Süddeutsche Zeitung

Berlinale 2011:Eine Frau verliert sich

In ihrem Spielfilmdebüt "Eisblumen" erzählt Regisseurin Susan Gordanshekan von der verzweifelten Scham einer Demenzkranken. Eine Berlinale-Begegnung.

Lena Jakat

Sie sitzen auf umgedrehten Eimern, rauchen selbstgedrehte Zigaretten und schauen der S-Bahn nach: auf dem roten Frau Osterloh, auf dem blauen daneben Amir. Osterloh leidet an Demenz, es steht schlecht um sie. Sie verlegt nicht nur ständig Kamm und Brille, sondern findet im Bad auch die Tür nach draußen nicht mehr. Amir pflegt die alte Frau, schwarz, denn er hat keine Papiere. Er ist illegal in Deutschland. Die beiden Figuren haben nichts gemein, als beide Ausgeschlossene zu sein. Im Film Eisblumen begegnen sie sich.

"Das mit den Eimern ist so aus der Not heraus geboren, die lagen da so rum", sagt Susan Gordanshekan. Die junge Frau mit dem schwarzen Haar und dem breiten Lächeln ist die Regisseurin des Films, es ist ihre erste längere fiktionale Arbeit. Sie wollte den Schauspielern dabei viel Freiraum geben. "Wir haben uns von Anfang an genau überlegt, wer diese Personen sind und haben die Darsteller dann durchspielen lassen ohne viel zu unterbrechen", sagt Gordanshekan. Diese Freiräume sind im fertigen Film an Details zu sehen - wenn Amir sein Feuerzeug nicht findet, oder am Ende der Handlung doch in die Bahn einsteigt. "Eine schöne Arbeitsweise, finde ich."

Die Kamera verlässt die beiden Protagonisten in den 30 Minuten des Films nie und kommt ihnen dabei sehr nah. So nah, dass sie den Zuschauer zum Eindringling macht. Eigentlich kommt Gordanshekan vom Dokumentarfilm. Die 32-Jährige hat in Kann man Musik sehen? über das Leben Blinder berichtet, in Garçons manqués über die Situation Jugendlicher in der Pariser Vorstadt. Dass Eisblumen ein Spielfilm wurde, hat zum einen ganz pragmatische Gründe: "Das Thema Illegalisierte ist total schwierig als Dokumentarfilm umzusetzen - denn keiner lässt sich filmen", sagt Gordanshekan.

Zum anderen sagt sie, hätte sie Lust gehabt, mal so zu arbeiten, dass "ich die absolute Kontrolle über etwas habe". Bei Dokumentarfilmen wisse man schließlich nie, was am Ende rauskomme. Dennoch gehören für die Regisseurin beide Genres zusammen. "Ich habe vom Dokumentarfilm gelernt, zu beobachten", sagt Gordanshekan. Sie könne sich nicht einfach an den Schreibtisch setzen und sich eine Geschichte komplett ausdenken. "Ich geh immer raus und fange an zu recherchieren."

Fast ein Jahr hat sie am Drehbuch für Eisblumen gearbeitet. Sie war häufig bei einer Anlaufstelle für illegale Immigranten. "Illegalisierte" nennt Gordanshekan sie, das sei der politisch korrekte Ausdruck. Eine eindrückliche Begegnung in der Münchner Einrichtung gab der Hauptfigur des jungen Bosniers Amir ihre endgültige Nationalität. "So kann man auch zeigen, dass Bosnien einerseits sehr europäisch, andererseits aber total ausgeschlossen ist." Die Geschichte der demenzkranken Frau Osterloh speist sich ebenfalls aus Gordanshekans eigenen Erinnerungen. Nach dem Abitur in Hannover hat sie während eines Freiwilligen Sozialen Jahres selbst eine Frau betreut, die unter Demenz litt. "Das hat mich sehr geprägt", sagt die Regisseurin und Drehbuchautorin. So sehr, dass sie den Stoff zehn Jahre später in einen Film verwandelte.

Die Scham und Verzweiflung von Demenzkranken

Eineinhalb Jahre hat es gedauert, bis Eisblumen fertig war, sechs Monate dauerte allein das Casting. "Es war sehr sehr schwierig, gute Schauspieler zu finden, die Lust auf ihre Rolle hatten", sagt Gordanshekan. Gerade ältere Darsteller, die schon am Ende ihrer Karriere stünden, hätten oft wenig Lust, an einem Studentenfilm mitzuwirken, für den es kein Geld gibt. Mit Renate Grosser habe man aber schließlich die ideale Besetzung für Frau Osterloh gefunden.

Grosser ist häufig in den Krimiserien von ARD und ZDF zu sehen, in Eisblumen spielt sie mit viel Gefühl die Scham und Verzweiflung der Demenzkranken, erlaubt der Figur aber auch ein wenig naive Fröhlichkeit. Den Part des jungen Bosniers Amir übernahm Arnel Taci, bekannt als tragikkomischer Loser Costa in der Serie Türkisch für Anfänger. Der 24-Jährige ist selbst auch im heutigen Bosnien-Herzegowina geboren.

Nach künftigen Projekten gefragt, lächelt die Regisseurin ein bisschen müde: "Ich falle, wenn ein Film abgedreht ist, immer erst in so ein Loch". Ein Spielfilm, in voller Länge, soll es wohl werden. Geboren ist Gordanshekan in Kassel, ihre Eltern stammen aus dem Iran. "Mein großer Traum ist es, dort einmal einen Film zu drehen", sagt sie. Am Samstag war sie bei der Solidaritätsvorführung von Offside, dem Film des iranischen Regisseurs Jafar Panahi. Eigentlich sollte Panahi in der Jury der Filmfestspiele sitzen, doch der Filmemacher ist in seiner Heimat in Haft und durfte nicht ausreisen. "Das hat mich total berührt", sagt Gordanshekan, sowohl der Film als auch Panahis Situation. Schicksale wie das Panahis schreckten sie ab, sagt Gordanshekan. Sie hoffe sehr, irgendwann doch noch dort drehen zu können, wenn sich die Lage entspannt.

Bislang zieht sich ein Thema durch ihre Arbeit: Menschen, die die Gesellschaft höchstens an ihrem Rand duldet. In Eisblumen schmieden zwei Außenseiter eine Allianz zwischen Zigarettenqualm und erdachten Schicksalen. Doch sie ist fragil und bricht schließlich auf, noch bevor die gemeinsame Flucht vor der Realität auch tatsächlich beginnt. "Jetzt muss ich aber nach Hause gehen", sagt Frau Osterloh.

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