahn brechen. Vielleicht sollten die Menschen mal innehalten und schauen, ob sie nicht selbst der Verursacher dieser Schmerzen sind.

sueddeutsche.de: In seinen überzeichneten Bildern unterscheidet sich der Film sehr stark von dem Reduzierten, was man sonst vom deutschen Kino gewöhnt ist.

Van Org: Ich verstehe, wenn Menschen um Echtheit ringen. Aber ich glaube, dass Echtheit auch in der Abstraktion gefühlt werden kann - vielleicht sogar noch mehr. Das Echte einfach nur abzubilden, ist mir zu voyeuristisch. Ich mag es nicht, wenn man sich an den Abgründen von Leuten weidet. Und eine Zeichnung aus drei Strichen kann ja oft treffender sein als ein Foto.

Die Leute haben sich aufgeregt

sueddeutsche.de: Die fiktive Deutschrock-Band Tier spielt im Film eine wichtige Rolle - die Mädchen fliehen sich in ihre Musik, finden sich in ihren Texten wieder. Wer war Ihr Tier, als Sie selbst Teenager waren?

Lollipop Monster

Die Regisseurin Ziska Riemann (Mitte) debütierte mit dem Jugend-Pop-Drama auf der Leinwand. Jella Haase (links) und Anna Horváth (rechts) übernahmen die Hauptrollen.

(Foto: Aries Images/Hannes Hubach)

Van Org: The Cure. Gleich danach kamen die Einstürzenden Neubauten. Der Sänger Blixa Bargeld hatte eine Kneipe, die hieß Risiko - so ein Schuppen an der Yorckstraße. Mit 13 bin ich da nachts, heimlich und auf viel zu alt geschminkt hin und habe geguckt, ob er da war. Manchmal war er da; dann habe ihn angeschwärmt von ganz weit weg. Deswegen fühle ich mich auch sehr geehrt, dass Alexander Hacke von den Einstürzenden Neubauten die Musik für den Film mit komponiert hat.

sueddeutsche.de: Die Texte stammen ja von Ziska Riemann und Ihnen: "Du solltest niemals vergessen // ich könnt' dich einfach fressen // bin unberechenbar". Ganz schön düster.

Van Org: Alle Musik, die ich mache, ist immer irgendwie Gothic, auf jeden Fall sehr wütend. Ich bin ein großer Freund von Krawall, wie man bei meiner Band Üebermutter auch merkt. Wütend war selbst Mädchen.

sueddeutsche.de: Mädchen?

Van Org: Es gab genug Leute, die sich darüber aufgeregt haben, in Bayern oder in der Schweiz war das ein Skandal. Und dann wurde Mädchen von der Plattenfirma so in die Schlager-Ecke gedrängt. Es war aber das einzige Stück, das nicht richtig böse war, das ist uns einfach so passiert. Deswegen hatten wir auch nie wieder diesen Erfolg. Das macht aber nichts. Ich glaube, ich tauge nicht zum Popstar. Mit war das alles eher unangenehm.

sueddeutsche.de: Im Film tauchen Sie selbst auch in einer Szene auf - als Kunstlehrerin. Wie kam es dazu?

Van Org: Na ja, ich habe ja auch mal Kunstpädagogik studiert, es aber schnell wieder abgebrochen. Ich spiele sehr gerne. Meine Eltern sind auch beide Kunstlehrer. Ich weiß, wie die sich so benehmen.

sueddeutsche.de: Die Mutter von Ari im Film ist Hausfrau in einer heilen Persilblumen-Welt und treibt mir ihrer Harmoniesucht ihre Familie in die Raserei.

Van Org: Dazu kann ich nur sagen: Manche Charaktere aus unserem eigenen Leben mussten wir unterzeichnet darstellen, damit sie glaubwürdig bleiben. 2003 haben wir mit dem Drehbuch begonnen und anfangs noch ganz extrem aus der Perspektive der Kinder geschrieben. Wir sind älter geworden, ich bin mittlerweile selbst Mutter. Nach und nach habe ich beim Schreiben immer mehr versucht, mich in die Rolle der Eltern hineinzuversetzen.

sueddeutsche.de. Soll der Film Eltern erziehen?

Van Org: Ich glaube, dass sich in Lollipop Monster Eltern wie Teenager gleichermaßen wiederfinden können. Die eigenen Familienstrukturen lassen einen doch das ganze Leben lang nicht los. Aber tatsächlich haben manche Eltern nach dem Film gesagt: "Jetzt habe ich Angst um meine Kinder." Die Vorstellung, da vielleicht einen kleinen Denkanstoß zu geben, gefällt mir.

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